herrschenden Unschönheit abgiebt und zwar mit einem gewissen Behagen an dem Gefühle ihrer -- relativen -- Noth¬ wendigkeit bei so bestellten Witterungsverhältnissen. Gerade so lange nur vermag nämlich die moderne Bildhauerkunst irgend welchem Bedürfnisse zu entsprechen, als der schöne Mensch im wirklichen Leben nicht vorhanden ist: sein Er¬ scheinen im Leben, sein unmittelbar durch sich maßgebendes Gestalten, müßte der Untergang unsrer heutigen Plastik sein; denn das Bedürfniß, dem sie einzig zu entsprechen vermag, ja -- das sie durch sich künstlich erst anregt, -- ist das, welches aus der Unschönheit des Lebens sich heraus¬ sehnt, nicht aber das, welches aus einem wirklich schönen Leben nach der Darstellung dieses Lebens einzig im leben¬ digen Kunstwerke verlangt. Das wahre, schöpferische, künstlerische Verlangen geht jedoch aus Fülle, nicht aus Mangel hervor: die Fülle der modernen Bildhauerkunst ist aber die Fülle der auf uns gekommenen Monumente grie¬ chischer Plastik; aus dieser Fülle schafft sie nun aber nicht, sondern durch den Mangel an Schönheit im Leben wird sie ihr nur zugetrieben, -- sie versenkt sich in diese Fülle um vor dem Mangel zu flüchten.
So ohne Möglichkeit zu erfinden, verträgt sie endlich, um nur irgend wie zu erfinden, mit der vorhandenen Ge¬ staltung des Lebens: wie in Verzweiflung wirft sie sich das Gewand der Mode vor, und um von diesem Leben wieder¬
herrſchenden Unſchönheit abgiebt und zwar mit einem gewiſſen Behagen an dem Gefühle ihrer — relativen — Noth¬ wendigkeit bei ſo beſtellten Witterungsverhältniſſen. Gerade ſo lange nur vermag nämlich die moderne Bildhauerkunſt irgend welchem Bedürfniſſe zu entſprechen, als der ſchöne Menſch im wirklichen Leben nicht vorhanden iſt: ſein Er¬ ſcheinen im Leben, ſein unmittelbar durch ſich maßgebendes Geſtalten, müßte der Untergang unſrer heutigen Plaſtik ſein; denn das Bedürfniß, dem ſie einzig zu entſprechen vermag, ja — das ſie durch ſich künſtlich erſt anregt, — iſt das, welches aus der Unſchönheit des Lebens ſich heraus¬ ſehnt, nicht aber das, welches aus einem wirklich ſchönen Leben nach der Darſtellung dieſes Lebens einzig im leben¬ digen Kunſtwerke verlangt. Das wahre, ſchöpferiſche, künſtleriſche Verlangen geht jedoch aus Fülle, nicht aus Mangel hervor: die Fülle der modernen Bildhauerkunſt iſt aber die Fülle der auf uns gekommenen Monumente grie¬ chiſcher Plaſtik; aus dieſer Fülle ſchafft ſie nun aber nicht, ſondern durch den Mangel an Schönheit im Leben wird ſie ihr nur zugetrieben, — ſie verſenkt ſich in dieſe Fülle um vor dem Mangel zu flüchten.
So ohne Möglichkeit zu erfinden, verträgt ſie endlich, um nur irgend wie zu erfinden, mit der vorhandenen Ge¬ ſtaltung des Lebens: wie in Verzweiflung wirft ſie ſich das Gewand der Mode vor, und um von dieſem Leben wieder¬
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herrſchenden Unſchönheit abgiebt und zwar mit einem gewiſſen
Behagen an dem Gefühle ihrer — relativen — Noth¬
wendigkeit bei ſo beſtellten Witterungsverhältniſſen. Gerade
ſo lange nur vermag nämlich die moderne Bildhauerkunſt
irgend welchem Bedürfniſſe zu entſprechen, als der ſchöne
Menſch im wirklichen Leben nicht vorhanden iſt: ſein Er¬
ſcheinen im Leben, ſein unmittelbar durch ſich maßgebendes
Geſtalten, müßte der Untergang unſrer heutigen Plaſtik
ſein; denn das Bedürfniß, dem ſie einzig zu entſprechen
vermag, ja — das ſie durch ſich künſtlich erſt anregt, —
iſt das, welches aus der Unſchönheit des Lebens ſich heraus¬
ſehnt, nicht aber das, welches aus einem wirklich ſchönen
Leben nach der Darſtellung dieſes Lebens einzig im leben¬
digen Kunſtwerke verlangt. Das wahre, ſchöpferiſche,
künſtleriſche Verlangen geht jedoch aus Fülle, nicht aus
Mangel hervor: die Fülle der modernen Bildhauerkunſt iſt
aber die Fülle der auf uns gekommenen Monumente grie¬
chiſcher Plaſtik; aus dieſer Fülle ſchafft ſie nun aber
nicht, ſondern durch den Mangel an Schönheit im Leben
wird ſie ihr nur zugetrieben, — ſie verſenkt ſich in dieſe
Fülle um vor dem Mangel zu flüchten.
So ohne Möglichkeit zu erfinden, verträgt ſie endlich,
um nur irgend wie zu erfinden, mit der vorhandenen Ge¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/183>, abgerufen am 23.07.2024.
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