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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Phaethon an Theodor.

Welches ist das Land Theodor, wo der Segen
der Götter in Fülle herabträufelte und die Natur
sich entfaltete in den reichsten vollsten Gestalten,
wo die Menschen schön waren wie ihre Götter, und
heiter und fröhlich wie ihr Himmel, wo Weisheit
und Schönheit sich wie Schwestern, mit blühenden
Armen umschlangen und der Geist sich regte so klar,
so helle? Es gab nur Ein Griechenland.

Sieh', ich möchte mich an eine Brust werfen, und
meinen Schmerz ausweinen in blutigen Thränen.
Denn ach! es gibt kein Griechenland mehr! verlo-
ren, ewig verloren wie die Tage der Unschuld.

Warum bin ich nicht zwey Jahrtausende früher
geboren? Glaubst du nicht, um ein einziges Jahr
geb' ich dann all' die vielen Jahre dahin, die ich
verlebt habe?

Wie sich die Welt abspiegelt in diesen ewig
jungen Geistern! rein und heiter, wie die Gewässer,
die ihres Landes lachende Ufer umrauschen.

Phaethon an Theodor.

Welches iſt das Land Theodor, wo der Segen
der Goͤtter in Fuͤlle herabtraͤufelte und die Natur
ſich entfaltete in den reichſten vollſten Geſtalten,
wo die Menſchen ſchoͤn waren wie ihre Goͤtter, und
heiter und froͤhlich wie ihr Himmel, wo Weisheit
und Schoͤnheit ſich wie Schweſtern, mit bluͤhenden
Armen umſchlangen und der Geiſt ſich regte ſo klar,
ſo helle? Es gab nur Ein Griechenland.

Sieh’, ich moͤchte mich an eine Bruſt werfen, und
meinen Schmerz ausweinen in blutigen Thraͤnen.
Denn ach! es gibt kein Griechenland mehr! verlo-
ren, ewig verloren wie die Tage der Unſchuld.

Warum bin ich nicht zwey Jahrtauſende fruͤher
geboren? Glaubſt du nicht, um ein einziges Jahr
geb’ ich dann all’ die vielen Jahre dahin, die ich
verlebt habe?

Wie ſich die Welt abſpiegelt in dieſen ewig
jungen Geiſtern! rein und heiter, wie die Gewaͤſſer,
die ihres Landes lachende Ufer umrauſchen.

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[10/0020] Phaethon an Theodor. Welches iſt das Land Theodor, wo der Segen der Goͤtter in Fuͤlle herabtraͤufelte und die Natur ſich entfaltete in den reichſten vollſten Geſtalten, wo die Menſchen ſchoͤn waren wie ihre Goͤtter, und heiter und froͤhlich wie ihr Himmel, wo Weisheit und Schoͤnheit ſich wie Schweſtern, mit bluͤhenden Armen umſchlangen und der Geiſt ſich regte ſo klar, ſo helle? Es gab nur Ein Griechenland. Sieh’, ich moͤchte mich an eine Bruſt werfen, und meinen Schmerz ausweinen in blutigen Thraͤnen. Denn ach! es gibt kein Griechenland mehr! verlo- ren, ewig verloren wie die Tage der Unſchuld. Warum bin ich nicht zwey Jahrtauſende fruͤher geboren? Glaubſt du nicht, um ein einziges Jahr geb’ ich dann all’ die vielen Jahre dahin, die ich verlebt habe? Wie ſich die Welt abſpiegelt in dieſen ewig jungen Geiſtern! rein und heiter, wie die Gewaͤſſer, die ihres Landes lachende Ufer umrauſchen.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/20>, abgerufen am 24.04.2024.