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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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her gewohnten Form der kurzen Reimpaare. Davon ist schon vorher pwa_200.002
die Rede gewesen (S. 176).

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Gleichzeitig wählte das Drama andrer Länder andere Formen; pwa_200.004
zu erwähnen sind der Alexandriner der Franzosen, der assonierende pwa_200.005
trochäische Vers der Spanier und der elfsilbige reimlose Iambus der pwa_200.006
Italiäner und der Engländer, alles eigentlich epische Versarten. Letztere pwa_200.007
Form ist nun auch bei uns die gebräuchliche; und es kann denen, pwa_200.008
die sich vor gar zu grossem poetischen Schmuck in der Rede des pwa_200.009
Dramas fürchten, ein Trost sein, dass dieser Hendecasyllabus der pwa_200.010
baaren Prosa noch um vieles näher liegt als der griechische Trimeter.

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Indem nun überall die gleiche Versart sich in langen Reihen pwa_200.012
immer wiederholt, indem ganze grosse Theile eines griechischen pwa_200.013
Dramas in Trimetern abgefasst sind, und ein modernes Drama, wenn pwa_200.014
es mit dem Alexandriner beginnt, auch mit dem Alexandriner schliesst: pwa_200.015
so wird durch diese Einförmigkeit die metrische Rede zugleich der pwa_200.016
prosaischen noch ähnlicher gemacht, und zugleich schliesst sich damit pwa_200.017
das Drama enge an das Epos an, das ja dieselbe Einfachheit der pwa_200.018
Wiederholung liebt. Wie aber im Epos jeder Hexameter wieder seine pwa_200.019
characteristische Eigenthümlichkeit aufweisen kann, so ist auch dem pwa_200.020
Dramatiker überall Raum genug gelassen, die Einförmigkeit der Wiederholung pwa_200.021
durch Mannigfaltigkeit in untergeordneten Einzelheiten zu pwa_200.022
beleben.

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Nachdem wir nun so die Gesetze mit einander besprochen haben, pwa_200.024
welche in Anschauung und Darstellung bei jeder dramatischen Production pwa_200.025
leitend sind, könnten wir jetzo gleich zur Betrachtung der pwa_200.026
einzelnen Arten übergehen, wenn nicht manche Erscheinungen der pwa_200.027
letzten litterarischen Periode nöthig machten, jenen Gesetzen noch ausdrücklich pwa_200.028
eine Vorschrift beizufügen, die man früherhin würde bis zur pwa_200.029
Lächerlichkeit überflüssig gefunden haben, die Vorschrift nämlich, pwa_200.030
dass ein dramatisches Gedicht auch aufführbar sein solle, dass es pwa_200.031
wirklich, so wie es geschrieben ist, auf der Bühne müsse dargestellt pwa_200.032
werden können.

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Wie gesagt, in andern Zeiten als den unsrigen würde diese pwa_200.034
Regel bloss lächerlich geklungen haben. Ein Grieche hätte gefragt: pwa_200.035
Wenn man nicht die Aufführung bezweckt und Schritt für Schritt im pwa_200.036
Auge hat, wozu die dramatische Auffassung, die dialogische Gestaltung pwa_200.037
des Stoffes? Wenn man nicht an die Scenerie der Bühne denkt, pwa_200.038
wozu die Eintheilung in Acte, in Scenen, in Auftritte? u. s. f. Aber pwa_200.039
unsre Litteratur steht einmal nicht mehr so zum Leben und zum Volke, pwa_200.040
wie die griechische und wie lange genug auch die deutsche selbst pwa_200.041
gestanden hat; sie ruht bei all ihrem Reichthum doch nicht so auf

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her gewohnten Form der kurzen Reimpaare. Davon ist schon vorher pwa_200.002
die Rede gewesen (S. 176).

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Gleichzeitig wählte das Drama andrer Länder andere Formen; pwa_200.004
zu erwähnen sind der Alexandriner der Franzosen, der assonierende pwa_200.005
trochäische Vers der Spanier und der elfsilbige reimlose Iambus der pwa_200.006
Italiäner und der Engländer, alles eigentlich epische Versarten. Letztere pwa_200.007
Form ist nun auch bei uns die gebräuchliche; und es kann denen, pwa_200.008
die sich vor gar zu grossem poetischen Schmuck in der Rede des pwa_200.009
Dramas fürchten, ein Trost sein, dass dieser Hendecasyllabus der pwa_200.010
baaren Prosa noch um vieles näher liegt als der griechische Trimeter.

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Indem nun überall die gleiche Versart sich in langen Reihen pwa_200.012
immer wiederholt, indem ganze grosse Theile eines griechischen pwa_200.013
Dramas in Trimetern abgefasst sind, und ein modernes Drama, wenn pwa_200.014
es mit dem Alexandriner beginnt, auch mit dem Alexandriner schliesst: pwa_200.015
so wird durch diese Einförmigkeit die metrische Rede zugleich der pwa_200.016
prosaischen noch ähnlicher gemacht, und zugleich schliesst sich damit pwa_200.017
das Drama enge an das Epos an, das ja dieselbe Einfachheit der pwa_200.018
Wiederholung liebt. Wie aber im Epos jeder Hexameter wieder seine pwa_200.019
characteristische Eigenthümlichkeit aufweisen kann, so ist auch dem pwa_200.020
Dramatiker überall Raum genug gelassen, die Einförmigkeit der Wiederholung pwa_200.021
durch Mannigfaltigkeit in untergeordneten Einzelheiten zu pwa_200.022
beleben.

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Nachdem wir nun so die Gesetze mit einander besprochen haben, pwa_200.024
welche in Anschauung und Darstellung bei jeder dramatischen Production pwa_200.025
leitend sind, könnten wir jetzo gleich zur Betrachtung der pwa_200.026
einzelnen Arten übergehen, wenn nicht manche Erscheinungen der pwa_200.027
letzten litterarischen Periode nöthig machten, jenen Gesetzen noch ausdrücklich pwa_200.028
eine Vorschrift beizufügen, die man früherhin würde bis zur pwa_200.029
Lächerlichkeit überflüssig gefunden haben, die Vorschrift nämlich, pwa_200.030
dass ein dramatisches Gedicht auch aufführbar sein solle, dass es pwa_200.031
wirklich, so wie es geschrieben ist, auf der Bühne müsse dargestellt pwa_200.032
werden können.

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Wie gesagt, in andern Zeiten als den unsrigen würde diese pwa_200.034
Regel bloss lächerlich geklungen haben. Ein Grieche hätte gefragt: pwa_200.035
Wenn man nicht die Aufführung bezweckt und Schritt für Schritt im pwa_200.036
Auge hat, wozu die dramatische Auffassung, die dialogische Gestaltung pwa_200.037
des Stoffes? Wenn man nicht an die Scenerie der Bühne denkt, pwa_200.038
wozu die Eintheilung in Acte, in Scenen, in Auftritte? u. s. f. Aber pwa_200.039
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/218>, abgerufen am 22.11.2024.