Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite
Phaethon an Theodor.

Jch hab' einen Menschen kennen gelernt, der mir
sehr gefällt. Schon lange her ist's, daß ich ihn
täglich vorbeygehen seh' an meinem Hause. Er
grüßte mich immer freundlich. Er hat ein wahr-
haft griechisches Profil, ein paar runde, lebendige
Augen, einen sanften, fast schmerzlichen Mund, und
einen schönen, edlen Gang. Heut rief ich ihm, wie
er wieder vorbey kam. Er wär auch lange schon
gern mit mir bekannt gewesen, und faßte doch nie
den Muth, mich anzureden. Mein Amor macht'
ihm gar viel Freude. Er erzählte mir viel von
der Gräfin Cäcilie und von ihrer Tochter. Das
müssen herrliche Menschen seyn. Man kennt sie
aber nicht viel in der Gegend. Letzthin sah' ich
ihr Haus auf meiner Wand'rung durch's Gebirge.

Es ist ein wunderbar Gefühl, das mich über-
wallt, wenn ich diesen schönen Jüngling ansehe.
Jch hange mit einer schwärmerischen Neigung an
diesem seltsamen Menschen.



2 *
Phaethon an Theodor.

Jch hab’ einen Menſchen kennen gelernt, der mir
ſehr gefaͤllt. Schon lange her iſt’s, daß ich ihn
taͤglich vorbeygehen ſeh’ an meinem Hauſe. Er
gruͤßte mich immer freundlich. Er hat ein wahr-
haft griechiſches Profil, ein paar runde, lebendige
Augen, einen ſanften, faſt ſchmerzlichen Mund, und
einen ſchoͤnen, edlen Gang. Heut rief ich ihm, wie
er wieder vorbey kam. Er waͤr auch lange ſchon
gern mit mir bekannt geweſen, und faßte doch nie
den Muth, mich anzureden. Mein Amor macht’
ihm gar viel Freude. Er erzaͤhlte mir viel von
der Graͤfin Caͤcilie und von ihrer Tochter. Das
muͤſſen herrliche Menſchen ſeyn. Man kennt ſie
aber nicht viel in der Gegend. Letzthin ſah’ ich
ihr Haus auf meiner Wand’rung durch’s Gebirge.

Es iſt ein wunderbar Gefuͤhl, das mich uͤber-
wallt, wenn ich dieſen ſchoͤnen Juͤngling anſehe.
Jch hange mit einer ſchwaͤrmeriſchen Neigung an
dieſem ſeltſamen Menſchen.



2 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0029" n="19"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g">Phaethon an Theodor.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">J</hi>ch hab&#x2019; einen Men&#x017F;chen kennen gelernt, der mir<lb/>
&#x017F;ehr gefa&#x0364;llt. Schon lange her i&#x017F;t&#x2019;s, daß ich ihn<lb/>
ta&#x0364;glich vorbeygehen &#x017F;eh&#x2019; an meinem Hau&#x017F;e. Er<lb/>
gru&#x0364;ßte mich immer freundlich. Er hat ein wahr-<lb/>
haft griechi&#x017F;ches Profil, ein paar runde, lebendige<lb/>
Augen, einen &#x017F;anften, fa&#x017F;t &#x017F;chmerzlichen Mund, und<lb/>
einen &#x017F;cho&#x0364;nen, edlen Gang. Heut rief ich ihm, wie<lb/>
er wieder vorbey kam. Er wa&#x0364;r auch lange &#x017F;chon<lb/>
gern mit mir bekannt gewe&#x017F;en, und faßte doch nie<lb/>
den Muth, mich anzureden. Mein Amor macht&#x2019;<lb/>
ihm gar viel Freude. Er erza&#x0364;hlte mir viel von<lb/>
der Gra&#x0364;fin Ca&#x0364;cilie und von ihrer Tochter. Das<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en herrliche Men&#x017F;chen &#x017F;eyn. Man kennt &#x017F;ie<lb/>
aber nicht viel in der Gegend. Letzthin &#x017F;ah&#x2019; ich<lb/>
ihr Haus auf meiner Wand&#x2019;rung durch&#x2019;s Gebirge.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t ein wunderbar Gefu&#x0364;hl, das mich u&#x0364;ber-<lb/>
wallt, wenn ich die&#x017F;en &#x017F;cho&#x0364;nen Ju&#x0364;ngling an&#x017F;ehe.<lb/>
Jch hange mit einer &#x017F;chwa&#x0364;rmeri&#x017F;chen Neigung an<lb/>
die&#x017F;em &#x017F;elt&#x017F;amen Men&#x017F;chen.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">2 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] Phaethon an Theodor. Jch hab’ einen Menſchen kennen gelernt, der mir ſehr gefaͤllt. Schon lange her iſt’s, daß ich ihn taͤglich vorbeygehen ſeh’ an meinem Hauſe. Er gruͤßte mich immer freundlich. Er hat ein wahr- haft griechiſches Profil, ein paar runde, lebendige Augen, einen ſanften, faſt ſchmerzlichen Mund, und einen ſchoͤnen, edlen Gang. Heut rief ich ihm, wie er wieder vorbey kam. Er waͤr auch lange ſchon gern mit mir bekannt geweſen, und faßte doch nie den Muth, mich anzureden. Mein Amor macht’ ihm gar viel Freude. Er erzaͤhlte mir viel von der Graͤfin Caͤcilie und von ihrer Tochter. Das muͤſſen herrliche Menſchen ſeyn. Man kennt ſie aber nicht viel in der Gegend. Letzthin ſah’ ich ihr Haus auf meiner Wand’rung durch’s Gebirge. Es iſt ein wunderbar Gefuͤhl, das mich uͤber- wallt, wenn ich dieſen ſchoͤnen Juͤngling anſehe. Jch hange mit einer ſchwaͤrmeriſchen Neigung an dieſem ſeltſamen Menſchen. 2 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/29
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/29>, abgerufen am 19.04.2024.