alten Tragikern. Ach! und wenns dann still wird umher und immer stiller, und durch die dunkle Eiche der lezte Strahl der warmen heil'gen Sonne meine glühenden Wangen küßt, wie der Mund eines Mäd- chens, wenn die grauen Wölkchen im goldnen Meer der Abendröthe schwimmen, wie zarte verfliessende Bilder der Vergangenheit, und das linde Weh'n der kühlen Lüfte so zärtlich liebend in meinen Locken spielt, und wenn dann allmählich im blassen Duft auch die fernen Berge zusammenschwimmen mit dem Himmel, wie eine Seele mit der andern, und der Nebelflor auch über dem Thale wallet, und die Abend- glocken so voll, wie mein schwellend Herz, aus der Ferne klingen, ach! da wein' ich wie ein Kind und drücke den lieben Homer an meine Brust, und be- netz' ihn mit meinen Thränen, und die Natur, die Ewige, die Liebende, lächelt mich an, wie eine Mut- ter. Dann füllt sich mein Jnnres an mit einer un- endlichen Wonne und ich fühle jeden Pulsschlag der lebendigen Natur, und wandle dann wieder so hinunter.
alten Tragikern. Ach! und wenns dann ſtill wird umher und immer ſtiller, und durch die dunkle Eiche der lezte Strahl der warmen heil’gen Sonne meine gluͤhenden Wangen kuͤßt, wie der Mund eines Maͤd- chens, wenn die grauen Woͤlkchen im goldnen Meer der Abendroͤthe ſchwimmen, wie zarte verflieſſende Bilder der Vergangenheit, und das linde Weh’n der kuͤhlen Luͤfte ſo zaͤrtlich liebend in meinen Locken ſpielt, und wenn dann allmaͤhlich im blaſſen Duft auch die fernen Berge zuſammenſchwimmen mit dem Himmel, wie eine Seele mit der andern, und der Nebelflor auch uͤber dem Thale wallet, und die Abend- glocken ſo voll, wie mein ſchwellend Herz, aus der Ferne klingen, ach! da wein’ ich wie ein Kind und druͤcke den lieben Homer an meine Bruſt, und be- netz’ ihn mit meinen Thraͤnen, und die Natur, die Ewige, die Liebende, laͤchelt mich an, wie eine Mut- ter. Dann fuͤllt ſich mein Jnnres an mit einer un- endlichen Wonne und ich fuͤhle jeden Pulsſchlag der lebendigen Natur, und wandle dann wieder ſo hinunter.
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alten Tragikern. Ach! und wenns dann ſtill wird
umher und immer ſtiller, und durch die dunkle Eiche
der lezte Strahl der warmen heil’gen Sonne meine
gluͤhenden Wangen kuͤßt, wie der Mund eines Maͤd-
chens, wenn die grauen Woͤlkchen im goldnen Meer
der Abendroͤthe ſchwimmen, wie zarte verflieſſende
Bilder der Vergangenheit, und das linde Weh’n
der kuͤhlen Luͤfte ſo zaͤrtlich liebend in meinen Locken
ſpielt, und wenn dann allmaͤhlich im blaſſen Duft
auch die fernen Berge zuſammenſchwimmen mit dem
Himmel, wie eine Seele mit der andern, und der
Nebelflor auch uͤber dem Thale wallet, und die Abend-
glocken ſo voll, wie mein ſchwellend Herz, aus der
Ferne klingen, ach! da wein’ ich wie ein Kind und
druͤcke den lieben Homer an meine Bruſt, und be-
netz’ ihn mit meinen Thraͤnen, und die Natur, die
Ewige, die Liebende, laͤchelt mich an, wie eine Mut-
ter. Dann fuͤllt ſich mein Jnnres an mit einer un-
endlichen Wonne und ich fuͤhle jeden Pulsſchlag
der lebendigen Natur, und wandle dann wieder ſo
hinunter.
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/19>, abgerufen am 16.07.2024.
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