Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_391.001 pwa_391.017 pwa_391.001 pwa_391.017 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0409" n="391"/><lb n="pwa_391.001"/> Palme statt Frieden; ebenso Thron, Stuhl, Krone, Scepter, Sprengel. <lb n="pwa_391.002"/> Eine Art der Metonymie streift nahe an die Allusion, nämlich der <lb n="pwa_391.003"/> Gebrauch des Beinamens statt der Person oder Sache selbst; z. B. <lb n="pwa_391.004"/> Stagirit statt Aristoteles, Pelide statt Achilles, Mäonide statt Homer, <lb n="pwa_391.005"/> Sieger von Marengo statt Napoleon, Themsestadt statt London. Ausserdem <lb n="pwa_391.006"/> giebt es noch mancherlei andere Metonymien, die sich nicht mit <lb n="pwa_391.007"/> solcher Bestimmtheit classificieren lassen, z. B. wenn man von Jemanden <lb n="pwa_391.008"/> sagt, er sei abgebrannt, während doch nur sein Haus verbrannte, <lb n="pwa_391.009"/> eine Metonymie, die schon die Römer kannten: „Hospes arsit“ Hor. <lb n="pwa_391.010"/> Sat. 1, 5, 72. „Proximus ardet Ucalegon“ Virg. Aen. 2, 311 (Wenn erst <lb n="pwa_391.011"/> Ukalegon, dein Nachbar, steht im Rauch, Rachel Sat. 3 im LB. 2, 462). <lb n="pwa_391.012"/> Die Metonymie ist gut und recht, wenn man sie nicht häuft, und <lb n="pwa_391.013"/> wenn die Vertauschung so natürlich ist, dass die Möglichkeit derselben <lb n="pwa_391.014"/> nahe an die Nothwendigkeit grenzt. Aber namentlich beim Symbolverhältniss <lb n="pwa_391.015"/> und beim Gebrauch der Beinamen wird oft gefehlt und <lb n="pwa_391.016"/> die Anschaulichkeit der Gelehrsamkeit aufgeopfert.</p> <p><lb n="pwa_391.017"/> Einen andern Tropus stellen wir am besten gleich mit der Metonymie <lb n="pwa_391.018"/> zusammen, weil er gewissermassen die grade Umkehrung desselben <lb n="pwa_391.019"/> ist: das <hi rendition="#b">Wortspiel.</hi> Bei der Metonymie werden beide, Vorstellung <lb n="pwa_391.020"/> und Wort, verändert, aber das Wort mehr als die Vorstellung: <lb n="pwa_391.021"/> denn die neue Vorstellung verharrt in der allernächsten Beziehung <lb n="pwa_391.022"/> zu der eigentlichen alten, während das eigentliche und das uneigentliche <lb n="pwa_391.023"/> Wort, als Worte betrachtet, nichts mit einander gemein haben. <lb n="pwa_391.024"/> Anders beim Wortspiel: hier wird das gegeben vorliegende Wort als <lb n="pwa_391.025"/> Wort nur unmerklich verändert, aber mit dieser unmerklichen Veränderung <lb n="pwa_391.026"/> des Wortes verknüpft sich die merklichste und wesentlichste <lb n="pwa_391.027"/> Veränderung der Vorstellung: es tritt eine neue Vorstellung ein, die <lb n="pwa_391.028"/> mit der des veränderten Wortes wenig oder vielleicht nichts mehr <lb n="pwa_391.029"/> gemein hat; ja es kann das Wort selbst in seiner Form gänzlich <lb n="pwa_391.030"/> unverändert bleiben und sich dennoch dem Zusammenhange gemäss <lb n="pwa_391.031"/> plötzlich eine ganz andre und neue Vorstellung damit verbinden. <lb n="pwa_391.032"/> Bei der Metonymie wird also nur die Vorstellung etwas auf die Seite <lb n="pwa_391.033"/> hin gerückt, und damit wechselt der Ausdruck; beim Wortspiel rückt <lb n="pwa_391.034"/> man den Ausdruck etwas auf die Seite, und damit wechselt die Vorstellung. <lb n="pwa_391.035"/> Diess ist das Wesentliche des Wortspiels; Alles, was sonst <lb n="pwa_391.036"/> noch darüber kann gesagt werden, leitet sich einfach und von selbst <lb n="pwa_391.037"/> aus diesem her und bedarf deshalb keiner weiteren Ausführung. <lb n="pwa_391.038"/> Die griechische Rhetorik nennt das Wortspiel <foreign xml:lang="grc">παρονομασία</foreign>, die lateinische <lb n="pwa_391.039"/> <hi rendition="#i">annominatio;</hi> so bei Quintilian an mehreren Stellen (Inst. 9, 3, 66); <lb n="pwa_391.040"/> auch handelt davon ein Capitel in den Rhetoricis ad Herennium <lb n="pwa_391.041"/> 4, 21, das einige Proben des lateinischen Wortspielwitzes darbietet, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [391/0409]
