Behalf sich Shakespeare im Drange nach unmittelbarem Leben mit dem rohen Gerüste seiner Volksbühne, so ge¬ nügte der egoistischen Resignation des modernen Dramati¬ kers die Buchhändlertafel, auf der er sich lebendig todt zum Markte auslegte. Hatte das sinnlich erscheinende Drama sich an das Herz des Volkes geworfen, so legte das "im Verlag" erschienene Bühnenstück sich der Geneigtheit des Kunstkritikers zu Füßen. Aus einer sklavischen Abhängig¬ keit in die andere sich fügend, schwang sich so die drama¬ tische Dichtkunst -- nach ihrem eitlen Wähnen -- zur un¬ begränzten Freiheit auf; -- diese lästigen Bedingungen, unter denen allein ein Drama in das Leben treten konnte, durfte sie ja nun ohne alle Umstände über den Haufen werfen, nur was leben will, hat der Nothwendigkeit zu gehorchen, -- was aber viel mehr als leben, nämlich todt sein will, das kann mit sich machen, was es Lust hat: das Willkürlichste ist in ihm das Nothwendigste, und je unabhängiger von den Bedingungen der sinnlichen Er¬ scheinung, desto unabhängiger durfte die Dichtkunst sich nur noch dem Sichselbstwollen, der absoluten Selbstbe¬ wunderung überlassen.
So war durch die Aufnahme des Drama's in die Literatur nur eine neue Form gewonnen, in der die Dicht¬ kunst nicht wieder sich selbst dichten konnte, vom Leben nur den zufälligen Stoff entnehmend, den sie willkürlich zur
Behalf ſich Shakeſpeare im Drange nach unmittelbarem Leben mit dem rohen Gerüſte ſeiner Volksbühne, ſo ge¬ nügte der egoiſtiſchen Reſignation des modernen Dramati¬ kers die Buchhändlertafel, auf der er ſich lebendig todt zum Markte auslegte. Hatte das ſinnlich erſcheinende Drama ſich an das Herz des Volkes geworfen, ſo legte das „im Verlag“ erſchienene Bühnenſtück ſich der Geneigtheit des Kunſtkritikers zu Füßen. Aus einer ſklaviſchen Abhängig¬ keit in die andere ſich fügend, ſchwang ſich ſo die drama¬ tiſche Dichtkunſt — nach ihrem eitlen Wähnen — zur un¬ begränzten Freiheit auf; — dieſe läſtigen Bedingungen, unter denen allein ein Drama in das Leben treten konnte, durfte ſie ja nun ohne alle Umſtände über den Haufen werfen, nur was leben will, hat der Nothwendigkeit zu gehorchen, — was aber viel mehr als leben, nämlich todt ſein will, das kann mit ſich machen, was es Luſt hat: das Willkürlichſte iſt in ihm das Nothwendigſte, und je unabhängiger von den Bedingungen der ſinnlichen Er¬ ſcheinung, deſto unabhängiger durfte die Dichtkunſt ſich nur noch dem Sichſelbſtwollen, der abſoluten Selbſtbe¬ wunderung überlaſſen.
So war durch die Aufnahme des Drama's in die Literatur nur eine neue Form gewonnen, in der die Dicht¬ kunſt nicht wieder ſich ſelbſt dichten konnte, vom Leben nur den zufälligen Stoff entnehmend, den ſie willkürlich zur
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0136"n="120"/><p>Behalf ſich Shakeſpeare im Drange nach unmittelbarem<lb/>
Leben mit dem rohen Gerüſte ſeiner Volksbühne, ſo ge¬<lb/>
nügte der egoiſtiſchen Reſignation des modernen Dramati¬<lb/>
kers die Buchhändlertafel, auf der er ſich lebendig todt zum<lb/>
Markte auslegte. Hatte das ſinnlich erſcheinende Drama<lb/>ſich an das Herz des Volkes geworfen, ſo legte das „im<lb/>
Verlag“ erſchienene Bühnenſtück ſich der Geneigtheit des<lb/>
Kunſtkritikers zu Füßen. Aus einer ſklaviſchen Abhängig¬<lb/>
keit in die andere ſich fügend, ſchwang ſich ſo die drama¬<lb/>
tiſche Dichtkunſt — nach ihrem eitlen Wähnen — zur un¬<lb/>
begränzten Freiheit auf; — dieſe läſtigen Bedingungen,<lb/>
unter denen allein ein Drama in das Leben treten konnte,<lb/>
durfte ſie ja nun ohne alle Umſtände über den Haufen<lb/>
werfen, nur was <hirendition="#g">leben</hi> will, hat der Nothwendigkeit zu<lb/>
gehorchen, — was aber viel <hirendition="#g">mehr</hi> als leben, nämlich<lb/><hirendition="#g">todt</hi>ſein will, das kann mit ſich machen, was es Luſt<lb/>
hat: das Willkürlichſte iſt in ihm das Nothwendigſte, und<lb/>
je unabhängiger von den Bedingungen der ſinnlichen Er¬<lb/>ſcheinung, deſto unabhängiger durfte die Dichtkunſt ſich<lb/>
nur noch dem Sichſelbſtwollen, der abſoluten Selbſtbe¬<lb/>
wunderung überlaſſen.</p><lb/><p>So war durch die Aufnahme des Drama's in die<lb/>
Literatur nur eine neue Form gewonnen, in der die Dicht¬<lb/>
kunſt nicht wieder ſich ſelbſt dichten konnte, vom Leben nur<lb/>
den zufälligen Stoff entnehmend, den ſie willkürlich zur<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[120/0136]
Behalf ſich Shakeſpeare im Drange nach unmittelbarem
Leben mit dem rohen Gerüſte ſeiner Volksbühne, ſo ge¬
nügte der egoiſtiſchen Reſignation des modernen Dramati¬
kers die Buchhändlertafel, auf der er ſich lebendig todt zum
Markte auslegte. Hatte das ſinnlich erſcheinende Drama
ſich an das Herz des Volkes geworfen, ſo legte das „im
Verlag“ erſchienene Bühnenſtück ſich der Geneigtheit des
Kunſtkritikers zu Füßen. Aus einer ſklaviſchen Abhängig¬
keit in die andere ſich fügend, ſchwang ſich ſo die drama¬
tiſche Dichtkunſt — nach ihrem eitlen Wähnen — zur un¬
begränzten Freiheit auf; — dieſe läſtigen Bedingungen,
unter denen allein ein Drama in das Leben treten konnte,
durfte ſie ja nun ohne alle Umſtände über den Haufen
werfen, nur was leben will, hat der Nothwendigkeit zu
gehorchen, — was aber viel mehr als leben, nämlich
todt ſein will, das kann mit ſich machen, was es Luſt
hat: das Willkürlichſte iſt in ihm das Nothwendigſte, und
je unabhängiger von den Bedingungen der ſinnlichen Er¬
ſcheinung, deſto unabhängiger durfte die Dichtkunſt ſich
nur noch dem Sichſelbſtwollen, der abſoluten Selbſtbe¬
wunderung überlaſſen.
So war durch die Aufnahme des Drama's in die
Literatur nur eine neue Form gewonnen, in der die Dicht¬
kunſt nicht wieder ſich ſelbſt dichten konnte, vom Leben nur
den zufälligen Stoff entnehmend, den ſie willkürlich zur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/136>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.