pwa_108.001 ausführlicher satirischer Schilderung der Habsucht und des Geizes. pwa_108.002 Bis so weit wäre Alles ganz Horazisch: aber was nun noch bei Horaz pwa_108.003 kommen würde, das fehlt: die einlenkende Rückkehr zu dem allgemeinen pwa_108.004 Thema, die allein dem Gedichte eine abgeschlossene Einheit pwa_108.005 geben konnte: Juvenal bricht ab, so wie er den Geiz zu Ende geschildert pwa_108.006 hat. Und diese Satire ist unter allen noch diejenige, welche am pwa_108.007 meisten durch geschickt angebrachte epische Situationen belebt wird. pwa_108.008 Anderswo fehlt auch diess: denn das ist ein zweiter wesentlicher pwa_108.009 Unterschied, der zwischen Persius, Juvenal und Horaz besteht, dass, pwa_108.010 während Horaz aus der Wirklichkeit der Gegenwart heraus erzählt pwa_108.011 und an derselben lachend und spottend lehrt, jene beiden die gegenwärtige pwa_108.012 Wirklichkeit nur beschreiben, um an dem so Beschriebenen pwa_108.013 strafend zu lehren. Während also bei Horaz die Satire noch didactische pwa_108.014 Epik ist, wird sie bei ihnen volle Didactik. Und damit tritt pwa_108.015 dann die Juvenalische Satire, die schon, indem sie sich gegen das pwa_108.016 Laster wendete, nur noch an den Grenzen der Poesie stand, ganz pwa_108.017 und gar über diese Grenzen hinaus in das Reich der Prosa.
pwa_108.018 Als abgeschlossene Dichtungsart findet sich die Satire seit dem pwa_108.019 17. Jahrhundert auch bei den Deutschen. Johann Lauremberg dichtete pwa_108.020 seine vier Scherzgedichte (1650) in niederdeutscher Sprache, und pwa_108.021 von Joachim Rachel besitzen wir acht Teutsche satirische Gedichte pwa_108.022 (1664), welche ganz im Geiste Juvenals verfasst sind; insbesondere pwa_108.023 ist das Gedicht von der Kinderzucht (LB. 2, 445) eine Nachbildung pwa_108.024 der 14. Satire des römischen Dichters. Als der vorzüglichste deutsche pwa_108.025 Satiriker aber ist Gottl. Wilh. Rabener (1714-71) zu betrachten, der pwa_108.026 seine satirischen Schriften mit richtigem Gefühle in Prosa verfasste und pwa_108.027 sich dabei jeder Anlehnung an die Fremde enthielt (LB. 3, 2, 47).
pwa_108.028 Beim Idyll und bei der Satire ist die Wirklichkeit, auf welche pwa_108.029 sich die beschreibende oder die spottende Lehre gründet, immer eine pwa_108.030 gegebene, oder sie erscheint doch als eine solche: wenn auch die pwa_108.031 epischen Anschauungen gänzlich aus der erfindenden Kraft des Dichters pwa_108.032 sollten hervorgegangen sein, so verlangt er doch für sie den pwa_108.033 gleichen Glauben und die gleiche Art der Reproduction, wie sie auch pwa_108.034 sonst epischen Anschauungen zu Theil wird; und er selbst hat diese pwa_108.035 Wirklichkeit ganz objectiv vor sich liegen, nicht als Mittel, sondern pwa_108.036 als Gegenstand der Lehre; sie ist nicht um der Lehre willen da, sondern pwa_108.037 sie ist eben da als epische Wirklichkeit, und der Dichter tritt pwa_108.038 nur hinzu und lässt in Spott oder Beschreibung seine Didaxis an ihr pwa_108.039 aus. Anders bei derjenigen didactischen Epik, von welcher wir nun pwa_108.040 zu reden haben, bei der Fabel und beim Sprichwort. Hier ist die pwa_108.041 Wirklichkeit nur angenommen, nur gesetzt; die epische Anschauung
