Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.Die Religion spiegelte ihre Schönheit, wie ein Die Religion ists ja, die der Kunst das Auge Die Religion reicht der Kunst mit dem war- Das ists, wenn Sokrates, der Gottbegeisterte, Die Natur, die Ewige, die Wandellose, war Wir Griechen, sagt der ernste Thukydides, stre- Die Religion ſpiegelte ihre Schoͤnheit, wie ein Die Religion iſts ja, die der Kunſt das Auge Die Religion reicht der Kunſt mit dem war- Das iſts, wenn Sokrates, der Gottbegeiſterte, Die Natur, die Ewige, die Wandelloſe, war Wir Griechen, ſagt der ernſte Thukydides, ſtre- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0024" n="14"/> <p>Die Religion ſpiegelte ihre Schoͤnheit, wie ein<lb/> ſilberklarer Quell zuruͤck. Jn ihr beſchauten ſie ihr<lb/> goͤttlich Bild. Aus ihr ſchoͤpften ſie dieſe Fuͤlle<lb/> herrlicher Geſtalten und fuͤllten ihren Himmel an mit<lb/> Goͤttern, ſchoͤn wie ſie.</p><lb/> <p>Die Religion iſts ja, die der Kunſt das Auge<lb/> trocknet, wann ſie weinet uͤber die erſehnte Ur-<lb/> ſchoͤnheit in ihrem hoͤchſten Glanze.</p><lb/> <p>Die Religion reicht der Kunſt mit dem war-<lb/> men, aber keuſchen Kuß ihrer Lippen die Weihe,<lb/> der Menſchheit das Goͤttliche darzuſtellen im ſchoͤnen<lb/> Bilde. Sie ſind die innigſten Freundinen und druͤk-<lb/> ken ſich ewig an den Buſen.</p><lb/> <p>Das iſts, wenn Sokrates, der Gottbegeiſterte,<lb/> den Kuͤnſtler nur fuͤr weiſe haͤlt, und der tiefe Pin-<lb/> daros den Saͤngergeiſt nur Weisheit nennt.</p><lb/> <p>Die Natur, die Ewige, die Wandelloſe, war<lb/> der Gott der Griechen, und Gott iſts, der aus al-<lb/> lem, was ſie ſchufen, ſpricht.</p><lb/> <p>Wir Griechen, ſagt der ernſte Thukydides, ſtre-<lb/> ben nach der Schoͤnheit, ohne viel Anſtrengung, und<lb/> nach der Weisheit, ohne daß wir weichlich werden.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0024]
Die Religion ſpiegelte ihre Schoͤnheit, wie ein
ſilberklarer Quell zuruͤck. Jn ihr beſchauten ſie ihr
goͤttlich Bild. Aus ihr ſchoͤpften ſie dieſe Fuͤlle
herrlicher Geſtalten und fuͤllten ihren Himmel an mit
Goͤttern, ſchoͤn wie ſie.
Die Religion iſts ja, die der Kunſt das Auge
trocknet, wann ſie weinet uͤber die erſehnte Ur-
ſchoͤnheit in ihrem hoͤchſten Glanze.
Die Religion reicht der Kunſt mit dem war-
men, aber keuſchen Kuß ihrer Lippen die Weihe,
der Menſchheit das Goͤttliche darzuſtellen im ſchoͤnen
Bilde. Sie ſind die innigſten Freundinen und druͤk-
ken ſich ewig an den Buſen.
Das iſts, wenn Sokrates, der Gottbegeiſterte,
den Kuͤnſtler nur fuͤr weiſe haͤlt, und der tiefe Pin-
daros den Saͤngergeiſt nur Weisheit nennt.
Die Natur, die Ewige, die Wandelloſe, war
der Gott der Griechen, und Gott iſts, der aus al-
lem, was ſie ſchufen, ſpricht.
Wir Griechen, ſagt der ernſte Thukydides, ſtre-
ben nach der Schoͤnheit, ohne viel Anſtrengung, und
nach der Weisheit, ohne daß wir weichlich werden.
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Zitationshilfe: | Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/24>, abgerufen am 16.07.2024. |