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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Die Tropen. Von den Tropen wird, da sie die Vorstellung in pwa_390.002
viel höherem Grade versinnlichen als die Figuren, auch die Einbildung pwa_390.003
mehr angesprochen, und sie sagen der Poesie noch mehr zu als diese. pwa_390.004
Deshalb hat sich diese Ausdrucksweise auch reicher und mannigfaltiger pwa_390.005
ausgebildet, und die Reihe der Tropen ist grösser als die der Figuren. pwa_390.006
Wir beginnen dieselbe mit der Metonymie (metonumia).

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Metonymie heisst eigentlich Umnennung, Vertauschung des Namens: pwa_390.008
es wird aber doch nicht bloss der Name, sondern in der That die pwa_390.009
Vorstellung selbst wesentlich verändert und deshalb auch der Name. pwa_390.010
Es werden nämlich bei der Metonymie Begriffe mit einander vertauscht, pwa_390.011
die in einer natürlichen, durch Einbildung und Verstand leicht pwa_390.012
findbaren Verbindung mit einander stehn: sie hat ihren Grund in einem pwa_390.013
Zusammenhange oder einer Verwandtschaft der Begriffe. Solcher pwa_390.014
Zusammenhangs- und Verwandtschaftsverhältnisse giebt es aber eine pwa_390.015
grosse Menge. Die wichtigsten sind etwa folgende. Zunächst das pwa_390.016
Raumverhältniss: man nennt den Ort statt dessen, was sich darin pwa_390.017
befindet; z. B. "Der Wald besingt des Schöpfers Lob", d. h. die Vögel pwa_390.018
im Wald. Jerem. 4, 29: "Alle Städte werden vor dem Geschrei der pwa_390.019
Reiter und Schützen fliehen und in die dicken Wälder laufen und in pwa_390.020
die Felsen kriechen." 1 Mos. 41, 57: "Alle Lande kamen in Aegypten, pwa_390.021
zu kaufen bei Joseph." Matth. 3, 5: "Da gieng zu ihm hinaus die Stadt pwa_390.022
Jerusalem und das ganze jüdische Land und alle Länder an dem pwa_390.023
Jordan." Sodann das Zeitverhältniss: es wird der Zeitraum gesetzt pwa_390.024
statt derer, die darin leben; z. B. "Jahrhunderte harrten vergebens"; pwa_390.025
das Vorhergehende statt des unmittelbar Nachfolgenden; man sagt pwa_390.026
z. B. die letzte Umarmung und meint die Trennung, die darauf folgt, pwa_390.027
ein Tropus, den man auch mit dem besondern Namen metalepsis, pwa_390.028
Nachfolge benennt. Ferner das Stoffverhältniss: man nennt den Stoff pwa_390.029
statt dessen, was daraus bereitet ist; z. B. Eisen, Stahl statt Schwert; pwa_390.030
Eisen statt Ketten; Fichte, Esche statt Schiff; Esche statt Lanze; pwa_390.031
Linde statt Schild. Dann das Causalitätsverhältniss: man nennt die pwa_390.032
Ursache statt der Wirkung, z. B. Arbeit der Stiere statt Getreide; pwa_390.033
die Wirkung statt der Ursache, z. B. "Die Wolken träufeln Segen" pwa_390.034
(statt Regen); "Hütten, um die der Landmann stille Schatten pflanzt" pwa_390.035
(statt Bäume); zuweilen wird auch eine Wirkung statt der andern pwa_390.036
gesetzt, so z. B. wenn man das Getreide den Schweiss des Landmanns pwa_390.037
nennt, da der Schweiss auch nur begleitende Wirkung der pwa_390.038
Arbeit ist; der Zweck statt des Werkzeuges, z. B. "Die Straf er zückt pwa_390.039
vom Leder," d. h. das Schwert, womit er strafen will (Spee, Trutz- pwa_390.040
Nachtigall 138). Endlich das Symbolverhältniss: man nennt das Zeichen pwa_390.041
statt des Bezeichneten, z. B. Lorbeer statt Ruhm, Sieg; Oelzweig,

