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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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der ich wohne. Sie schauten empor: auch ich woll-
te mein Auge hinanheben ... da erwacht' ich.

Jch fühlte einen Kuß auf meinen Lippen, Ata-
lanta kniete neben mir, in ihrer Schönheit, zart,
wie junge Erdbeerblüthe. Frische Morgenrosen
flochten sich durch ihre dunkeln Locken, und auch
mir hatte sie einen Kranz gewunden. Atalanta!
rief ich, ich hab' ihn gesehen, unsern Homeros, im
Traume hab' ich ihn gesehen und nahe war, die
höchste Schönheit zu schauen mit den größten Geist-
ern. Ach! und war das Licht um den Sänger
reiner und weißer, als dein Angesicht, Göttliche,
Unendlich-Geliebte? war die Erscheinung beseligen-
der, als dein Auge voll Frieden und Liebe.

Phaethon .... rief sie schauernd in Entzücken:
ich preßte sie heftig an meinen Busen.

Dann erzählt' ich ihr meinen Traum. Wir
blieben lange noch stehen vor dem Bilde Homers,
Arm in Arm, wie zwey Kinder. Die Sonne war
längst aufgestiegen: wir wandelten in's Schloß hin-
über.



der ich wohne. Sie ſchauten empor: auch ich woll-
te mein Auge hinanheben … da erwacht’ ich.

Jch fuͤhlte einen Kuß auf meinen Lippen, Ata-
lanta kniete neben mir, in ihrer Schoͤnheit, zart,
wie junge Erdbeerbluͤthe. Friſche Morgenroſen
flochten ſich durch ihre dunkeln Locken, und auch
mir hatte ſie einen Kranz gewunden. Atalanta!
rief ich, ich hab’ ihn geſehen, unſern Homeros, im
Traume hab’ ich ihn geſehen und nahe war, die
hoͤchſte Schoͤnheit zu ſchauen mit den groͤßten Geiſt-
ern. Ach! und war das Licht um den Saͤnger
reiner und weißer, als dein Angeſicht, Goͤttliche,
Unendlich-Geliebte? war die Erſcheinung beſeligen-
der, als dein Auge voll Frieden und Liebe.

Phaethon .... rief ſie ſchauernd in Entzuͤcken:
ich preßte ſie heftig an meinen Buſen.

Dann erzaͤhlt’ ich ihr meinen Traum. Wir
blieben lange noch ſtehen vor dem Bilde Homers,
Arm in Arm, wie zwey Kinder. Die Sonne war
laͤngſt aufgeſtiegen: wir wandelten in’s Schloß hin-
uͤber.



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[151/0161] der ich wohne. Sie ſchauten empor: auch ich woll- te mein Auge hinanheben … da erwacht’ ich. Jch fuͤhlte einen Kuß auf meinen Lippen, Ata- lanta kniete neben mir, in ihrer Schoͤnheit, zart, wie junge Erdbeerbluͤthe. Friſche Morgenroſen flochten ſich durch ihre dunkeln Locken, und auch mir hatte ſie einen Kranz gewunden. Atalanta! rief ich, ich hab’ ihn geſehen, unſern Homeros, im Traume hab’ ich ihn geſehen und nahe war, die hoͤchſte Schoͤnheit zu ſchauen mit den groͤßten Geiſt- ern. Ach! und war das Licht um den Saͤnger reiner und weißer, als dein Angeſicht, Goͤttliche, Unendlich-Geliebte? war die Erſcheinung beſeligen- der, als dein Auge voll Frieden und Liebe. Phaethon .... rief ſie ſchauernd in Entzuͤcken: ich preßte ſie heftig an meinen Buſen. Dann erzaͤhlt’ ich ihr meinen Traum. Wir blieben lange noch ſtehen vor dem Bilde Homers, Arm in Arm, wie zwey Kinder. Die Sonne war laͤngſt aufgeſtiegen: wir wandelten in’s Schloß hin- uͤber.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/161>, abgerufen am 03.05.2024.