Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_128.001 pwa_128.009 pwa_128.015 pwa_128.040 pwa_128.001 pwa_128.009 pwa_128.015 pwa_128.040 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0146" n="128"/> <p><lb n="pwa_128.001"/> Neben dieser objectiven epischen Lyrik giebt es noch ein andres <lb n="pwa_128.002"/> Verfahren, noch eine zweite Art, die auch auf epischen Anstössen und <lb n="pwa_128.003"/> Grundlagen beruht, bei der jedoch das Epische und das Lyrische sich <lb n="pwa_128.004"/> nicht in eben dieser Art und Weise mit einander verschmelzen, sondern <lb n="pwa_128.005"/> die Aussenwelt gesondert vor dem Dichter daliegt, und er dieselbe <lb n="pwa_128.006"/> in seiner Individualität und aus dieser heraus betrachtet. Zu dieser <lb n="pwa_128.007"/> Art von epischer Lyrik, die wir im Gegensatz zu jener die subjective <lb n="pwa_128.008"/> nennen können, gehört zuerst und zumeist die <hi rendition="#b">Elegie.</hi></p> <p><lb n="pwa_128.009"/> Wir sind gewohnt, die Worte <hi rendition="#i">Elegie</hi> und <hi rendition="#i">elegisch</hi> in einem eingeschränkten <lb n="pwa_128.010"/> Sinne zu nehmen, der den Griechen, von denen wir <lb n="pwa_128.011"/> doch Wort und Sache selbst bekommen haben, fremd ist. Wir sehen <lb n="pwa_128.012"/> für jetzt billiger Weise noch ganz von diesem einengenden Gebrauche <lb n="pwa_128.013"/> ab und fassen den Begriff in seiner ganzen, ihm gebührenden Ausdehnung.</p> <lb n="pwa_128.014"/> <p><lb n="pwa_128.015"/> Die Elegie der Griechen liegt recht eigentlich an der Grenze <lb n="pwa_128.016"/> zwischen dem epischen Gebiet und dem lyrischen, schon auf dem <lb n="pwa_128.017"/> lyrischen, aber noch hart am Uebergange und Anfange. Es mischen <lb n="pwa_128.018"/> sich da epische Anschauung und lyrische, so dass letztere zwar durchaus <lb n="pwa_128.019"/> herrschend bleibt und überwiegt, jene aber ebenso nothwendig <lb n="pwa_128.020"/> ist für das Wesen des Ganzen. Der Dichter nimmt die Wirklichkeit <lb n="pwa_128.021"/> ausser ihm, seien das nun einzelne, ihn besonders nah berührende, <lb n="pwa_128.022"/> frische Thatsachen, oder sei es die gesammte Aeusserlichkeit des <lb n="pwa_128.023"/> Menschenlebens oder der Natur, wie sie in ihrem ruhigen Bestande <lb n="pwa_128.024"/> ihn gegenwärtig umgiebt: der Dichter nimmt diese frische Wirklichkeit <lb n="pwa_128.025"/> mit all der epischen Objectivität, deren sie nur fähig ist, in sich auf <lb n="pwa_128.026"/> und knüpft daran eine mehr oder weniger leidenschaftlich bewegte <lb n="pwa_128.027"/> Entwickelung der subjectiven inneren Zustände, welche jene äussere <lb n="pwa_128.028"/> Gegenständlichkeit in ihm, in ihm selbst erregt. Wie somit die Elegie <lb n="pwa_128.029"/> episch und lyrisch zugleich ist, so ist sie auch bei den Griechen die <lb n="pwa_128.030"/> älteste Form der epischen Lyrik, diejenige Form, welche den Uebertritt <lb n="pwa_128.031"/> der Dichtkunst aus dem Gebiete des epischen Gesanges in das <lb n="pwa_128.032"/> des lyrischen historisch vermittelt hat und Alles in ihr und an ihr, <lb n="pwa_128.033"/> das Land, wo sie entsprungen ist, die metrische Form, in welcher <lb n="pwa_128.034"/> sie sich bewegt, der Name, den sie führt, der ganze Stufengang <lb n="pwa_128.035"/> der Entwickelung, den sie durchlaufen hat, das eigenthümliche <lb n="pwa_128.036"/> Wesen, zu welchem sie dabei gelangt ist, Alles das sind Nachwirkungen <lb n="pwa_128.037"/> und characteristische Spuren ihres organischen Zusammenhanges <lb n="pwa_128.038"/> mit der Epik. Wir betrachten deshalb diese einzelnen <lb n="pwa_128.039"/> Beziehungen näher.</p> <p><lb n="pwa_128.040"/> Das Land und das Volk, dem die griechische Elegie ihre Entstehung <lb n="pwa_128.041"/> verdankt, und von dem sie auch bis in die spätesten Zeiten </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [128/0146]
