rückzuspiegeln, einmal abgewonnen, -- so war dieses ent¬ deckte Verfahren ein sicher zu erlernendes, und von Nachbildung zu Nachbildung konnte die Bildhauerkunst undenklich lange fortleben, Anmuthiges, Schönes und Wahres hervorbringen, ohne dennoch aus wirklicher, künstlerischer Schöpferkraft Nahrung zu empfangen. So finden wir denn auch, daß zu der Zeit der römischen Welt¬ herrschaft, als aller künstlerische Trieb längst erstorben war, die Bildhauerkunst in zahlreicher Fülle Werke zu Tage brachte, denen künstlerischer Geist inne zu wohnen schien, trotzdem sie doch nur der glücklich nachahmenden Mechanik in Wahrheit ihr Dasein verdankten: sie konnte ein schönes Handwerk werden, als sie aufgehört hatte, Kunst zu sein, was sie genau nur so lange war, als in ihr noch zu entdecken, zu erfinden war; die Wiederholung einer Entdeckung ist aber eben nur Nachahmung.
Durch das eisengepanzerte, oder mönchisch verhüllte Mittelalter her, leuchtete der lebensbedürftigen Menschheit endlich zuerst das schimmernde Marmorfleisch griechischer Leibesschönheit wieder entgegen: an diesem schönen Ge¬ stein, nicht an dem wirklichen Leben der alten Welt sollte die neuere den Menschen wiedererkennen lernen. Unsere moderne Bildhauerkunst entkeimte nicht dem Drange nach Darstellung des wirklich vorhandenen Menschen, den sie durch seine modische Verhüllung kaum zu gewahren ver¬
rückzuſpiegeln, einmal abgewonnen, — ſo war dieſes ent¬ deckte Verfahren ein ſicher zu erlernendes, und von Nachbildung zu Nachbildung konnte die Bildhauerkunſt undenklich lange fortleben, Anmuthiges, Schönes und Wahres hervorbringen, ohne dennoch aus wirklicher, künſtleriſcher Schöpferkraft Nahrung zu empfangen. So finden wir denn auch, daß zu der Zeit der römiſchen Welt¬ herrſchaft, als aller künſtleriſche Trieb längſt erſtorben war, die Bildhauerkunſt in zahlreicher Fülle Werke zu Tage brachte, denen künſtleriſcher Geiſt inne zu wohnen ſchien, trotzdem ſie doch nur der glücklich nachahmenden Mechanik in Wahrheit ihr Daſein verdankten: ſie konnte ein ſchönes Handwerk werden, als ſie aufgehört hatte, Kunſt zu ſein, was ſie genau nur ſo lange war, als in ihr noch zu entdecken, zu erfinden war; die Wiederholung einer Entdeckung iſt aber eben nur Nachahmung.
Durch das eiſengepanzerte, oder mönchiſch verhüllte Mittelalter her, leuchtete der lebensbedürftigen Menſchheit endlich zuerſt das ſchimmernde Marmorfleiſch griechiſcher Leibesſchönheit wieder entgegen: an dieſem ſchönen Ge¬ ſtein, nicht an dem wirklichen Leben der alten Welt ſollte die neuere den Menſchen wiedererkennen lernen. Unſere moderne Bildhauerkunſt entkeimte nicht dem Drange nach Darſtellung des wirklich vorhandenen Menſchen, den ſie durch ſeine modiſche Verhüllung kaum zu gewahren ver¬
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rückzuſpiegeln, einmal abgewonnen, — ſo war dieſes ent¬
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Nachbildung zu Nachbildung konnte die Bildhauerkunſt
undenklich lange fortleben, Anmuthiges, Schönes und
Wahres hervorbringen, ohne dennoch aus wirklicher,
künſtleriſcher Schöpferkraft Nahrung zu empfangen. So
finden wir denn auch, daß zu der Zeit der römiſchen Welt¬
herrſchaft, als aller künſtleriſche Trieb längſt erſtorben
war, die Bildhauerkunſt in zahlreicher Fülle Werke
zu Tage brachte, denen künſtleriſcher Geiſt inne zu wohnen
ſchien, trotzdem ſie doch nur der glücklich nachahmenden
Mechanik in Wahrheit ihr Daſein verdankten: ſie konnte
ein ſchönes Handwerk werden, als ſie aufgehört hatte,
Kunſt zu ſein, was ſie genau nur ſo lange war, als in ihr
noch zu entdecken, zu erfinden war; die Wiederholung einer
Entdeckung iſt aber eben nur Nachahmung.
Durch das eiſengepanzerte, oder mönchiſch verhüllte
Mittelalter her, leuchtete der lebensbedürftigen Menſchheit
endlich zuerſt das ſchimmernde Marmorfleiſch griechiſcher
Leibesſchönheit wieder entgegen: an dieſem ſchönen Ge¬
ſtein, nicht an dem wirklichen Leben der alten Welt ſollte
die neuere den Menſchen wiedererkennen lernen. Unſere
moderne Bildhauerkunſt entkeimte nicht dem Drange nach
Darſtellung des wirklich vorhandenen Menſchen, den
ſie durch ſeine modiſche Verhüllung kaum zu gewahren ver¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/181>, abgerufen am 23.07.2024.
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