Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.einzig nothwendigen Selbstverherrlichung benutzen durfte. 6
einzig nothwendigen Selbſtverherrlichung benutzen durfte. 6
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0137" n="121"/> einzig nothwendigen Selbſtverherrlichung benutzen durfte.<lb/> Aller Stoff, alle Form war ihr nur dazu da, einen abſtrak¬<lb/> ten Gedanken — das idealiſirte ſelbſtſüchtige liebe Ich des<lb/> Dichters dem leſenden Auge auf das Dringendſte anzu¬<lb/> empfehlen. Wie treulos vergaß ſie dabei, daß ſie alle, auch<lb/> die complicirteſten ihrer Formen, doch nur dieſem hoch¬<lb/> müthig verachteten himmliſchen Leben erſt zu verdanken<lb/> hatte! von der Lyrik durch alle Dichtungsformen hindurch<lb/> bis zu dieſem literariſchen Drama, giebt es nicht eine ein¬<lb/> zige, die nicht der leiblichen Unmittelbarkeit des Volks¬<lb/> lebens, als bei weitem <hi rendition="#g">reinere</hi> und <hi rendition="#g">edlere</hi> Form entblüht<lb/> wäre, als ſie unter der Entſtellung durch die unleibliche<lb/> Dichtkunſt ſich kund zu geben vermocht hätte. Was ſind<lb/> alle die Ergebniſſe des ſcheinbar ſelbſtſtändigen Geſtaltens<lb/> der abſtrakten Dichtkunſt in Bezug auf Sprache, Vers und<lb/> Ausdruck, gegen die immer friſch gezeugte Schönheit,<lb/> Mannigfaltigkeit und Vollendung der Volkslyrik, welche<lb/> die <hi rendition="#g">Forſchung</hi> jetzt in höchſtem Reichthume erſt wieder<lb/> unter Schutt und Trümmer hervorzuziehen bemüht iſt?<lb/> Dieſe Volkslieder ſind ohne Tonweiſe aber gar nicht zu<lb/> denken: was aber nicht nur geſprochen, ſondern auch <hi rendition="#g">ge¬<lb/> ſungen</hi> wurde, gehörte dem unmittelbar ſich kundgeben¬<lb/> den Leben an; wer ſpricht und ſingt, der drückt zugleich<lb/> auch durch <hi rendition="#g">Gebärde</hi> und <hi rendition="#g">Bewegung</hi> ſeine Gefühle<lb/> aus, — wenigſtens wer dies unwillkürlich thut, wie das<lb/> <fw place="bottom" type="sig">6<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [121/0137]
einzig nothwendigen Selbſtverherrlichung benutzen durfte.
Aller Stoff, alle Form war ihr nur dazu da, einen abſtrak¬
ten Gedanken — das idealiſirte ſelbſtſüchtige liebe Ich des
Dichters dem leſenden Auge auf das Dringendſte anzu¬
empfehlen. Wie treulos vergaß ſie dabei, daß ſie alle, auch
die complicirteſten ihrer Formen, doch nur dieſem hoch¬
müthig verachteten himmliſchen Leben erſt zu verdanken
hatte! von der Lyrik durch alle Dichtungsformen hindurch
bis zu dieſem literariſchen Drama, giebt es nicht eine ein¬
zige, die nicht der leiblichen Unmittelbarkeit des Volks¬
lebens, als bei weitem reinere und edlere Form entblüht
wäre, als ſie unter der Entſtellung durch die unleibliche
Dichtkunſt ſich kund zu geben vermocht hätte. Was ſind
alle die Ergebniſſe des ſcheinbar ſelbſtſtändigen Geſtaltens
der abſtrakten Dichtkunſt in Bezug auf Sprache, Vers und
Ausdruck, gegen die immer friſch gezeugte Schönheit,
Mannigfaltigkeit und Vollendung der Volkslyrik, welche
die Forſchung jetzt in höchſtem Reichthume erſt wieder
unter Schutt und Trümmer hervorzuziehen bemüht iſt?
Dieſe Volkslieder ſind ohne Tonweiſe aber gar nicht zu
denken: was aber nicht nur geſprochen, ſondern auch ge¬
ſungen wurde, gehörte dem unmittelbar ſich kundgeben¬
den Leben an; wer ſpricht und ſingt, der drückt zugleich
auch durch Gebärde und Bewegung ſeine Gefühle
aus, — wenigſtens wer dies unwillkürlich thut, wie das
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