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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Phaethon an Theodor.

Auch ich war einst von Wissensdrang geplagt. Aber
ach! mein ewig Weinen und Sehnen ward da nicht
gestillt, und was das innigste, geliebteste Heilig-
thum meines Herzens war, das fühlt' ich ungeregt.
O Theodor! bey allem Suchen und Streben hab'
ich nichts wahr gefunden, als den Schmerz.

Einen wahren beseligenden Genuß verschafft mir
noch die Welt der Dichter. Hier darf ich ja nicht
fragen: wozu? woher? warum? das befriedigte
Streben, das gestillte Sehnen meines Geistes ist
die Antwort.

Von den Alten les' ich Homer und von den
Neuen Shakspeare und Calderon. Wenn andere
Dichter einer Nation sind, so ist Shakspeare Dich-
ter des Universums. Du lächeltest oft schon über
meine gränzenlose Anbetung dieses erdgeborenen,
himmelstürmenden Riesen, aber lächle nur! er ist
doch nach Homer der erste aller Dichter.

Phaethon an Theodor.

Auch ich war einſt von Wiſſensdrang geplagt. Aber
ach! mein ewig Weinen und Sehnen ward da nicht
geſtillt, und was das innigſte, geliebteſte Heilig-
thum meines Herzens war, das fuͤhlt’ ich ungeregt.
O Theodor! bey allem Suchen und Streben hab’
ich nichts wahr gefunden, als den Schmerz.

Einen wahren beſeligenden Genuß verſchafft mir
noch die Welt der Dichter. Hier darf ich ja nicht
fragen: wozu? woher? warum? das befriedigte
Streben, das geſtillte Sehnen meines Geiſtes iſt
die Antwort.

Von den Alten leſ’ ich Homer und von den
Neuen Shakſpeare und Calderon. Wenn andere
Dichter einer Nation ſind, ſo iſt Shakſpeare Dich-
ter des Univerſums. Du laͤchelteſt oft ſchon uͤber
meine graͤnzenloſe Anbetung dieſes erdgeborenen,
himmelſtuͤrmenden Rieſen, aber laͤchle nur! er iſt
doch nach Homer der erſte aller Dichter.

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[152/0162] Phaethon an Theodor. Auch ich war einſt von Wiſſensdrang geplagt. Aber ach! mein ewig Weinen und Sehnen ward da nicht geſtillt, und was das innigſte, geliebteſte Heilig- thum meines Herzens war, das fuͤhlt’ ich ungeregt. O Theodor! bey allem Suchen und Streben hab’ ich nichts wahr gefunden, als den Schmerz. Einen wahren beſeligenden Genuß verſchafft mir noch die Welt der Dichter. Hier darf ich ja nicht fragen: wozu? woher? warum? das befriedigte Streben, das geſtillte Sehnen meines Geiſtes iſt die Antwort. Von den Alten leſ’ ich Homer und von den Neuen Shakſpeare und Calderon. Wenn andere Dichter einer Nation ſind, ſo iſt Shakſpeare Dich- ter des Univerſums. Du laͤchelteſt oft ſchon uͤber meine graͤnzenloſe Anbetung dieſes erdgeborenen, himmelſtuͤrmenden Rieſen, aber laͤchle nur! er iſt doch nach Homer der erſte aller Dichter.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/162>, abgerufen am 24.11.2024.