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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Phaethon an Theodor.

Mit meinem Amor bin ich bald zu Ende. Er lä-
chelt mich an, wie eine bessere Zeit. Jch gehe nicht
bälder zur Gräfin hinüber, bis ich ihn fertig habe.

Es wird mir schwer werden zu scheiden von
ihm. Meine Arbeit ist mir über den Kopf gewach-
sen. Mit jedem Meisselschlag ist sie weniger mein.
Sie ist mein Schöpfer, nicht ich der ihre.

Mir wirds oft wunderbar. Jch weiß nicht, wo-
her ich sie habe, diese quellenden trunkenen Augen,
diese sanftgeblasenen Formen an der weichlich üppi-
gen Gestalt. Als hätt' es mir ein Gott eingegeben!

Des Abends wandl' ich den Hügel hinan. Wie
ein Riese, steht droben eine alte lange Eiche und
streckt, wie starke Arme, die breiten Aeste auseinan-
der. Mir ists als ob mich zarte liebe Geister um-
wehten, wann der Abendwind durch die Blätter
säuselt. Da hab' ich meine schönsten Stunden. Jch
lese meinen Homer oder auch einen Chor aus den

Phaethon an Theodor.

Mit meinem Amor bin ich bald zu Ende. Er laͤ-
chelt mich an, wie eine beſſere Zeit. Jch gehe nicht
baͤlder zur Graͤfin hinuͤber, bis ich ihn fertig habe.

Es wird mir ſchwer werden zu ſcheiden von
ihm. Meine Arbeit iſt mir uͤber den Kopf gewach-
ſen. Mit jedem Meiſſelſchlag iſt ſie weniger mein.
Sie iſt mein Schoͤpfer, nicht ich der ihre.

Mir wirds oft wunderbar. Jch weiß nicht, wo-
her ich ſie habe, dieſe quellenden trunkenen Augen,
dieſe ſanftgeblaſenen Formen an der weichlich uͤppi-
gen Geſtalt. Als haͤtt’ es mir ein Gott eingegeben!

Des Abends wandl’ ich den Huͤgel hinan. Wie
ein Rieſe, ſteht droben eine alte lange Eiche und
ſtreckt, wie ſtarke Arme, die breiten Aeſte auseinan-
der. Mir iſts als ob mich zarte liebe Geiſter um-
wehten, wann der Abendwind durch die Blaͤtter
ſaͤuſelt. Da hab’ ich meine ſchoͤnſten Stunden. Jch
leſe meinen Homer oder auch einen Chor aus den

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[8/0018] Phaethon an Theodor. Mit meinem Amor bin ich bald zu Ende. Er laͤ- chelt mich an, wie eine beſſere Zeit. Jch gehe nicht baͤlder zur Graͤfin hinuͤber, bis ich ihn fertig habe. Es wird mir ſchwer werden zu ſcheiden von ihm. Meine Arbeit iſt mir uͤber den Kopf gewach- ſen. Mit jedem Meiſſelſchlag iſt ſie weniger mein. Sie iſt mein Schoͤpfer, nicht ich der ihre. Mir wirds oft wunderbar. Jch weiß nicht, wo- her ich ſie habe, dieſe quellenden trunkenen Augen, dieſe ſanftgeblaſenen Formen an der weichlich uͤppi- gen Geſtalt. Als haͤtt’ es mir ein Gott eingegeben! Des Abends wandl’ ich den Huͤgel hinan. Wie ein Rieſe, ſteht droben eine alte lange Eiche und ſtreckt, wie ſtarke Arme, die breiten Aeſte auseinan- der. Mir iſts als ob mich zarte liebe Geiſter um- wehten, wann der Abendwind durch die Blaͤtter ſaͤuſelt. Da hab’ ich meine ſchoͤnſten Stunden. Jch leſe meinen Homer oder auch einen Chor aus den

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/18>, abgerufen am 26.04.2024.