Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913.Thesen betreffend das Frauenstimmrecht. (Am Parteitag in Neuenburg bereinigt und angenommen.) 1. Nach der materialistischen Geschichtsauffassung ist die Stel- lung des Weibes bedingt durch die in jeder Epoche herrschenden Produktionsverhältnisse. Auf der Stufe des Ackerbaues der kom- munistischen Geschlechtsverbände war die Frau mit dem Manne gleichberechtigt. 2. Veränderte Produktionsverhältnisse setzten an Stelle des Kommunismus das Privateigentum, die patriarchalische Groß- familie mit der Herrschaft des Mannes und der Knechtung der Frau. 3. Die moderne Wirtschaft zieht schon in ihren Anfängen die Frau in die Erwerbstätigkeit und erschüttert die Produktions- einheit des Familienhaushalts. Bereits in diesem Vorstadium des Kapitalismus treten weibliche und männliche Vorkämpfer des revolutionären Bürgertums für die wirtschaftliche und politische Gleichstellung der Frau ein. 4. Die Einführung der Maschine in den kapitalistischen Be- trieb treibt Massen weiblicher Personen in die Fabriken, Maga- zine, Bureaus und zerstört in großen Schichten des Volkes die Reste der patriarchalischen Familie. Der Mann ist nicht mehr alleiniger Ernährer. Dadurch kommen die Frauen zum Bewußt- sein ihrer wirtschaftlichen Gleichberechtigung und verlangen folge- richtig auch die Gleichberechtigung zur Anteilnahme an den öffent- lichen Angelegenheiten. 5. Diese Anteilnahme erheischt das gleiche Stimm- und Wahl- recht für die Frauen wie für die Männer. Keine bürgerliche Par- tei erstrebt und anerkennt die volle Gleichberechtigung der Frau. Einzig die sozialdemokratische Partei, die für die wirtschaftliche und soziale Befreiung des arbeitenden Volkes und somit für die Aufhebung jeder Klassenherrschaft kämpft, tritt auch für die völ- lige Gleichstellung der Frau ein. 6. Die angeblich parteilose bürgerliche Frauenbewegung unter- scheidet sich grundsätzlich von dieser Stellungnahme. Jhr Endzwec[k] ist die Aufrechterhaltung des auf dem Privateigentum beruhend[en] Wirtschaftssystems. Ein zeitweiliges Zusammenwirken zur [Er-] ringung des Frauenstimmrechts ist zulässig. Die Zugehörigke[it zu] Thesen betreffend das Frauenstimmrecht. (Am Parteitag in Neuenburg bereinigt und angenommen.) 1. Nach der materialistischen Geschichtsauffassung ist die Stel- lung des Weibes bedingt durch die in jeder Epoche herrschenden Produktionsverhältnisse. Auf der Stufe des Ackerbaues der kom- munistischen Geschlechtsverbände war die Frau mit dem Manne gleichberechtigt. 2. Veränderte Produktionsverhältnisse setzten an Stelle des Kommunismus das Privateigentum, die patriarchalische Groß- familie mit der Herrschaft des Mannes und der Knechtung der Frau. 3. Die moderne Wirtschaft zieht schon in ihren Anfängen die Frau in die Erwerbstätigkeit und erschüttert die Produktions- einheit des Familienhaushalts. Bereits in diesem Vorstadium des Kapitalismus treten weibliche und männliche Vorkämpfer des revolutionären Bürgertums für die wirtschaftliche und politische Gleichstellung der Frau ein. 4. Die Einführung der Maschine in den kapitalistischen Be- trieb treibt Massen weiblicher Personen in die Fabriken, Maga- zine, Bureaus und zerstört in großen Schichten des Volkes die Reste der patriarchalischen Familie. Der Mann ist nicht mehr alleiniger Ernährer. Dadurch kommen die Frauen zum Bewußt- sein ihrer wirtschaftlichen Gleichberechtigung und verlangen folge- richtig auch die Gleichberechtigung zur Anteilnahme an den öffent- lichen Angelegenheiten. 