Wagner, Heinrich Leopold: Die Kindermörderinn. Leipzig, 1776.-- sonst wär sie nie -- Evchen. Das bin ich, bin verführt, übertöl- pelt worden, da ich mirs am wenigsten dachte. Sie hats ja selbst erzählt; das Ersäufen ausge- nommen, ist alles wahr, alles! nur muß ich ihr noch sagen, daß ich nicht wußte, daß wir in ei- nem so schönen Hauß waren, noch weniger hab ich am Schlaftrunk Antheil gehabt. -- Diese zwey Umstände, die ich von ihr erfahren, zeigen mir die ganze schwarze Seele des Niederträchtigen, der mich so tief herabsetzte. -- Noch blieb mir immer wenigstens ein Schatten von Hofnung übrig, nun ist auch der verschwunden, und mit ihm alles -- nun kann ich nichts mehr, als -- (stokt, sieht mit- leidsvoll ihr Kind an.) Fr. Marthan. O sie kann noch glücklicher wie- der werden; vielleicht kommt er doch wieder, wo sie sichs gar nicht vermuthet. Evchen. Wieder! -- Er sollte wiederkommen! Frau Marthan, sieht sies, ich bin nur ein Weibs- bild, aber -- wenn er wiederkommt, mir wieder unter die Augen tritt, so stoß ich ihm mit der einen Hand diesen Brief hier, sieht sie -- (zieht ihn aus der Tasche.) unter die Nase, und mit der andern bohr ich ihm ein Brodmesser ins Herz. -- Er hats um mich verdient! -- vorher hab ich ihn (auf den Brief deutend, und ihn wieder einsteckend) nicht ganz verstanden; sie hat mir erst die Augen geöf-
— ſonſt waͤr ſie nie — Evchen. Das bin ich, bin verfuͤhrt, uͤbertoͤl- pelt worden, da ich mirs am wenigſten dachte. Sie hats ja ſelbſt erzaͤhlt; das Erſaͤufen ausge- nommen, iſt alles wahr, alles! nur muß ich ihr noch ſagen, daß ich nicht wußte, daß wir in ei- nem ſo ſchoͤnen Hauß waren, noch weniger hab ich am Schlaftrunk Antheil gehabt. — Dieſe zwey Umſtaͤnde, die ich von ihr erfahren, zeigen mir die ganze ſchwarze Seele des Niedertraͤchtigen, der mich ſo tief herabſetzte. — Noch blieb mir immer wenigſtens ein Schatten von Hofnung uͤbrig, nun iſt auch der verſchwunden, und mit ihm alles — nun kann ich nichts mehr, als — (ſtokt, ſieht mit- leidsvoll ihr Kind an.) Fr. Marthan. O ſie kann noch gluͤcklicher wie- der werden; vielleicht kommt er doch wieder, wo ſie ſichs gar nicht vermuthet. Evchen. Wieder! — Er ſollte wiederkommen! Frau Marthan, ſieht ſies, ich bin nur ein Weibs- bild, aber — wenn er wiederkommt, mir wieder unter die Augen tritt, ſo ſtoß ich ihm mit der einen Hand dieſen Brief hier, ſieht ſie — (zieht ihn aus der Taſche.) unter die Naſe, und mit der andern bohr ich ihm ein Brodmeſſer ins Herz. — Er hats um mich verdient! — vorher hab ich ihn (auf den Brief deutend, und ihn wieder einſteckend) nicht ganz verſtanden; ſie hat mir erſt die Augen geoͤf-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#MART"> <p><pb facs="#f0112" n="110"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw> ich da ſagte — ganz gewiß iſt ſie verfuͤhrt worden<lb/> — ſonſt waͤr ſie nie —</p> </sp><lb/> <sp who="#EHUM"> <speaker> <hi rendition="#b">Evchen.</hi> </speaker> <p>Das bin ich, bin verfuͤhrt, uͤbertoͤl-<lb/> pelt worden, da ich mirs am wenigſten dachte.