pwa_108.001 ausführlicher satirischer Schilderung der Habsucht und des Geizes. pwa_108.002 Bis so weit wäre Alles ganz Horazisch: aber was nun noch bei Horaz pwa_108.003 kommen würde, das fehlt: die einlenkende Rückkehr zu dem allgemeinen pwa_108.004 Thema, die allein dem Gedichte eine abgeschlossene Einheit pwa_108.005 geben konnte: Juvenal bricht ab, so wie er den Geiz zu Ende geschildert pwa_108.006 hat. Und diese Satire ist unter allen noch diejenige, welche am pwa_108.007 meisten durch geschickt angebrachte epische Situationen belebt wird. pwa_108.008 Anderswo fehlt auch diess: denn das ist ein zweiter wesentlicher pwa_108.009 Unterschied, der zwischen Persius, Juvenal und Horaz besteht, dass, pwa_108.010 während Horaz aus der Wirklichkeit der Gegenwart heraus erzählt pwa_108.011 und an derselben lachend und spottend lehrt, jene beiden die gegenwärtige pwa_108.012 Wirklichkeit nur beschreiben, um an dem so Beschriebenen pwa_108.013 strafend zu lehren. Während also bei Horaz die Satire noch didactische pwa_108.014 Epik ist, wird sie bei ihnen volle Didactik. Und damit tritt pwa_108.015 dann die Juvenalische Satire, die schon, indem sie sich gegen das pwa_108.016 Laster wendete, nur noch an den Grenzen der Poesie stand, ganz pwa_108.017 und gar über diese Grenzen hinaus in das Reich der Prosa.
pwa_108.018 Als abgeschlossene Dichtungsart findet sich die Satire seit dem pwa_108.019 17. Jahrhundert auch bei den Deutschen. Johann Lauremberg dichtete pwa_108.020 seine vier Scherzgedichte (1650) in niederdeutscher Sprache, und pwa_108.021 von Joachim Rachel besitzen wir acht Teutsche satirische Gedichte pwa_108.022 (1664), welche ganz im Geiste Juvenals verfasst sind; insbesondere pwa_108.023 ist das Gedicht von der Kinderzucht (LB. 2, 445) eine Nachbildung pwa_108.024 der 14. Satire des römischen Dichters. Als der vorzüglichste deutsche pwa_108.025 Satiriker aber ist Gottl. Wilh. Rabener (1714–71) zu betrachten, der pwa_108.026 seine satirischen Schriften mit richtigem Gefühle in Prosa verfasste und pwa_108.027 sich dabei jeder Anlehnung an die Fremde enthielt (LB. 3, 2, 47).
pwa_108.028 Beim Idyll und bei der Satire ist die Wirklichkeit, auf welche pwa_108.029 sich die beschreibende oder die spottende Lehre gründet, immer eine pwa_108.030 gegebene, oder sie erscheint doch als eine solche: wenn auch die pwa_108.031 epischen Anschauungen gänzlich aus der erfindenden Kraft des Dichters pwa_108.032 sollten hervorgegangen sein, so verlangt er doch für sie den pwa_108.033 gleichen Glauben und die gleiche Art der Reproduction, wie sie auch pwa_108.034 sonst epischen Anschauungen zu Theil wird; und er selbst hat diese pwa_108.035 Wirklichkeit ganz objectiv vor sich liegen, nicht als Mittel, sondern pwa_108.036 als Gegenstand der Lehre; sie ist nicht um der Lehre willen da, sondern pwa_108.037 sie ist eben da als epische Wirklichkeit, und der Dichter tritt pwa_108.038 nur hinzu und lässt in Spott oder Beschreibung seine Didaxis an ihr pwa_108.039 aus. Anders bei derjenigen didactischen Epik, von welcher wir nun pwa_108.040 zu reden haben, bei der Fabel und beim Sprichwort. Hier ist die pwa_108.041 Wirklichkeit nur angenommen, nur gesetzt; die epische Anschauung
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Als abgeschlossene Dichtungsart findet sich die Satire seit dem pwa_108.019
17. Jahrhundert auch bei den Deutschen. Johann Lauremberg dichtete pwa_108.020
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/126>, abgerufen am 25.11.2024.
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