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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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menschwimmt allliebend in den Stunden der Er-
leuchtung mit Gott -- ihr Haupt umschweben, wie
ein Flammenkranz, die leuchtenden Sterne, denn
sie leitet mit ihrer Weisheit die unermeßliche Zahl
der wandelnden Welten in ihrer Bahn -- in ihren
Armen hält sie, wie Blumen und schwellende
Früchte, das Füllhorn der Sittlichkeit und der hö-
heren Schönheit -- um ihre Lippen schwebt, wie
ein Kuß, das unerklärbare Verlangen aller Wesen
nach jenem überschwänglichen Genuß ihres Da-
seyns, und aus ihrem keuschen Busen quillt, wie
zarte Muttermilch, die unendliche Fülle von Harmo-
nie, die mit ihrer schaffenden Urkraft aus dem gestalt-
losen Chaos durch Liebe die Elemente zog, und die
Weltkörper regelnd nach ihrer Triebkraft an ein-
ander stellte.

Phaethons Auge glüht, lispelte Atalanta, und
glühte noch stärker. Meine Seele irrt, wie ein
gold'nes Wölkchen durch den Aether, in diesen end-
losen Fernen der Gedanken.

Die Liebe, Atalanta, schwellet befruchtend die
Seele an, und erfüllt sie mit dem Keime, dem
ewig Wachsenden und Göttlichen, woraus die Weis-
heit und die Tugend, gleich Rosen, sich entwickeln.

menſchwimmt allliebend in den Stunden der Er-
leuchtung mit Gott — ihr Haupt umſchweben, wie
ein Flammenkranz, die leuchtenden Sterne, denn
ſie leitet mit ihrer Weisheit die unermeßliche Zahl
der wandelnden Welten in ihrer Bahn — in ihren
Armen haͤlt ſie, wie Blumen und ſchwellende
Fruͤchte, das Fuͤllhorn der Sittlichkeit und der hoͤ-
heren Schoͤnheit — um ihre Lippen ſchwebt, wie
ein Kuß, das unerklaͤrbare Verlangen aller Weſen
nach jenem uͤberſchwaͤnglichen Genuß ihres Da-
ſeyns, und aus ihrem keuſchen Buſen quillt, wie
zarte Muttermilch, die unendliche Fuͤlle von Harmo-
nie, die mit ihrer ſchaffenden Urkraft aus dem geſtalt-
loſen Chaos durch Liebe die Elemente zog, und die
Weltkoͤrper regelnd nach ihrer Triebkraft an ein-
ander ſtellte.

Phaethons Auge gluͤht, lispelte Atalanta, und
gluͤhte noch ſtaͤrker. Meine Seele irrt, wie ein
gold’nes Woͤlkchen durch den Aether, in dieſen end-
loſen Fernen der Gedanken.

Die Liebe, Atalanta, ſchwellet befruchtend die
Seele an, und erfuͤllt ſie mit dem Keime, dem
ewig Wachſenden und Goͤttlichen, woraus die Weis-
heit und die Tugend, gleich Roſen, ſich entwickeln.

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[112/0122] menſchwimmt allliebend in den Stunden der Er- leuchtung mit Gott — ihr Haupt umſchweben, wie ein Flammenkranz, die leuchtenden Sterne, denn ſie leitet mit ihrer Weisheit die unermeßliche Zahl der wandelnden Welten in ihrer Bahn — in ihren Armen haͤlt ſie, wie Blumen und ſchwellende Fruͤchte, das Fuͤllhorn der Sittlichkeit und der hoͤ- heren Schoͤnheit — um ihre Lippen ſchwebt, wie ein Kuß, das unerklaͤrbare Verlangen aller Weſen nach jenem uͤberſchwaͤnglichen Genuß ihres Da- ſeyns, und aus ihrem keuſchen Buſen quillt, wie zarte Muttermilch, die unendliche Fuͤlle von Harmo- nie, die mit ihrer ſchaffenden Urkraft aus dem geſtalt- loſen Chaos durch Liebe die Elemente zog, und die Weltkoͤrper regelnd nach ihrer Triebkraft an ein- ander ſtellte. Phaethons Auge gluͤht, lispelte Atalanta, und gluͤhte noch ſtaͤrker. Meine Seele irrt, wie ein gold’nes Woͤlkchen durch den Aether, in dieſen end- loſen Fernen der Gedanken. Die Liebe, Atalanta, ſchwellet befruchtend die Seele an, und erfuͤllt ſie mit dem Keime, dem ewig Wachſenden und Goͤttlichen, woraus die Weis- heit und die Tugend, gleich Roſen, ſich entwickeln.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/122>, abgerufen am 08.05.2024.