<lb/> Sie hats ja ſelbſt erzaͤhlt; das Erſaͤufen ausge-<lb/> nommen, iſt alles wahr, alles! nur muß ich ihr<lb/> noch ſagen, daß ich nicht wußte, daß wir in ei-<lb/> nem ſo ſchoͤnen Hauß waren, noch weniger hab<lb/> ich am Schlaftrunk Antheil gehabt. — Dieſe zwey<lb/> Umſtaͤnde, die ich von ihr erfahren, zeigen mir die<lb/> ganze ſchwarze Seele des Niedertraͤchtigen, der<lb/> mich ſo tief herabſetzte. — Noch blieb mir immer<lb/> wenigſtens ein Schatten von Hofnung uͤbrig, nun<lb/> iſt auch <hi rendition="#fr">der</hi> verſchwunden, und mit ihm alles —<lb/> nun kann ich nichts mehr, als —</p> <stage>(ſtokt, ſieht mit-<lb/> leidsvoll ihr Kind an.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#MART"> <speaker> <hi rendition="#b">Fr. Marthan.</hi> </speaker> <p>O ſie kann noch gluͤcklicher wie-<lb/> der werden; vielleicht kommt er doch wieder, wo<lb/> ſie ſichs gar nicht vermuthet.</p> </sp><lb/> <sp who="#EHUM"> <speaker> <hi rendition="#b">Evchen.</hi> </speaker> <p>Wieder! — Er ſollte wiederkommen!<lb/> Frau Marthan, ſieht ſies, ich bin nur ein Weibs-<lb/> bild, aber — wenn er wiederkommt, mir wieder<lb/> unter die Augen tritt, ſo ſtoß ich ihm mit der<lb/> einen Hand dieſen Brief hier, ſieht ſie — <stage>(zieht<lb/> ihn aus der Taſche.)</stage> unter die Naſe, und mit der<lb/> andern bohr ich ihm ein Brodmeſſer ins Herz. —<lb/> Er hats um mich verdient! — vorher hab ich ihn<lb/><stage>(auf den Brief deutend, und ihn wieder einſteckend)</stage><lb/> nicht ganz verſtanden; ſie hat mir erſt die Augen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">geoͤf-</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [110/0112]
ich da ſagte — ganz gewiß iſt ſie verfuͤhrt worden
— ſonſt waͤr ſie nie —
Evchen. Das bin ich, bin verfuͤhrt, uͤbertoͤl-
pelt worden, da ich mirs am wenigſten dachte.
Sie hats ja ſelbſt erzaͤhlt; das Erſaͤufen ausge-
nommen, iſt alles wahr, alles! nur muß ich ihr
noch ſagen, daß ich nicht wußte, daß wir in ei-
nem ſo ſchoͤnen Hauß waren, noch weniger hab
ich am Schlaftrunk Antheil gehabt. — Dieſe zwey
Umſtaͤnde, die ich von ihr erfahren, zeigen mir die
ganze ſchwarze Seele des Niedertraͤchtigen, der
mich ſo tief herabſetzte. — Noch blieb mir immer
wenigſtens ein Schatten von Hofnung uͤbrig, nun
iſt auch der verſchwunden, und mit ihm alles —
nun kann ich nichts mehr, als — (ſtokt, ſieht mit-
leidsvoll ihr Kind an.)
Fr. Marthan. O ſie kann noch gluͤcklicher wie-
der werden; vielleicht kommt er doch wieder, wo
ſie ſichs gar nicht vermuthet.
Evchen. Wieder! — Er ſollte wiederkommen!
Frau Marthan, ſieht ſies, ich bin nur ein Weibs-
bild, aber — wenn er wiederkommt, mir wieder
unter die Augen tritt, ſo ſtoß ich ihm mit der
einen Hand dieſen Brief hier, ſieht ſie — (zieht
ihn aus der Taſche.) unter die Naſe, und mit der
andern bohr ich ihm ein Brodmeſſer ins Herz. —
Er hats um mich verdient! — vorher hab ich ihn
(auf den Brief deutend, und ihn wieder einſteckend)
nicht ganz verſtanden; ſie hat mir erſt die Augen
geoͤf-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |