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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Dergleichen ist also dem Historiker eben so wohl verwehrt als etwa pwa_330.002
dem Philosophen oder dem Naturforscher. Ein schwächerer Grad der pwa_330.003
Veraltung ist die Alterthümlichkeit. Alterthümliche Worte, lateinisch pwa_330.004
verba antiqua, heissen solche, die nur noch im Begriffe stehn zu veralten, pwa_330.005
die bereits selten, die im Allgemeinen auch schon erloschen pwa_330.006
und nur noch etwa innerhalb gewisser Kreise, unter besonderen Umständen pwa_330.007
gebräuchlich und zulässig sind. Dergleichen sind bei uns mancherlei pwa_330.008
Worte und Wortformen der kirchlichen und der Canzleisprache, wie pwa_330.009
sie auf dem Grunde von Luthers Bibel sich gebildet hat. Endlich pwa_330.010
verba vetusta, alte Worte, sind solche, die mit dem Begriffe zugleich pwa_330.011
verschwunden sind, die man also für gewöhnlich nur deswegen nicht pwa_330.012
gebraucht, weil die bezeichnete Sache selbst für uns nicht mehr vorhanden pwa_330.013
ist, die man aber gleich gebrauchen muss, so wie auch der pwa_330.014
Begriff wieder in den Kreis unserer Gedanken gezogen wird. Und in pwa_330.015
diesem Falle ist dann der Archaismus kein Fehler. Dergleichen wird pwa_330.016
aber, da es sich hier um Auffrischung vergangener Dinge und Ausdrücke pwa_330.017
handelt, nur in der historischen und etwa auch in der mit pwa_330.018
ihr verwandten beschreibenden Prosa vorkommen; in der didactischen pwa_330.019
dagegen nur in so fern, als sie vielleicht einmal in den Bereich der pwa_330.020
Geschichtsschreibung hinüberstreift. Als Beispiel mögen die beiden pwa_330.021
Worte Krieg und Fehde dienen. Sie sind synonym: gleichwohl wird pwa_330.022
z. B. ein Philosoph nicht ohne weiteres Fehde sagen dürfen: es ist pwa_330.023
eben ein verbum vetustum, der Begriff ist für uns nicht mehr vorhanden pwa_330.024
und darum auch nicht das Wort. Wo dagegen ein Historiker pwa_330.025
und wo der historische Jurist Dinge des Mittelalters und grade pwa_330.026
diese mittelalterliche Art von Privatkrieg zu behandeln hat, da darf pwa_330.027
er nicht nur, da muss er sogar auch die alte Sache mit ihrem alten pwa_330.028
Namen belegen: da ist derselbe kein Fehler. Und wie hier, so pwa_330.029
ist es auch in hundert anderen Fällen. Weil nun aber die Historiker pwa_330.030
durch die Gegenstände, welche ihrer Erzählung vorliegen, so pwa_330.031
oft genöthigt werden, verba vetusta anzuwenden, so lassen sie sich, pwa_330.032
und da fängt denn der Fehler an, bald unvermerkt, bald freiwillig pwa_330.033
und bewusst auch zum Gebrauch von antiquis, ja wohl von eigentlichen pwa_330.034
obsoletis verleiten und setzen alterthümliche und veraltete Worte, pwa_330.035
wo doch der Begriff kein alter ist, und wo ihnen mehr als Ein noch pwa_330.036
jetzt allgemein gangbares und darum verständlicheres Wort zu Gebote pwa_330.037
stünde. Dieser Vorwurf trifft zum Theil Johannes von Müller, er pwa_330.038
trifft noch mehr die zahlreichen Nachahmer, die er gefunden hat und pwa_330.039
täglich noch findet. Da geht denn das wunderlichste Gemisch durcheinander pwa_330.040
von ganz mittelalterlichen Worten und von altfränkischen pwa_330.041
Worten der Perückenzeit. Da darf z. B. nicht mehr Gelehrsamkeit

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Dergleichen ist also dem Historiker eben so wohl verwehrt als etwa pwa_330.002
dem Philosophen oder dem Naturforscher. Ein schwächerer Grad der pwa_330.003
Veraltung ist die Alterthümlichkeit. Alterthümliche Worte, lateinisch pwa_330.004
verba antiqua, heissen solche, die nur noch im Begriffe stehn zu veralten, pwa_330.005
die bereits selten, die im Allgemeinen auch schon erloschen pwa_330.006
und nur noch etwa innerhalb gewisser Kreise, unter besonderen Umständen pwa_330.007
gebräuchlich und zulässig sind. Dergleichen sind bei uns mancherlei pwa_330.008
Worte und Wortformen der kirchlichen und der Canzleisprache, wie pwa_330.009
sie auf dem Grunde von Luthers Bibel sich gebildet hat. Endlich pwa_330.010
verba vetusta, alte Worte, sind solche, die mit dem Begriffe zugleich pwa_330.011
verschwunden sind, die man also für gewöhnlich nur deswegen nicht pwa_330.012
gebraucht, weil die bezeichnete Sache selbst für uns nicht mehr vorhanden pwa_330.013
ist, die man aber gleich gebrauchen muss, so wie auch der pwa_330.014
Begriff wieder in den Kreis unserer Gedanken gezogen wird. Und in pwa_330.015
diesem Falle ist dann der Archaismus kein Fehler. Dergleichen wird pwa_330.016
aber, da es sich hier um Auffrischung vergangener Dinge und Ausdrücke pwa_330.017
handelt, nur in der historischen und etwa auch in der mit pwa_330.018
ihr verwandten beschreibenden Prosa vorkommen; in der didactischen pwa_330.019
dagegen nur in so fern, als sie vielleicht einmal in den Bereich der pwa_330.020
Geschichtsschreibung hinüberstreift. Als Beispiel mögen die beiden pwa_330.021
Worte Krieg und Fehde dienen. Sie sind synonym: gleichwohl wird pwa_330.022
z. B. ein Philosoph nicht ohne weiteres Fehde sagen dürfen: es ist pwa_330.023
eben ein verbum vetustum, der Begriff ist für uns nicht mehr vorhanden pwa_330.024
und darum auch nicht das Wort. Wo dagegen ein Historiker pwa_330.025
und wo der historische Jurist Dinge des Mittelalters und grade pwa_330.026
diese mittelalterliche Art von Privatkrieg zu behandeln hat, da darf pwa_330.027
er nicht nur, da muss er sogar auch die alte Sache mit ihrem alten pwa_330.028
Namen belegen: da ist derselbe kein Fehler. Und wie hier, so pwa_330.029
ist es auch in hundert anderen Fällen. Weil nun aber die Historiker pwa_330.030
durch die Gegenstände, welche ihrer Erzählung vorliegen, so pwa_330.031
oft genöthigt werden, verba vetusta anzuwenden, so lassen sie sich, pwa_330.032
und da fängt denn der Fehler an, bald unvermerkt, bald freiwillig pwa_330.033
und bewusst auch zum Gebrauch von antiquis, ja wohl von eigentlichen pwa_330.034
obsoletis verleiten und setzen alterthümliche und veraltete Worte, pwa_330.035
wo doch der Begriff kein alter ist, und wo ihnen mehr als Ein noch pwa_330.036
jetzt allgemein gangbares und darum verständlicheres Wort zu Gebote pwa_330.037
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trifft noch mehr die zahlreichen Nachahmer, die er gefunden hat und pwa_330.039
täglich noch findet. Da geht denn das wunderlichste Gemisch durcheinander pwa_330.040
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/348>, abgerufen am 23.11.2024.