Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

durch Ranunkel dahin. Die Kiesel, die er mit
sanftem Quillen überhüpfte, blickten durch die Was-
ser, wie Atalantas Seele durch ihr klares Auge.

Setzen wir uns nicht da nieder, sprach ich un-
willkührlich, und erschrak, wie mir's einfiel, ich
habe die heil'ge Stille unterbrochen. Sie lispelte:
ja, und senkte nieder sich auf's Gras, und stützte
ihr niedlich Füßchen auf einen Stein, der aus den
Wassern sich erhob.

Wie oft saß ich als Knabe so an den Ufern
eines Baches, sprach ich, und schaute zu, wie eine
Welle nur die and're schiebt, wie alle, alle fort und
immer fort sich drängen und endlich gar -- ver-
schwinden, und nie nie mehr zurückkehren -- O!
da stampft' ich den Boden in meiner kindischen
Wuth und weinte bitt're Thränen, wenn ich rief,
sie sollen stehen bleiben und die Wellen mir nicht
gehorchten. Es ist schrecklich, daß die Stunden un-
sers Glückes eilen, wie diese Wassertropfen.

Atalanta blickte mich an; mir schien's, als
thaut' ihr eine Thrän' im Auge. Sie brach eine
Rose und warf sie hinunter in den Bach. Schwim-
me hinunter, rief sie, du Blume, Bild der Jugend.

durch Ranunkel dahin. Die Kieſel, die er mit
ſanftem Quillen uͤberhuͤpfte, blickten durch die Waſ-
ſer, wie Atalantas Seele durch ihr klares Auge.

Setzen wir uns nicht da nieder, ſprach ich un-
willkuͤhrlich, und erſchrak, wie mir’s einfiel, ich
habe die heil’ge Stille unterbrochen. Sie liſpelte:
ja, und ſenkte nieder ſich auf’s Gras, und ſtuͤtzte
ihr niedlich Fuͤßchen auf einen Stein, der aus den
Waſſern ſich erhob.

Wie oft ſaß ich als Knabe ſo an den Ufern
eines Baches, ſprach ich, und ſchaute zu, wie eine
Welle nur die and’re ſchiebt, wie alle, alle fort und
immer fort ſich draͤngen und endlich gar — ver-
ſchwinden, und nie nie mehr zuruͤckkehren — O!
da ſtampft’ ich den Boden in meiner kindiſchen
Wuth und weinte bitt’re Thraͤnen, wenn ich rief,
ſie ſollen ſtehen bleiben und die Wellen mir nicht
gehorchten. Es iſt ſchrecklich, daß die Stunden un-
ſers Gluͤckes eilen, wie dieſe Waſſertropfen.

Atalanta blickte mich an; mir ſchien’s, als
thaut’ ihr eine Thraͤn’ im Auge. Sie brach eine
Roſe und warf ſie hinunter in den Bach. Schwim-
me hinunter, rief ſie, du Blume, Bild der Jugend.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0088" n="78"/>
durch Ranunkel dahin. Die Kie&#x017F;el, die er mit<lb/>
&#x017F;anftem Quillen u&#x0364;berhu&#x0364;pfte, blickten durch die Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er, wie Atalantas Seele durch ihr klares Auge.</p><lb/>
            <p>Setzen wir uns nicht da nieder, &#x017F;prach ich un-<lb/>
willku&#x0364;hrlich, und er&#x017F;chrak, wie mir&#x2019;s einfiel, ich<lb/>
habe die heil&#x2019;ge Stille unterbrochen. Sie li&#x017F;pelte:<lb/>
ja, und &#x017F;enkte nieder &#x017F;ich auf&#x2019;s Gras, und &#x017F;tu&#x0364;tzte<lb/>
ihr niedlich Fu&#x0364;ßchen auf einen Stein, der aus den<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;ern &#x017F;ich erhob.</p><lb/>
            <p>Wie oft &#x017F;aß ich als Knabe &#x017F;o an den Ufern<lb/>
eines Baches, &#x017F;prach ich, und &#x017F;chaute zu, wie eine<lb/>
Welle nur die and&#x2019;re &#x017F;chiebt, wie alle, alle fort und<lb/>
immer fort &#x017F;ich dra&#x0364;ngen und endlich gar &#x2014; ver-<lb/>
&#x017F;chwinden, und nie nie mehr zuru&#x0364;ckkehren &#x2014; O!<lb/>
da &#x017F;tampft&#x2019; ich den Boden in meiner kindi&#x017F;chen<lb/>
Wuth und weinte bitt&#x2019;re Thra&#x0364;nen, wenn ich rief,<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ollen &#x017F;tehen bleiben und die Wellen mir nicht<lb/>
gehorchten. Es i&#x017F;t &#x017F;chrecklich, daß die Stunden un-<lb/>
&#x017F;ers Glu&#x0364;ckes eilen, wie die&#x017F;e Wa&#x017F;&#x017F;ertropfen.</p><lb/>
            <p>Atalanta blickte mich an; mir &#x017F;chien&#x2019;s, als<lb/>
thaut&#x2019; ihr eine Thra&#x0364;n&#x2019; im Auge. Sie brach eine<lb/>
Ro&#x017F;e und warf &#x017F;ie hinunter in den Bach. Schwim-<lb/>
me hinunter, rief &#x017F;ie, du Blume, Bild der Jugend.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0088] durch Ranunkel dahin. Die Kieſel, die er mit ſanftem Quillen uͤberhuͤpfte, blickten durch die Waſ- ſer, wie Atalantas Seele durch ihr klares Auge. Setzen wir uns nicht da nieder, ſprach ich un- willkuͤhrlich, und erſchrak, wie mir’s einfiel, ich habe die heil’ge Stille unterbrochen. Sie liſpelte: ja, und ſenkte nieder ſich auf’s Gras, und ſtuͤtzte ihr niedlich Fuͤßchen auf einen Stein, der aus den Waſſern ſich erhob. Wie oft ſaß ich als Knabe ſo an den Ufern eines Baches, ſprach ich, und ſchaute zu, wie eine Welle nur die and’re ſchiebt, wie alle, alle fort und immer fort ſich draͤngen und endlich gar — ver- ſchwinden, und nie nie mehr zuruͤckkehren — O! da ſtampft’ ich den Boden in meiner kindiſchen Wuth und weinte bitt’re Thraͤnen, wenn ich rief, ſie ſollen ſtehen bleiben und die Wellen mir nicht gehorchten. Es iſt ſchrecklich, daß die Stunden un- ſers Gluͤckes eilen, wie dieſe Waſſertropfen. Atalanta blickte mich an; mir ſchien’s, als thaut’ ihr eine Thraͤn’ im Auge. Sie brach eine Roſe und warf ſie hinunter in den Bach. Schwim- me hinunter, rief ſie, du Blume, Bild der Jugend.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/88
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/88>, abgerufen am 05.05.2024.