Meine Mutter, deren Blut einmal in Wal- lung war, kenlte hier das erstemal in meinem Leben derb auf mich los, raufte mich, stieß mich mit dem Kopf gegen die Wand, und trat mich mit Füßen; ich blökte und stieß mit Händen und Füßen nach ihr; sobald ich frei war, denn man entriß mich ihr, rächte ich mich nachdrücklicher an Mütterchen, schlug auf sie los, schimpfte und schrie über mei- nen Kopf.
Das Ende aller dieser Widerwärtigkeiten war, daß meine Mutter, um nur fortzukommen, dem Gärtner, was er verlangte, und meinem Retter ein Douceur gab, sich mit mir in den Wagen warf, ohne sich nach ihrer Mutter umzusehen, und unterwegens ihre Reue, mir so übel mitgespielt zu haben, auch viel Angst bezeugte, daß ich krank werden würde, welche ich durch Schreien, Win- zeln und Klagen bestätigte. Zwar that mir der Kopf würklich etwas weh; allein die Wand, an die ich von den mütterlichen Händen gestoßen wurde, war nur von Bretern, die Stöße gaben da- her einen stärkern Schall, als wenn mein Kopf gegen eine Mauer geprallt wäre, waren aber weni- ger eindrücklich. Dieß überlegte meine Mutter nicht, sie glaubte mich tödtlich beschädigt zu ha- ben, und wußte die Verzweiflung darüber nicht
stärker
Meine Mutter, deren Blut einmal in Wal- lung war, kenlte hier das erſtemal in meinem Leben derb auf mich los, raufte mich, ſtieß mich mit dem Kopf gegen die Wand, und trat mich mit Fuͤßen; ich bloͤkte und ſtieß mit Haͤnden und Fuͤßen nach ihr; ſobald ich frei war, denn man entriß mich ihr, raͤchte ich mich nachdruͤcklicher an Muͤtterchen, ſchlug auf ſie los, ſchimpfte und ſchrie uͤber mei- nen Kopf.
Das Ende aller dieſer Widerwaͤrtigkeiten war, daß meine Mutter, um nur fortzukommen, dem Gaͤrtner, was er verlangte, und meinem Retter ein Douceur gab, ſich mit mir in den Wagen warf, ohne ſich nach ihrer Mutter umzuſehen, und unterwegens ihre Reue, mir ſo uͤbel mitgeſpielt zu haben, auch viel Angſt bezeugte, daß ich krank werden wuͤrde, welche ich durch Schreien, Win- zeln und Klagen beſtaͤtigte. Zwar that mir der Kopf wuͤrklich etwas weh; allein die Wand, an die ich von den muͤtterlichen Haͤnden geſtoßen wurde, war nur von Bretern, die Stoͤße gaben da- her einen ſtaͤrkern Schall, als wenn mein Kopf gegen eine Mauer geprallt waͤre, waren aber weni- ger eindruͤcklich. Dieß uͤberlegte meine Mutter nicht, ſie glaubte mich toͤdtlich beſchaͤdigt zu ha- ben, und wußte die Verzweiflung daruͤber nicht
ſtaͤrker
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Meine Mutter, deren Blut einmal in Wal-
lung war, kenlte hier das erſtemal in meinem Leben
derb auf mich los, raufte mich, ſtieß mich mit dem
Kopf gegen die Wand, und trat mich mit Fuͤßen;
ich bloͤkte und ſtieß mit Haͤnden und Fuͤßen nach
ihr; ſobald ich frei war, denn man entriß mich
ihr, raͤchte ich mich nachdruͤcklicher an Muͤtterchen,
ſchlug auf ſie los, ſchimpfte und ſchrie uͤber mei-
nen Kopf.
Das Ende aller dieſer Widerwaͤrtigkeiten war,
daß meine Mutter, um nur fortzukommen, dem
Gaͤrtner, was er verlangte, und meinem Retter
ein Douceur gab, ſich mit mir in den Wagen
warf, ohne ſich nach ihrer Mutter umzuſehen, und
unterwegens ihre Reue, mir ſo uͤbel mitgeſpielt zu
haben, auch viel Angſt bezeugte, daß ich krank
werden wuͤrde, welche ich durch Schreien, Win-
zeln und Klagen beſtaͤtigte. Zwar that mir der
Kopf wuͤrklich etwas weh; allein die Wand, an
die ich von den muͤtterlichen Haͤnden geſtoßen
wurde, war nur von Bretern, die Stoͤße gaben da-
her einen ſtaͤrkern Schall, als wenn mein Kopf
gegen eine Mauer geprallt waͤre, waren aber weni-
ger eindruͤcklich. Dieß uͤberlegte meine Mutter
nicht, ſie glaubte mich toͤdtlich beſchaͤdigt zu ha-
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/127>, abgerufen am 24.11.2024.
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