5. Diese Anteilnahme erheischt das gleiche Stimm- und Wahl- recht für die Frauen wie für die Männer. Keine bürgerliche Par- tei erstrebt und anerkennt die volle Gleichberechtigung der Frau. Einzig die sozialdemokratische Partei, die für die wirtschaftliche und soziale Befreiung des arbeitenden Volkes und somit für die Aufhebung jeder Klassenherrschaft kämpft, tritt auch für die völ- lige Gleichstellung der Frau ein. 6. Die angeblich parteilose bürgerliche Frauenbewegung unter- scheidet sich grundsätzlich von dieser Stellungnahme. Jhr Endzwec[k] ist die Aufrechterhaltung des auf dem Privateigentum beruhend[en] Wirtschaftssystems. Ein zeitweiliges Zusammenwirken zur [Er-] ringung des Frauenstimmrechts ist zulässig. Die Zugehörigke[it zu] <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0023" n="[23]"/> <div n="1"> <list> <head>Thesen betreffend das Frauenstimmrecht.<lb/> (Am Parteitag in Neuenburg bereinigt und angenommen.)</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <item>1. Nach der materialistischen Geschichtsauffassung ist die Stel-<lb/> lung des Weibes bedingt durch die in jeder Epoche herrschenden<lb/> Produktionsverhältnisse. 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Thesen betreffend das Frauenstimmrecht.
(Am Parteitag in Neuenburg bereinigt und angenommen.)
1. Nach der materialistischen Geschichtsauffassung ist die Stel-
lung des Weibes bedingt durch die in jeder Epoche herrschenden
Produktionsverhältnisse. Auf der Stufe des Ackerbaues der kom-
munistischen Geschlechtsverbände war die Frau mit dem Manne
gleichberechtigt.
2. Veränderte Produktionsverhältnisse setzten an Stelle des
Kommunismus das Privateigentum, die patriarchalische Groß-
familie mit der Herrschaft des Mannes und der Knechtung der
Frau.
3. Die moderne Wirtschaft zieht schon in ihren Anfängen die
Frau in die Erwerbstätigkeit und erschüttert die Produktions-
einheit des Familienhaushalts. Bereits in diesem Vorstadium des
Kapitalismus treten weibliche und männliche Vorkämpfer des
revolutionären Bürgertums für die wirtschaftliche und politische
Gleichstellung der Frau ein.
4. Die Einführung der Maschine in den kapitalistischen Be-
trieb treibt Massen weiblicher Personen in die Fabriken, Maga-
zine, Bureaus und zerstört in großen Schichten des Volkes die
Reste der patriarchalischen Familie. Der Mann ist nicht mehr
alleiniger Ernährer. Dadurch kommen die Frauen zum Bewußt-
sein ihrer wirtschaftlichen Gleichberechtigung und verlangen folge-
richtig auch die Gleichberechtigung zur Anteilnahme an den öffent-
lichen Angelegenheiten.
5. Diese Anteilnahme erheischt das gleiche Stimm- und Wahl-
recht für die Frauen wie für die Männer. Keine bürgerliche Par-
tei erstrebt und anerkennt die volle Gleichberechtigung der Frau.
Einzig die sozialdemokratische Partei, die für die wirtschaftliche
und soziale Befreiung des arbeitenden Volkes und somit für die
Aufhebung jeder Klassenherrschaft kämpft, tritt auch für die völ-
lige Gleichstellung der Frau ein.
6. Die angeblich parteilose bürgerliche Frauenbewegung unter-
scheidet sich grundsätzlich von dieser Stellungnahme. Jhr Endzweck
ist die Aufrechterhaltung des auf dem Privateigentum beruhenden
Wirtschaftssystems. Ein zeitweiliges Zusammenwirken zur Er-
ringung des Frauenstimmrechts ist zulässig. Die Zugehörigkeit zu
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Zitationshilfe: | Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913, S. [23]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walter_frauenstimmrecht_1913/23>, abgerufen am 18.07.2024. |