Theaters und die Entfernung der Zuschauer bedangen etwa die Erhöhung der menschlichen Gestalt durch den Ko¬ thurn, oder gestatteten etwa eben nur die stabile tragische Maske, -- sondern diese, Kothurn und Maske, waren nothwendige, religiös bedeutungsvolle Attribute, die im Geleite anderer symbolischer Abzeichen dem Darsteller erst seinen wichtigen, priesterlichen Charakter gaben. Wo nun eine Religion, wenn sie aus dem gemeinen Leben zu weichen beginnt und vor der politischen Richtung desselben sich vollends zurückzieht, nur ihrem äußeren Gewande nach eigentlich noch kenntlich vorhanden ist, -- dieß Gewand aber, wie bei den Athenern, nur noch als Bekleidung der Kunst die Gestaltungen wirklichen Lebens anzunehmen ver¬ mag, da muß dieses wirkliche Leben als unverhüllter Kern der Religion auch unumwunden offen sich bekennen. Der Kern der hellenischen Religion, auf den all ihr Wesen im Grunde einzig sich bezog, und wie er im wirklichen Leben bereits unwillkürlich als einzig sich geltend machte, war aber: Der Mensch. An der Kunst war es, dieß Be¬ kenntniß klar und deutlich auszusprechen: sie that es, indem sie das letzte verhüllende Gewand der Religion von sich warf und in voller Nacktheit ihren Kern, den wirklichen leiblichen Menschen zeigte.
Mit dieser Enthüllung war aber auch das gemein¬ schaftliche Kunstwerk vernichtet: das Band der Gemein¬
Theaters und die Entfernung der Zuſchauer bedangen etwa die Erhöhung der menſchlichen Geſtalt durch den Ko¬ thurn, oder geſtatteten etwa eben nur die ſtabile tragiſche Maske, — ſondern dieſe, Kothurn und Maske, waren nothwendige, religiös bedeutungsvolle Attribute, die im Geleite anderer ſymboliſcher Abzeichen dem Darſteller erſt ſeinen wichtigen, prieſterlichen Charakter gaben. Wo nun eine Religion, wenn ſie aus dem gemeinen Leben zu weichen beginnt und vor der politiſchen Richtung deſſelben ſich vollends zurückzieht, nur ihrem äußeren Gewande nach eigentlich noch kenntlich vorhanden iſt, — dieß Gewand aber, wie bei den Athenern, nur noch als Bekleidung der Kunſt die Geſtaltungen wirklichen Lebens anzunehmen ver¬ mag, da muß dieſes wirkliche Leben als unverhüllter Kern der Religion auch unumwunden offen ſich bekennen. Der Kern der helleniſchen Religion, auf den all ihr Weſen im Grunde einzig ſich bezog, und wie er im wirklichen Leben bereits unwillkürlich als einzig ſich geltend machte, war aber: Der Menſch. An der Kunſt war es, dieß Be¬ kenntniß klar und deutlich auszuſprechen: ſie that es, indem ſie das letzte verhüllende Gewand der Religion von ſich warf und in voller Nacktheit ihren Kern, den wirklichen leiblichen Menſchen zeigte.
Mit dieſer Enthüllung war aber auch das gemein¬ ſchaftliche Kunſtwerk vernichtet: das Band der Gemein¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0172"n="156"/>
Theaters und die Entfernung der Zuſchauer bedangen etwa<lb/>
die Erhöhung der menſchlichen Geſtalt durch den <hirendition="#g">Ko¬<lb/>
thurn</hi>, oder geſtatteten etwa eben nur die ſtabile tragiſche<lb/>
Maske, —ſondern dieſe, Kothurn und Maske, waren<lb/>
nothwendige, religiös bedeutungsvolle Attribute, die im<lb/>
Geleite anderer ſymboliſcher Abzeichen dem Darſteller erſt<lb/>ſeinen wichtigen, prieſterlichen Charakter gaben. Wo nun<lb/>
eine Religion, wenn ſie aus dem gemeinen Leben zu weichen<lb/>
beginnt und vor der politiſchen Richtung deſſelben ſich<lb/>
vollends zurückzieht, nur ihrem äußeren Gewande nach<lb/>
eigentlich noch kenntlich vorhanden iſt, — dieß Gewand<lb/>
aber, wie bei den Athenern, nur noch als Bekleidung der<lb/>
Kunſt die Geſtaltungen wirklichen Lebens anzunehmen ver¬<lb/>
mag, da muß dieſes wirkliche Leben als unverhüllter Kern<lb/>
der Religion auch unumwunden offen ſich bekennen. Der<lb/>
Kern der helleniſchen Religion, auf den all ihr Weſen im<lb/>
Grunde einzig ſich bezog, und wie er im wirklichen Leben<lb/>
bereits unwillkürlich als einzig ſich geltend machte, war<lb/>
aber: <hirendition="#g">Der Menſch</hi>. An der Kunſt war es, dieß Be¬<lb/>
kenntniß klar und deutlich auszuſprechen: ſie that es, indem<lb/>ſie das letzte verhüllende Gewand der Religion von ſich<lb/>
warf und in voller Nacktheit ihren Kern, den <hirendition="#g">wirklichen</hi><lb/>
leiblichen Menſchen zeigte.</p><lb/><p>Mit dieſer Enthüllung war aber auch das gemein¬<lb/>ſchaftliche Kunſtwerk vernichtet: das Band der Gemein¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[156/0172]
Theaters und die Entfernung der Zuſchauer bedangen etwa
die Erhöhung der menſchlichen Geſtalt durch den Ko¬
thurn, oder geſtatteten etwa eben nur die ſtabile tragiſche
Maske, — ſondern dieſe, Kothurn und Maske, waren
nothwendige, religiös bedeutungsvolle Attribute, die im
Geleite anderer ſymboliſcher Abzeichen dem Darſteller erſt
ſeinen wichtigen, prieſterlichen Charakter gaben. Wo nun
eine Religion, wenn ſie aus dem gemeinen Leben zu weichen
beginnt und vor der politiſchen Richtung deſſelben ſich
vollends zurückzieht, nur ihrem äußeren Gewande nach
eigentlich noch kenntlich vorhanden iſt, — dieß Gewand
aber, wie bei den Athenern, nur noch als Bekleidung der
Kunſt die Geſtaltungen wirklichen Lebens anzunehmen ver¬
mag, da muß dieſes wirkliche Leben als unverhüllter Kern
der Religion auch unumwunden offen ſich bekennen. Der
Kern der helleniſchen Religion, auf den all ihr Weſen im
Grunde einzig ſich bezog, und wie er im wirklichen Leben
bereits unwillkürlich als einzig ſich geltend machte, war
aber: Der Menſch. An der Kunſt war es, dieß Be¬
kenntniß klar und deutlich auszuſprechen: ſie that es, indem
ſie das letzte verhüllende Gewand der Religion von ſich
warf und in voller Nacktheit ihren Kern, den wirklichen
leiblichen Menſchen zeigte.
Mit dieſer Enthüllung war aber auch das gemein¬
ſchaftliche Kunſtwerk vernichtet: das Band der Gemein¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/172>, abgerufen am 24.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.