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Palme statt Frieden; ebenso Thron, Stuhl, Krone, Scepter, Sprengel. pwa_391.002
Eine Art der Metonymie streift nahe an die Allusion, nämlich der pwa_391.003
Gebrauch des Beinamens statt der Person oder Sache selbst; z. B. pwa_391.004
Stagirit statt Aristoteles, Pelide statt Achilles, Mäonide statt Homer, pwa_391.005
Sieger von Marengo statt Napoleon, Themsestadt statt London. Ausserdem pwa_391.006
giebt es noch mancherlei andere Metonymien, die sich nicht mit pwa_391.007
solcher Bestimmtheit classificieren lassen, z. B. wenn man von Jemanden pwa_391.008
sagt, er sei abgebrannt, während doch nur sein Haus verbrannte, pwa_391.009
eine Metonymie, die schon die Römer kannten: „Hospes arsit“ Hor. pwa_391.010
Sat. 1, 5, 72. „Proximus ardet Ucalegon“ Virg. Aen. 2, 311 (Wenn erst pwa_391.011
Ukalegon, dein Nachbar, steht im Rauch, Rachel Sat. 3 im LB. 2, 462). pwa_391.012
Die Metonymie ist gut und recht, wenn man sie nicht häuft, und pwa_391.013
wenn die Vertauschung so natürlich ist, dass die Möglichkeit derselben pwa_391.014
nahe an die Nothwendigkeit grenzt. Aber namentlich beim Symbolverhältniss pwa_391.015
und beim Gebrauch der Beinamen wird oft gefehlt und pwa_391.016
die Anschaulichkeit der Gelehrsamkeit aufgeopfert.
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Einen andern Tropus stellen wir am besten gleich mit der Metonymie pwa_391.018
zusammen, weil er gewissermassen die grade Umkehrung desselben pwa_391.019
ist: das Wortspiel. Bei der Metonymie werden beide, Vorstellung pwa_391.020
und Wort, verändert, aber das Wort mehr als die Vorstellung: pwa_391.021
denn die neue Vorstellung verharrt in der allernächsten Beziehung pwa_391.022
zu der eigentlichen alten, während das eigentliche und das uneigentliche pwa_391.023
Wort, als Worte betrachtet, nichts mit einander gemein haben. pwa_391.024
Anders beim Wortspiel: hier wird das gegeben vorliegende Wort als pwa_391.025
Wort nur unmerklich verändert, aber mit dieser unmerklichen Veränderung pwa_391.026
des Wortes verknüpft sich die merklichste und wesentlichste pwa_391.027
Veränderung der Vorstellung: es tritt eine neue Vorstellung ein, die pwa_391.028
mit der des veränderten Wortes wenig oder vielleicht nichts mehr pwa_391.029
gemein hat; ja es kann das Wort selbst in seiner Form gänzlich pwa_391.030
unverändert bleiben und sich dennoch dem Zusammenhange gemäss pwa_391.031
plötzlich eine ganz andre und neue Vorstellung damit verbinden. pwa_391.032
Bei der Metonymie wird also nur die Vorstellung etwas auf die Seite pwa_391.033
hin gerückt, und damit wechselt der Ausdruck; beim Wortspiel rückt pwa_391.034
man den Ausdruck etwas auf die Seite, und damit wechselt die Vorstellung. pwa_391.035
Diess ist das Wesentliche des Wortspiels; Alles, was sonst pwa_391.036
noch darüber kann gesagt werden, leitet sich einfach und von selbst pwa_391.037
aus diesem her und bedarf deshalb keiner weiteren Ausführung. pwa_391.038
Die griechische Rhetorik nennt das Wortspiel παρονομασία, die lateinische pwa_391.039
annominatio; so bei Quintilian an mehreren Stellen (Inst. 9, 3, 66); pwa_391.040
auch handelt davon ein Capitel in den Rhetoricis ad Herennium pwa_391.041
4, 21, das einige Proben des lateinischen Wortspielwitzes darbietet,
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