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Die Tropen. Von den Tropen wird, da sie die Vorstellung in pwa_390.002
viel höherem Grade versinnlichen als die Figuren, auch die Einbildung pwa_390.003
mehr angesprochen, und sie sagen der Poesie noch mehr zu als diese. pwa_390.004
Deshalb hat sich diese Ausdrucksweise auch reicher und mannigfaltiger pwa_390.005
ausgebildet, und die Reihe der Tropen ist grösser als die der Figuren. pwa_390.006
Wir beginnen dieselbe mit der Metonymie (μετωνυμία).

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Metonymie heisst eigentlich Umnennung, Vertauschung des Namens: pwa_390.008
es wird aber doch nicht bloss der Name, sondern in der That die pwa_390.009
Vorstellung selbst wesentlich verändert und deshalb auch der Name. pwa_390.010
Es werden nämlich bei der Metonymie Begriffe mit einander vertauscht, pwa_390.011
die in einer natürlichen, durch Einbildung und Verstand leicht pwa_390.012
findbaren Verbindung mit einander stehn: sie hat ihren Grund in einem pwa_390.013
Zusammenhange oder einer Verwandtschaft der Begriffe. Solcher pwa_390.014
Zusammenhangs- und Verwandtschaftsverhältnisse giebt es aber eine pwa_390.015
grosse Menge. Die wichtigsten sind etwa folgende. Zunächst das pwa_390.016
Raumverhältniss: man nennt den Ort statt dessen, was sich darin pwa_390.017
befindet; z. B. „Der Wald besingt des Schöpfers Lob“, d. h. die Vögel pwa_390.018
im Wald. Jerem. 4, 29: „Alle Städte werden vor dem Geschrei der pwa_390.019
Reiter und Schützen fliehen und in die dicken Wälder laufen und in pwa_390.020
die Felsen kriechen.“ 1 Mos. 41, 57: „Alle Lande kamen in Aegypten, pwa_390.021
zu kaufen bei Joseph.“ Matth. 3, 5: „Da gieng zu ihm hinaus die Stadt pwa_390.022
Jerusalem und das ganze jüdische Land und alle Länder an dem pwa_390.023
Jordan.“ Sodann das Zeitverhältniss: es wird der Zeitraum gesetzt pwa_390.024
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das Vorhergehende statt des unmittelbar Nachfolgenden; man sagt pwa_390.026
z. B. die letzte Umarmung und meint die Trennung, die darauf folgt, pwa_390.027
ein Tropus, den man auch mit dem besondern Namen μετάληψις, pwa_390.028
Nachfolge benennt. Ferner das Stoffverhältniss: man nennt den Stoff pwa_390.029
statt dessen, was daraus bereitet ist; z. B. Eisen, Stahl statt Schwert; pwa_390.030
Eisen statt Ketten; Fichte, Esche statt Schiff; Esche statt Lanze; pwa_390.031
Linde statt Schild. Dann das Causalitätsverhältniss: man nennt die pwa_390.032
Ursache statt der Wirkung, z. B. Arbeit der Stiere statt Getreide; pwa_390.033
die Wirkung statt der Ursache, z. B. „Die Wolken träufeln Segen“ pwa_390.034
(statt Regen); „Hütten, um die der Landmann stille Schatten pflanzt“ pwa_390.035
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vom Leder,“ d. h. das Schwert, womit er strafen will (Spee, Trutz- pwa_390.040
Nachtigall 138). Endlich das Symbolverhältniss: man nennt das Zeichen pwa_390.041
statt des Bezeichneten, z. B. Lorbeer statt Ruhm, Sieg; Oelzweig,

