Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_041.001 1 pwa_041.032 Hel. V. 32 f.: That scoldun sea fiorei thuo fingron screiban, settian endi pwa_041.033 singan endi seggean forth u. s. w. 2 pwa_041.034 Otfr. 1, 1; LB. 14, 84, 25. 29: Thaß Kristes uuort uns sagetun ... Uuanta pwa_041.035 sie iß gisungun. 3 pwa_041.036 Litt. Gesch. S. 9. 4 pwa_041.037
Litt. Gesch. S. 11. 41. pwa_041.001 1 pwa_041.032 Hel. V. 32 f.: That scoldun seâ fiorî thuo fingron scrîƀan, settian endi pwa_041.033 singan endi seggean forth u. s. w. 2 pwa_041.034 Otfr. 1, 1; LB. 14, 84, 25. 29: Thaʒ Kristes uuort uns sagetun ... Uuanta pwa_041.035 sie iʒ gisungun. 3 pwa_041.036 Litt. Gesch. S. 9. 4 pwa_041.037
Litt. Gesch. S. 11. 41. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0059" n="41"/> <p><lb n="pwa_041.001"/> Nun noch die deutschen Ausdrücke. Alt- und echtdeutsch wird <lb n="pwa_041.002"/> für Dichten <hi rendition="#i">singen</hi> oder <hi rendition="#i">sagen,</hi> oder in tautologischer Verbindung <lb n="pwa_041.003"/> <hi rendition="#i">singen und sagen</hi> gebraucht. Jenes zielt auf den musikalischen Vortrag, <lb n="pwa_041.004"/> dieses auf die künstlerische Gestaltung der Sprache; <hi rendition="#i">singen und <lb n="pwa_041.005"/> sagen</hi> vereinigt althochdeutsch und altsächsisch beide Beziehungen. <lb n="pwa_041.006"/> Diese Verbindung ist so fest sprichwörtlich, und so wenig hatte man <lb n="pwa_041.007"/> Kenntniss von einer andern Art des Vortrages, dass die altsächsische <lb n="pwa_041.008"/> Evangelienharmonie (Heliand) sogar von den Evangelisten erzählt, sie <lb n="pwa_041.009"/> hätten gesagt und gesungen<note xml:id="pwa_041_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_041.032"/> Hel. V. 32 f.: That scoldun seâ fiorî thuo fingron scrîƀan, settian endi <lb n="pwa_041.033"/> singan endi seggean forth u. s. w.</note>, und Otfried von eben denselben unmittelbar <lb n="pwa_041.010"/> neben einander zuerst <hi rendition="#i">sagen</hi> und dann <hi rendition="#i">singen</hi> gebraucht<note xml:id="pwa_041_2" place="foot" n="2"><lb n="pwa_041.034"/> Otfr. 1, 1; LB. 1<hi rendition="#sup">4</hi>, 84, 25. 29: Thaʒ Kristes uuort uns sagetun ... Uuanta <lb n="pwa_041.035"/> sie iʒ gisungun.</note>. Späterhin, <lb n="pwa_041.011"/> wo Poesie und Musik sich trennen, trennen sich auch diese <lb n="pwa_041.012"/> Ausdrücke, und während <hi rendition="#i">sagen</hi> von Gedichten gilt, die nur zum <lb n="pwa_041.013"/> Lesen bestimmt sind, wird <hi rendition="#i">singen</hi> von solchen gebraucht, die musikalische <lb n="pwa_041.014"/> Begleitung haben. Demgemäss wird ein gesungenes Gedicht <lb n="pwa_041.015"/> <hi rendition="#i">sanc</hi> oder <hi rendition="#i">liet</hi> (d. h. Strophe), ein bloss gelesenes <hi rendition="#i">buoch</hi> genannt. <lb n="pwa_041.016"/> Der älteste nationale Ausdruck für Dichter ist nicht <hi rendition="#i">Barde:</hi> denn <lb n="pwa_041.017"/> Barden hat es nach dem einstimmigen Zeugniss der Alten, der Griechen <lb n="pwa_041.018"/> sowie der Römer, nur bei den Galliern gegęben. Und wenn <lb n="pwa_041.019"/> Tacitus in der Germania cp. 3 den germanischen Schlachtgesang <hi rendition="#i">barditus</hi><note xml:id="pwa_041_3" place="foot" n="3"><lb n="pwa_041.036"/> Litt. Gesch. S. 9.</note> <lb n="pwa_041.020"/> nennt, so ist damit nicht sowohl das Lied selbst, als vielmehr <lb n="pwa_041.021"/> die Art des Vortrages, der relatus gemeint: barditus ist ein Schildgesang, <lb n="pwa_041.022"/> von <hi rendition="#i">barđi</hi> Schild, so genannt, weil die alten Deutschen den <lb n="pwa_041.023"/> Schild vor den Mund hielten, damit der Ton rauher anschwelle. Der <lb n="pwa_041.024"/> älteste Name des Dichters ist <hi rendition="#i">scof</hi><note xml:id="pwa_041_4" place="foot" n="4"><lb n="pwa_041.037"/> Litt. Gesch. S. 11. 41.