Was ist heiliger als die Natur, und wo war sie gefeyerter als in Griechenland?
Da kannte man nicht jene lächerliche Veracht- ung des Lebensgenusses, mit dem sich bey uns die Männer brüsten, die rauh sind, wie der Boden, der sie trägt, und finster, wie die Eichenwälder, um die sie hausen.
Selbst der trozige Ajas nimmt noch Abschied vom lieben Licht der Sonne und von den Quellen und Flüßen und Bergen, eh' er das Schwerdt sich in den Busen stößt. Er findet die Erde noch schön, und will doch zu den Schatten.
Hat den ersten Deutschen in Hyrkaniens Wald- geklüften nicht ein Bär gesäugt? Merkt mans doch den Römern an, daß ihr Stifter nicht die Milch aus einer Menschenbrust gesogen.
Was kann auch werden bey uns? Unser Land ist ein Gewächsthum aller Nationen. Gabs nicht in Griechenland auch viele Völker? Es gab Athe- ner und Böotier, und Korinther und Spartaner, aber wenn sie zu Elis sich versammelten, war alles Ein Volk, alles Eine Seele!
Was iſt heiliger als die Natur, und wo war ſie gefeyerter als in Griechenland?
Da kannte man nicht jene laͤcherliche Veracht- ung des Lebensgenuſſes, mit dem ſich bey uns die Maͤnner bruͤſten, die rauh ſind, wie der Boden, der ſie traͤgt, und finſter, wie die Eichenwaͤlder, um die ſie hauſen.
Selbſt der trozige Ajas nimmt noch Abſchied vom lieben Licht der Sonne und von den Quellen und Fluͤßen und Bergen, eh’ er das Schwerdt ſich in den Buſen ſtoͤßt. Er findet die Erde noch ſchoͤn, und will doch zu den Schatten.
Hat den erſten Deutſchen in Hyrkaniens Wald- gekluͤften nicht ein Baͤr geſaͤugt? Merkt mans doch den Roͤmern an, daß ihr Stifter nicht die Milch aus einer Menſchenbruſt geſogen.
Was kann auch werden bey uns? Unſer Land iſt ein Gewaͤchsthum aller Nationen. Gabs nicht in Griechenland auch viele Voͤlker? Es gab Athe- ner und Boͤotier, und Korinther und Spartaner, aber wenn ſie zu Elis ſich verſammelten, war alles Ein Volk, alles Eine Seele!
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Was iſt heiliger als die Natur, und wo war
ſie gefeyerter als in Griechenland?
Da kannte man nicht jene laͤcherliche Veracht-
ung des Lebensgenuſſes, mit dem ſich bey uns die
Maͤnner bruͤſten, die rauh ſind, wie der Boden,
der ſie traͤgt, und finſter, wie die Eichenwaͤlder, um
die ſie hauſen.
Selbſt der trozige Ajas nimmt noch Abſchied
vom lieben Licht der Sonne und von den Quellen
und Fluͤßen und Bergen, eh’ er das Schwerdt ſich
in den Buſen ſtoͤßt. Er findet die Erde noch ſchoͤn,
und will doch zu den Schatten.
Hat den erſten Deutſchen in Hyrkaniens Wald-
gekluͤften nicht ein Baͤr geſaͤugt? Merkt mans doch
den Roͤmern an, daß ihr Stifter nicht die Milch aus
einer Menſchenbruſt geſogen.
Was kann auch werden bey uns? Unſer Land
iſt ein Gewaͤchsthum aller Nationen. Gabs nicht
in Griechenland auch viele Voͤlker? Es gab Athe-
ner und Boͤotier, und Korinther und Spartaner,
aber wenn ſie zu Elis ſich verſammelten, war alles
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/21>, abgerufen am 16.07.2024.
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