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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Weitläuftigkeit. Die Cumulation häuft also Vorstellungen an, die nah pwa_415.002
an einander grenzen; sie verharrt nicht grade bei Einem und demselben, pwa_415.003
nicht bei vollkommen Gleichem, sie bringt nur Aehnliches pwa_415.004
zum Aehnlichen.

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Darin besteht ein wesentlicher Unterschied derselben von zwei pwa_415.006
anderen Ausdrucksweisen, von der Tautologie und vom Parallelismus. pwa_415.007
Tautologische Redensarten sind der Poesie aller Völker und demgemäss pwa_415.008
auch der feierlichen, poetisch gefärbten Sprache des Rechtes pwa_415.009
und staatlicher Handlungen von jeher ganz geläufig gewesen. Es ist pwa_415.010
aber eine tautologische Redensart, wenn derselbe Begriff zwei- oder pwa_415.011
wohl gar dreimal hinter einander mit wechselnden Worten benannt pwa_415.012
wird, wenn nicht bloss ähnliche, nah verwandte Begriffe gehäuft, sondern pwa_415.013
verschiedene Ausdrucksweisen des gleichen Begriffes mit einander pwa_415.014
gepaart werden. Zweigliedrige Tautologien sind z. B.: "Art und Weise, pwa_415.015
Hohn und Spott, Ort und Stelle, nackt und bloss, lieb und werth;" bei pwa_415.016
den Römern: "aequius melius, palam atque aperte;" dreigliedrige: "frei, pwa_415.017
los und ledig; hegen, schirmen und schützen; volo statuo iubeo, fauste pwa_415.018
feliciter prospereque." Das waren zum Theil Beispiele aus der Rechtssprache; pwa_415.019
aber wie gesagt, diese Redensarten gehören mit zu der Poesie pwa_415.020
des Rechtes, und so sind sie auch sonst in der Poesie wohl zu Hause; pwa_415.021
es giebt Dichter, die von tautologischen Redensarten wimmeln, die pwa_415.022
sich ihrer bis zum Uebermass und Ueberdruss bedienen. So namentlich pwa_415.023
Konrad von Würzburg, bei dem auch viele Cumulationen verwandter pwa_415.024
Begriffe vorkommen. Als Beispiel diene der Anfang des Trojanerkrieges, pwa_415.025
wo Konrad das Wesen und die Würde der Dichtkunst pwa_415.026
mit einer Einsicht und einer Begeisterung erörtert, die freilich sein Vermögen pwa_415.027
namhaft überragen (LB. 14, 769. 15, 949). Die in diesem Eingang pwa_415.028
begegnenden Tautologien sind: "bringen unde geben, schoene unde pwa_415.029
waehe, tiur unde fremde, sein fuoge und sein kunst, dicke und ofte, pwa_415.030
spannet unde dont, rinnet unde fliußet, lauter unde glanz, merket unde pwa_415.031
erkennet" u. s. w. Zahlreiche Beispiele aus der Rechtssprache bei pwa_415.032
Jac. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer (2. Ausg.) S. 13 fgg.

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Eine besondere Art der Tautologie ist diejenige, wo der gleiche pwa_415.034
Begriff erst positiv, dann negativ, erst als positiver Satz, dann als pwa_415.035
negativer Gegensatz erscheint. So bei Jeremias 30, 19: "Denn ich will pwa_415.036
sie mehren und nicht mindern, ich will sie herrlich machen und nicht pwa_415.037
kleinern." Dergleichen schon bei Homer: "palai outi neon ge" (Il. 9, pwa_415.038
527 u. a.) und bei altdeutschen Dichtern, wie in altdeutschen Rechtsbüchern pwa_415.039
und Urkunden, z. B. Titurel (LB. 14, 451. 15, 631): "Man mac pwa_415.040
mich vür die alten senden wol zelen, niht für die jungen." So ferner: pwa_415.041
"fördern und nicht hindern, bessern und nicht ärgern" (Grimm, Rechtsalterthümer

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Weitläuftigkeit. Die Cumulation häuft also Vorstellungen an, die nah pwa_415.002
an einander grenzen; sie verharrt nicht grade bei Einem und demselben, pwa_415.003
nicht bei vollkommen Gleichem, sie bringt nur Aehnliches pwa_415.004
zum Aehnlichen.

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Darin besteht ein wesentlicher Unterschied derselben von zwei pwa_415.006
anderen Ausdrucksweisen, von der Tautologie und vom Parallelismus. pwa_415.007
Tautologische Redensarten sind der Poesie aller Völker und demgemäss pwa_415.008
auch der feierlichen, poetisch gefärbten Sprache des Rechtes pwa_415.009
und staatlicher Handlungen von jeher ganz geläufig gewesen. Es ist pwa_415.010
aber eine tautologische Redensart, wenn derselbe Begriff zwei- oder pwa_415.011
wohl gar dreimal hinter einander mit wechselnden Worten benannt pwa_415.012
wird, wenn nicht bloss ähnliche, nah verwandte Begriffe gehäuft, sondern pwa_415.013
verschiedene Ausdrucksweisen des gleichen Begriffes mit einander pwa_415.014
gepaart werden. Zweigliedrige Tautologien sind z. B.: „Art und Weise, pwa_415.015
Hohn und Spott, Ort und Stelle, nackt und bloss, lieb und werth;“ bei pwa_415.016
den Römern: „aequius melius, palam atque aperte;“ dreigliedrige: „frei, pwa_415.017
los und ledig; hegen, schirmen und schützen; volo statuo iubeo, fauste pwa_415.018
feliciter prospereque.“ Das waren zum Theil Beispiele aus der Rechtssprache; pwa_415.019
aber wie gesagt, diese Redensarten gehören mit zu der Poesie pwa_415.020
des Rechtes, und so sind sie auch sonst in der Poesie wohl zu Hause; pwa_415.021
es giebt Dichter, die von tautologischen Redensarten wimmeln, die pwa_415.022
sich ihrer bis zum Uebermass und Ueberdruss bedienen. So namentlich pwa_415.023
Konrad von Würzburg, bei dem auch viele Cumulationen verwandter pwa_415.024
Begriffe vorkommen. Als Beispiel diene der Anfang des Trojanerkrieges, pwa_415.025
wo Konrad das Wesen und die Würde der Dichtkunst pwa_415.026
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spannet unde dont, rinnet unde fliuʒet, lûter unde glanz, merket unde pwa_415.031
erkennet“ u. s. w. Zahlreiche Beispiele aus der Rechtssprache bei pwa_415.032
Jac. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer (2. Ausg.) S. 13 fgg.

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Eine besondere Art der Tautologie ist diejenige, wo der gleiche pwa_415.034
Begriff erst positiv, dann negativ, erst als positiver Satz, dann als pwa_415.035
negativer Gegensatz erscheint. So bei Jeremias 30, 19: „Denn ich will pwa_415.036
sie mehren und nicht mindern, ich will sie herrlich machen und nicht pwa_415.037
kleinern.“ Dergleichen schon bei Homer: „πάλαι οὔτι νέον γε“ (Il. 9, pwa_415.038
527 u. a.) und bei altdeutschen Dichtern, wie in altdeutschen Rechtsbüchern pwa_415.039
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mich vür die alten senden wol zelen, niht für die jungen.“ So ferner: pwa_415.041
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/433>, abgerufen am 22.11.2024.