</note>, von der Wurzel <hi rendition="#i">schaffen,</hi> wie <lb n="pwa_041.025"/> <foreign xml:lang="grc">ποιητής</foreign> von <foreign xml:lang="grc">ποιέω</foreign>. Im Altnordischen heisst er <hi rendition="#i">skâld,</hi> von <hi rendition="#i">schelten,</hi> <lb n="pwa_041.026"/> mit Bezug auf die satirische Richtung der Poesie. Die jetzt üblichen <lb n="pwa_041.027"/> Worte <hi rendition="#i">dichten, Dichter, Gedicht,</hi> altdeutsch <hi rendition="#i">tihten</hi> (daher noch jetzt <lb n="pwa_041.028"/> <hi rendition="#i">tichten und trachten</hi>), <hi rendition="#i">tihtaere, getihte</hi> kommen vom lateinischen <hi rendition="#i">dictare,</hi> <lb n="pwa_041.029"/> dem Frequentativum und Intensivum von <hi rendition="#i">dicere; dictare</hi> aber bedeutet <lb n="pwa_041.030"/> im mittelalterlichen Latein s. v. a. schreiben, schriftlich abfassen, und <lb n="pwa_041.031"/> wird nur von geschriebenen Erzeugnissen gebraucht.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0059]
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Nun noch die deutschen Ausdrücke. Alt- und echtdeutsch wird pwa_041.002
für Dichten singen oder sagen, oder in tautologischer Verbindung pwa_041.003
singen und sagen gebraucht. Jenes zielt auf den musikalischen Vortrag, pwa_041.004
dieses auf die künstlerische Gestaltung der Sprache; singen und pwa_041.005
sagen vereinigt althochdeutsch und altsächsisch beide Beziehungen. pwa_041.006
Diese Verbindung ist so fest sprichwörtlich, und so wenig hatte man pwa_041.007
Kenntniss von einer andern Art des Vortrages, dass die altsächsische pwa_041.008
Evangelienharmonie (Heliand) sogar von den Evangelisten erzählt, sie pwa_041.009
hätten gesagt und gesungen 1, und Otfried von eben denselben unmittelbar pwa_041.010
neben einander zuerst sagen und dann singen gebraucht 2. Späterhin, pwa_041.011
wo Poesie und Musik sich trennen, trennen sich auch diese pwa_041.012
Ausdrücke, und während sagen von Gedichten gilt, die nur zum pwa_041.013
Lesen bestimmt sind, wird singen von solchen gebraucht, die musikalische pwa_041.014
Begleitung haben. Demgemäss wird ein gesungenes Gedicht pwa_041.015
sanc oder liet (d. h. Strophe), ein bloss gelesenes buoch genannt. pwa_041.016
Der älteste nationale Ausdruck für Dichter ist nicht Barde: denn pwa_041.017
Barden hat es nach dem einstimmigen Zeugniss der Alten, der Griechen pwa_041.018
sowie der Römer, nur bei den Galliern gegęben. Und wenn pwa_041.019
Tacitus in der Germania cp. 3 den germanischen Schlachtgesang barditus 3 pwa_041.020
nennt, so ist damit nicht sowohl das Lied selbst, als vielmehr pwa_041.021
die Art des Vortrages, der relatus gemeint: barditus ist ein Schildgesang, pwa_041.022
von barđi Schild, so genannt, weil die alten Deutschen den pwa_041.023
Schild vor den Mund hielten, damit der Ton rauher anschwelle. Der pwa_041.024
älteste Name des Dichters ist scof 4, von der Wurzel schaffen, wie pwa_041.025
ποιητής von ποιέω. Im Altnordischen heisst er skâld, von schelten, pwa_041.026
mit Bezug auf die satirische Richtung der Poesie. Die jetzt üblichen pwa_041.027
Worte dichten, Dichter, Gedicht, altdeutsch tihten (daher noch jetzt pwa_041.028
tichten und trachten), tihtaere, getihte kommen vom lateinischen dictare, pwa_041.029
dem Frequentativum und Intensivum von dicere; dictare aber bedeutet pwa_041.030
im mittelalterlichen Latein s. v. a. schreiben, schriftlich abfassen, und pwa_041.031
wird nur von geschriebenen Erzeugnissen gebraucht.
1 pwa_041.032
Hel. V. 32 f.: That scoldun seâ fiorî thuo fingron scrîƀan, settian endi pwa_041.033
singan endi seggean forth u. s. w.
2 pwa_041.034
Otfr. 1, 1; LB. 14, 84, 25. 29: Thaʒ Kristes uuort uns sagetun ... Uuanta pwa_041.035
sie iʒ gisungun.
3 pwa_041.036
Litt. Gesch. S. 9.
4 pwa_041.037
Litt. Gesch. S. 11. 41.
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