Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite
Phaethon an Theodor.

Der Schlaf floh mein Auge. Jch durchwachte die
halbe Nacht. Jhre zarte Seele schwebte über mir,
lächelte mich an, bebte durch mein ganzes Wesen,
wie mit einem Kusse. Erst gegen Morgen sank ein
leichter Schlummer auf mich herab, wie ein zartes
Thaugewölke. Als ich meine Augen öffnete, war's
lichter Tag. Jch hatte mich in seligen Träumen
gewiegt.

Schon gestern Abend ward mein Amor hin-
über getragen. Jch machte mich nun auch auf den
Weg. Jn einer halben Stunde kam ich an einen
waldigen Abhang. Der allein verdeckt das Schloß
der Gräfin, ich säh' es sonst von meinen Fenstern
aus. Dort lebt sie, dort, die Zarte, Sinnige: die-
ser Gedanke bebte zuckend durch mein Tief-Jnnerstes.
Lange saß |ich auf einem abgebrochenen Felsenstück

Phaethon an Theodor.

Der Schlaf floh mein Auge. Jch durchwachte die
halbe Nacht. Jhre zarte Seele ſchwebte uͤber mir,
laͤchelte mich an, bebte durch mein ganzes Weſen,
wie mit einem Kuſſe. Erſt gegen Morgen ſank ein
leichter Schlummer auf mich herab, wie ein zartes
Thaugewoͤlke. Als ich meine Augen oͤffnete, war’s
lichter Tag. Jch hatte mich in ſeligen Traͤumen
gewiegt.

Schon geſtern Abend ward mein Amor hin-
uͤber getragen. Jch machte mich nun auch auf den
Weg. Jn einer halben Stunde kam ich an einen
waldigen Abhang. Der allein verdeckt das Schloß
der Graͤfin, ich ſaͤh’ es ſonſt von meinen Fenſtern
aus. Dort lebt ſie, dort, die Zarte, Sinnige: die-
ſer Gedanke bebte zuckend durch mein Tief-Jnnerſtes.
Lange ſaß |ich auf einem abgebrochenen Felſenſtuͤck

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0078" n="68"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g">Phaethon an Theodor.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>er Schlaf floh mein Auge. Jch durchwachte die<lb/>
halbe Nacht. Jhre zarte Seele &#x017F;chwebte u&#x0364;ber mir,<lb/>
la&#x0364;chelte mich an, bebte durch mein ganzes We&#x017F;en,<lb/>
wie mit einem Ku&#x017F;&#x017F;e. Er&#x017F;t gegen Morgen &#x017F;ank ein<lb/>
leichter Schlummer auf mich herab, wie ein zartes<lb/>
Thaugewo&#x0364;lke. Als ich meine Augen o&#x0364;ffnete, war&#x2019;s<lb/>
lichter Tag. Jch hatte mich in &#x017F;eligen Tra&#x0364;umen<lb/>
gewiegt.</p><lb/>
            <p>Schon ge&#x017F;tern Abend ward mein Amor hin-<lb/>
u&#x0364;ber getragen. Jch machte mich nun auch auf den<lb/>
Weg. Jn einer halben Stunde kam ich an einen<lb/>
waldigen Abhang. Der allein verdeckt das Schloß<lb/>
der Gra&#x0364;fin, ich &#x017F;a&#x0364;h&#x2019; es &#x017F;on&#x017F;t von meinen Fen&#x017F;tern<lb/>
aus. Dort lebt &#x017F;ie, dort, die Zarte, Sinnige: die-<lb/>
&#x017F;er Gedanke bebte zuckend durch mein Tief-Jnner&#x017F;tes.<lb/>
Lange &#x017F;aß |ich auf einem abgebrochenen Fel&#x017F;en&#x017F;tu&#x0364;ck<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0078] Phaethon an Theodor. Der Schlaf floh mein Auge. Jch durchwachte die halbe Nacht. Jhre zarte Seele ſchwebte uͤber mir, laͤchelte mich an, bebte durch mein ganzes Weſen, wie mit einem Kuſſe. Erſt gegen Morgen ſank ein leichter Schlummer auf mich herab, wie ein zartes Thaugewoͤlke. Als ich meine Augen oͤffnete, war’s lichter Tag. Jch hatte mich in ſeligen Traͤumen gewiegt. Schon geſtern Abend ward mein Amor hin- uͤber getragen. Jch machte mich nun auch auf den Weg. Jn einer halben Stunde kam ich an einen waldigen Abhang. Der allein verdeckt das Schloß der Graͤfin, ich ſaͤh’ es ſonſt von meinen Fenſtern aus. Dort lebt ſie, dort, die Zarte, Sinnige: die- ſer Gedanke bebte zuckend durch mein Tief-Jnnerſtes. Lange ſaß |ich auf einem abgebrochenen Felſenſtuͤck

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/78
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/78>, abgerufen am 22.11.2024.