Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt betrauert, kalt und bleich im Sarge
lag. -- Der Leichnam lag in seinem Ar¬
beitszimmer, und ein köstliches Leichengedicht,
das göttliche Gemählde von der Transfigu¬
ration, stand neben dem Sarge auf der
Stafeley. -- Dies Gemählde, worin wir
noch jetzt das Elend der Erde, den Trost ed¬
ler Männer, und die Glorie des Himmel¬
reichs in so herrlicher Vereinigung dargestellt
sehn, -- und der Meister, von dem es er¬
dacht und ausgeführt war, kalt und bleich
daneben." --

Mich reizten diese Sachen außerordent¬
lich, und ich bat den fremden Mann, mir
noch mehr von Raphael zu erzählen.

"Das schönste, was ich Dir von ihm sa¬
gen kann," antwortete er, "ist, daß er als
Mensch eben so edel und liebenswürdig war,
wie als Künstler. Er hatte nichts von dem
finstern und stolzen Wesen anderer Künstler,

Welt betrauert, kalt und bleich im Sarge
lag. — Der Leichnam lag in ſeinem Ar¬
beitszimmer, und ein köſtliches Leichengedicht,
das göttliche Gemählde von der Transfigu¬
ration, ſtand neben dem Sarge auf der
Stafeley. — Dies Gemählde, worin wir
noch jetzt das Elend der Erde, den Troſt ed¬
ler Männer, und die Glorie des Himmel¬
reichs in ſo herrlicher Vereinigung dargeſtellt
ſehn, — und der Meiſter, von dem es er¬
dacht und ausgeführt war, kalt und bleich
daneben.« —

Mich reizten dieſe Sachen außerordent¬
lich, und ich bat den fremden Mann, mir
noch mehr von Raphael zu erzählen.

»Das ſchönſte, was ich Dir von ihm ſa¬
gen kann,« antwortete er, »iſt, daß er als
Menſch eben ſo edel und liebenswürdig war,
wie als Künſtler. Er hatte nichts von dem
finſtern und ſtolzen Weſen anderer Künſtler,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0213" n="205"/>
Welt betrauert, kalt und bleich im Sarge<lb/>
lag. &#x2014; Der Leichnam lag in &#x017F;einem Ar¬<lb/>
beitszimmer, und ein kö&#x017F;tliches Leichengedicht,<lb/>
das göttliche Gemählde von der Transfigu¬<lb/>
ration, &#x017F;tand neben dem Sarge auf der<lb/>
Stafeley. &#x2014; Dies Gemählde, worin wir<lb/>
noch jetzt das Elend der Erde, den Tro&#x017F;t ed¬<lb/>
ler Männer, und die Glorie des Himmel¬<lb/>
reichs in &#x017F;o herrlicher Vereinigung darge&#x017F;tellt<lb/>
&#x017F;ehn, &#x2014; und der Mei&#x017F;ter, von dem es er¬<lb/>
dacht und ausgeführt war, kalt und bleich<lb/>
daneben.« &#x2014;</p><lb/>
        <p>Mich reizten die&#x017F;e Sachen außerordent¬<lb/>
lich, und ich bat den fremden Mann, mir<lb/>
noch mehr von Raphael zu erzählen.</p><lb/>
        <p>»Das &#x017F;chön&#x017F;te, was ich Dir von ihm &#x017F;<lb/>
gen kann,« antwortete er, »i&#x017F;t, daß er als<lb/>
Men&#x017F;ch eben &#x017F;o edel und liebenswürdig war,<lb/>
wie als Kün&#x017F;tler. Er hatte nichts von dem<lb/>
fin&#x017F;tern und &#x017F;tolzen We&#x017F;en anderer Kün&#x017F;tler,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0213] Welt betrauert, kalt und bleich im Sarge lag. — Der Leichnam lag in ſeinem Ar¬ beitszimmer, und ein köſtliches Leichengedicht, das göttliche Gemählde von der Transfigu¬ ration, ſtand neben dem Sarge auf der Stafeley. — Dies Gemählde, worin wir noch jetzt das Elend der Erde, den Troſt ed¬ ler Männer, und die Glorie des Himmel¬ reichs in ſo herrlicher Vereinigung dargeſtellt ſehn, — und der Meiſter, von dem es er¬ dacht und ausgeführt war, kalt und bleich daneben.« — Mich reizten dieſe Sachen außerordent¬ lich, und ich bat den fremden Mann, mir noch mehr von Raphael zu erzählen. »Das ſchönſte, was ich Dir von ihm ſa¬ gen kann,« antwortete er, »iſt, daß er als Menſch eben ſo edel und liebenswürdig war, wie als Künſtler. Er hatte nichts von dem finſtern und ſtolzen Weſen anderer Künſtler,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/213
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/213>, abgerufen am 22.11.2024.