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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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der andern, und auf ihren Wangen wehte die Vor-
wonne eines großen, heiligen Kusses. O dieser
Augenblick -- keine Aeonen wiegen ihn auf!

Alles, alles sprach zu unsern Herzen. Wie
ein Säuseln des allliebenden Vaters klang jeder ver-
wehende Windhauch. Jch hatte keinen Sinn mehr
für alles, ich dachte nur, was sie fühlte.

O Natur, sprach sie endlich, du Mutter mit
deinen Blumen und Kindern! Allheilige! Welch'
ein Bewegen und Schwellen! welch' ein Säuseln
und Rauschen! welch' ein Wogen und Wiegen um
und um! Liebe aus allem ... Liebe aus allen Kin-
dern für sie, die Mutter! Liebe im Wasser, Liebe
im Licht, wann sie wallend sich küssen! Liebe aller
Blumen und Kräuter, alles Lebendigen! und Eins
doch Alles ... Er! der wandellose, alles durchquil-
lende Geist ..... Alles in ihm! und er in Al-
lem .... Gott!

Jch weinte, hatte keine Worte, sah ihr ins
Auge.

Ein klares Gewässer sprang aus moosbewachs'-
nem Tufgestein, und sprudelte wie eine dünne
Säule, übers wankende Gesträuch, und wallte dann

der andern, und auf ihren Wangen wehte die Vor-
wonne eines großen, heiligen Kuſſes. O dieſer
Augenblick — keine Aeonen wiegen ihn auf!

Alles, alles ſprach zu unſern Herzen. Wie
ein Saͤuſeln des allliebenden Vaters klang jeder ver-
wehende Windhauch. Jch hatte keinen Sinn mehr
fuͤr alles, ich dachte nur, was ſie fuͤhlte.

O Natur, ſprach ſie endlich, du Mutter mit
deinen Blumen und Kindern! Allheilige! Welch’
ein Bewegen und Schwellen! welch’ ein Saͤuſeln
und Rauſchen! welch’ ein Wogen und Wiegen um
und um! Liebe aus allem … Liebe aus allen Kin-
dern fuͤr ſie, die Mutter! Liebe im Waſſer, Liebe
im Licht, wann ſie wallend ſich kuͤſſen! Liebe aller
Blumen und Kraͤuter, alles Lebendigen! und Eins
doch Alles … Er! der wandelloſe, alles durchquil-
lende Geiſt ..... Alles in ihm! und er in Al-
lem .... Gott!

Jch weinte, hatte keine Worte, ſah ihr ins
Auge.

Ein klares Gewaͤſſer ſprang aus moosbewachs’-
nem Tufgeſtein, und ſprudelte wie eine duͤnne
Saͤule, uͤbers wankende Geſtraͤuch, und wallte dann

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[77/0087] der andern, und auf ihren Wangen wehte die Vor- wonne eines großen, heiligen Kuſſes. O dieſer Augenblick — keine Aeonen wiegen ihn auf! Alles, alles ſprach zu unſern Herzen. Wie ein Saͤuſeln des allliebenden Vaters klang jeder ver- wehende Windhauch. Jch hatte keinen Sinn mehr fuͤr alles, ich dachte nur, was ſie fuͤhlte. O Natur, ſprach ſie endlich, du Mutter mit deinen Blumen und Kindern! Allheilige! Welch’ ein Bewegen und Schwellen! welch’ ein Saͤuſeln und Rauſchen! welch’ ein Wogen und Wiegen um und um! Liebe aus allem … Liebe aus allen Kin- dern fuͤr ſie, die Mutter! Liebe im Waſſer, Liebe im Licht, wann ſie wallend ſich kuͤſſen! Liebe aller Blumen und Kraͤuter, alles Lebendigen! und Eins doch Alles … Er! der wandelloſe, alles durchquil- lende Geiſt ..... Alles in ihm! und er in Al- lem .... Gott! Jch weinte, hatte keine Worte, ſah ihr ins Auge. Ein klares Gewaͤſſer ſprang aus moosbewachs’- nem Tufgeſtein, und ſprudelte wie eine duͤnne Saͤule, uͤbers wankende Geſtraͤuch, und wallte dann

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/87>, abgerufen am 05.05.2024.