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[390/0408] pwa_390.001 Die Tropen. Von den Tropen wird, da sie die Vorstellung in pwa_390.002 viel höherem Grade versinnlichen als die Figuren, auch die Einbildung pwa_390.003 mehr angesprochen, und sie sagen der Poesie noch mehr zu als diese. pwa_390.004 Deshalb hat sich diese Ausdrucksweise auch reicher und mannigfaltiger pwa_390.005 ausgebildet, und die Reihe der Tropen ist grösser als die der Figuren. pwa_390.006 Wir beginnen dieselbe mit der Metonymie (μετωνυμία). pwa_390.007 Metonymie heisst eigentlich Umnennung, Vertauschung des Namens: pwa_390.008 es wird aber doch nicht bloss der Name, sondern in der That die pwa_390.009 Vorstellung selbst wesentlich verändert und deshalb auch der Name. pwa_390.010 Es werden nämlich bei der Metonymie Begriffe mit einander vertauscht, pwa_390.011 die in einer natürlichen, durch Einbildung und Verstand leicht pwa_390.012 findbaren Verbindung mit einander stehn: sie hat ihren Grund in einem pwa_390.013 Zusammenhange oder einer Verwandtschaft der Begriffe. Solcher pwa_390.014 Zusammenhangs- und Verwandtschaftsverhältnisse giebt es aber eine pwa_390.015 grosse Menge. Die wichtigsten sind etwa folgende. Zunächst das pwa_390.016 Raumverhältniss: man nennt den Ort statt dessen, was sich darin pwa_390.017 befindet; z. B. „Der Wald besingt des Schöpfers Lob“, d. h. die Vögel pwa_390.018 im Wald. Jerem. 4, 29: „Alle Städte werden vor dem Geschrei der pwa_390.019 Reiter und Schützen fliehen und in die dicken Wälder laufen und in pwa_390.020 die Felsen kriechen.“ 1 Mos. 41, 57: „Alle Lande kamen in Aegypten, pwa_390.021 zu kaufen bei Joseph.“ Matth. 3, 5: „Da gieng zu ihm hinaus die Stadt pwa_390.022 Jerusalem und das ganze jüdische Land und alle Länder an dem pwa_390.023 Jordan.“ Sodann das Zeitverhältniss: es wird der Zeitraum gesetzt pwa_390.024 statt derer, die darin leben; z. B. „Jahrhunderte harrten vergebens“; pwa_390.025 das Vorhergehende statt des unmittelbar Nachfolgenden; man sagt pwa_390.026 z. B. die letzte Umarmung und meint die Trennung, die darauf folgt, pwa_390.027 ein Tropus, den man auch mit dem besondern Namen μετάληψις, pwa_390.028 Nachfolge benennt. Ferner das Stoffverhältniss: man nennt den Stoff pwa_390.029 statt dessen, was daraus bereitet ist; z. B. Eisen, Stahl statt Schwert; pwa_390.030 Eisen statt Ketten; Fichte, Esche statt Schiff; Esche statt Lanze; pwa_390.031 Linde statt Schild. Dann das Causalitätsverhältniss: man nennt die pwa_390.032 Ursache statt der Wirkung, z. B. Arbeit der Stiere statt Getreide; pwa_390.033 die Wirkung statt der Ursache, z. B. „Die Wolken träufeln Segen“ pwa_390.034 (statt Regen); „Hütten, um die der Landmann stille Schatten pflanzt“ pwa_390.035 (statt Bäume); zuweilen wird auch eine Wirkung statt der andern pwa_390.036 gesetzt, so z. B. wenn man das Getreide den Schweiss des Landmanns pwa_390.037 nennt, da der Schweiss auch nur begleitende Wirkung der pwa_390.038 Arbeit ist; der Zweck statt des Werkzeuges, z. B. „Die Straf er zückt pwa_390.039 vom Leder,“ d. h. das Schwert, womit er strafen will (Spee, Trutz- pwa_390.040 Nachtigall 138). Endlich das Symbolverhältniss: man nennt das Zeichen pwa_390.041 statt des Bezeichneten, z. B. Lorbeer statt Ruhm, Sieg; Oelzweig,

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/408>, abgerufen am 22.11.2024.