erkannt und belohnt zu werden, bildet sie das Unschöne nach, um wahr, d. h. nach unsren Begriffen wahr, zu sein, giebt sie es vollends gar auf, schön zu sein. So ge¬ räth die Bildhauerkunst unter dem Bestehen derselben Be¬ dingungen, die sie am künstlichen Leben erhalten, in den unseligen, unfruchtbaren oder Unschönes zeugenden Zustand, aus dem sie sich nothwendig nach Erlösung sehnen muß: die Lebensbedingungen, in die sie sich erlöst wünscht, sind jedoch genau genommen die Bedingungen desjenigen Lebens, dem gegenüber die Bildhauerkunst als selbstständige Kunst geradeswegs aufhören muß. Um schöpferisch werden zu können, sehnt sie sich nach der Herrschaft der Schönheit im wirklichen Leben, aus dem sie einzig lebendigen Stoff zur Erfindung zu gewinnen verhofft: diese Sehnsucht müßte aber, sobald sie erfüllt ist, die ihm innwohnende egoistische Täuschung in so weit offenbaren, als die Bedingungen zum nothwendigen Schaffen der Bildhauerkunst im wirklich leiblich schönen Leben jedenfalls aufgehoben sein würden.
Im gegenwärtigen Leben entspricht die Bildhauer¬ kunst, als selbstständige Kunst, eben nur einem relativen Bedürfnisse: diesem verdankt sie aber in Wirklichkeit ihr heutiges Dasein, ja ihre Blüthe; der andere, dem modernen entgegengesetzte Zustand ist aber der, in welchem ein noth¬ wendiges Bedürfniß nach den Werken der Bildhauerkunst
erkannt und belohnt zu werden, bildet ſie das Unſchöne nach, um wahr, d. h. nach unſren Begriffen wahr, zu ſein, giebt ſie es vollends gar auf, ſchön zu ſein. So ge¬ räth die Bildhauerkunſt unter dem Beſtehen derſelben Be¬ dingungen, die ſie am künſtlichen Leben erhalten, in den unſeligen, unfruchtbaren oder Unſchönes zeugenden Zuſtand, aus dem ſie ſich nothwendig nach Erlöſung ſehnen muß: die Lebensbedingungen, in die ſie ſich erlöſt wünſcht, ſind jedoch genau genommen die Bedingungen desjenigen Lebens, dem gegenüber die Bildhauerkunſt als ſelbſtſtändige Kunſt geradeswegs aufhören muß. Um ſchöpferiſch werden zu können, ſehnt ſie ſich nach der Herrſchaft der Schönheit im wirklichen Leben, aus dem ſie einzig lebendigen Stoff zur Erfindung zu gewinnen verhofft: dieſe Sehnſucht müßte aber, ſobald ſie erfüllt iſt, die ihm innwohnende egoiſtiſche Täuſchung in ſo weit offenbaren, als die Bedingungen zum nothwendigen Schaffen der Bildhauerkunſt im wirklich leiblich ſchönen Leben jedenfalls aufgehoben ſein würden.
Im gegenwärtigen Leben entſpricht die Bildhauer¬ kunſt, als ſelbſtſtändige Kunſt, eben nur einem relativen Bedürfniſſe: dieſem verdankt ſie aber in Wirklichkeit ihr heutiges Daſein, ja ihre Blüthe; der andere, dem modernen entgegengeſetzte Zuſtand iſt aber der, in welchem ein noth¬ wendiges Bedürfniß nach den Werken der Bildhauerkunſt
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erkannt und belohnt zu werden, bildet ſie das Unſchöne
nach, um wahr, d. h. nach unſren Begriffen wahr, zu
ſein, giebt ſie es vollends gar auf, ſchön zu ſein. So ge¬
räth die Bildhauerkunſt unter dem Beſtehen derſelben Be¬
dingungen, die ſie am künſtlichen Leben erhalten, in den
unſeligen, unfruchtbaren oder Unſchönes zeugenden Zuſtand,
aus dem ſie ſich nothwendig nach Erlöſung ſehnen muß:
die Lebensbedingungen, in die ſie ſich erlöſt wünſcht, ſind
jedoch genau genommen die Bedingungen desjenigen Lebens,
dem gegenüber die Bildhauerkunſt als ſelbſtſtändige Kunſt
geradeswegs aufhören muß. Um ſchöpferiſch werden zu
können, ſehnt ſie ſich nach der Herrſchaft der Schönheit im
wirklichen Leben, aus dem ſie einzig lebendigen Stoff zur
Erfindung zu gewinnen verhofft: dieſe Sehnſucht müßte
aber, ſobald ſie erfüllt iſt, die ihm innwohnende egoiſtiſche
Täuſchung in ſo weit offenbaren, als die Bedingungen zum
nothwendigen Schaffen der Bildhauerkunſt im wirklich
leiblich ſchönen Leben jedenfalls aufgehoben ſein
würden.
Im gegenwärtigen Leben entſpricht die Bildhauer¬
kunſt, als ſelbſtſtändige Kunſt, eben nur einem relativen
Bedürfniſſe: dieſem verdankt ſie aber in Wirklichkeit ihr
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entgegengeſetzte Zuſtand iſt aber der, in welchem ein noth¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/184>, abgerufen am 23.07.2024.
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