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Neben dieser objectiven epischen Lyrik giebt es noch ein andres pwa_128.002
Verfahren, noch eine zweite Art, die auch auf epischen Anstössen und pwa_128.003
Grundlagen beruht, bei der jedoch das Epische und das Lyrische sich pwa_128.004
nicht in eben dieser Art und Weise mit einander verschmelzen, sondern pwa_128.005
die Aussenwelt gesondert vor dem Dichter daliegt, und er dieselbe pwa_128.006
in seiner Individualität und aus dieser heraus betrachtet. Zu dieser pwa_128.007
Art von epischer Lyrik, die wir im Gegensatz zu jener die subjective pwa_128.008
nennen können, gehört zuerst und zumeist die Elegie.
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Wir sind gewohnt, die Worte Elegie und elegisch in einem eingeschränkten pwa_128.010
Sinne zu nehmen, der den Griechen, von denen wir pwa_128.011
doch Wort und Sache selbst bekommen haben, fremd ist. Wir sehen pwa_128.012
für jetzt billiger Weise noch ganz von diesem einengenden Gebrauche pwa_128.013
ab und fassen den Begriff in seiner ganzen, ihm gebührenden Ausdehnung.
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Die Elegie der Griechen liegt recht eigentlich an der Grenze pwa_128.016
zwischen dem epischen Gebiet und dem lyrischen, schon auf dem pwa_128.017
lyrischen, aber noch hart am Uebergange und Anfange. Es mischen pwa_128.018
sich da epische Anschauung und lyrische, so dass letztere zwar durchaus pwa_128.019
herrschend bleibt und überwiegt, jene aber ebenso nothwendig pwa_128.020
ist für das Wesen des Ganzen. Der Dichter nimmt die Wirklichkeit pwa_128.021
ausser ihm, seien das nun einzelne, ihn besonders nah berührende, pwa_128.022
frische Thatsachen, oder sei es die gesammte Aeusserlichkeit des pwa_128.023
Menschenlebens oder der Natur, wie sie in ihrem ruhigen Bestande pwa_128.024
ihn gegenwärtig umgiebt: der Dichter nimmt diese frische Wirklichkeit pwa_128.025
mit all der epischen Objectivität, deren sie nur fähig ist, in sich auf pwa_128.026
und knüpft daran eine mehr oder weniger leidenschaftlich bewegte pwa_128.027
Entwickelung der subjectiven inneren Zustände, welche jene äussere pwa_128.028
Gegenständlichkeit in ihm, in ihm selbst erregt. Wie somit die Elegie pwa_128.029
episch und lyrisch zugleich ist, so ist sie auch bei den Griechen die pwa_128.030
älteste Form der epischen Lyrik, diejenige Form, welche den Uebertritt pwa_128.031
der Dichtkunst aus dem Gebiete des epischen Gesanges in das pwa_128.032
des lyrischen historisch vermittelt hat und Alles in ihr und an ihr, pwa_128.033
das Land, wo sie entsprungen ist, die metrische Form, in welcher pwa_128.034
sie sich bewegt, der Name, den sie führt, der ganze Stufengang pwa_128.035
der Entwickelung, den sie durchlaufen hat, das eigenthümliche pwa_128.036
Wesen, zu welchem sie dabei gelangt ist, Alles das sind Nachwirkungen pwa_128.037
und characteristische Spuren ihres organischen Zusammenhanges pwa_128.038
mit der Epik. Wir betrachten deshalb diese einzelnen pwa_128.039
Beziehungen näher.
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Das Land und das Volk, dem die griechische Elegie ihre Entstehung pwa_128.041
verdankt, und von dem sie auch bis in die spätesten Zeiten
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