Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir glauben immer tiefer in sie einzudrin¬
gen, und dennoch regen sie unsere Sinne
immer von neuem auf, und wir sehen keine
Gränze ab, da unsre Seele sie erschöpft
hätte. Es flammt in ihnen ein ewig bren¬
nendes Lebensöhl, welches nie vor unsern
Augen verlischt.

Mit Ungeduld fliege ich über den ersten
Anblick hinweg; denn die Überraschung des
Neuen, welche manche nach immer abwech¬
selnden Vergnügungen haschende Geister wohl
zum Hauptverdienste der Kunst erklären wol¬
len, hat mir von jeher ein nothwendiges
Übel des ersten Anschauens geschienen. Der
ächte Genuß erfordert eine stille und ruhige
Fassung des Gemüths, und äußert sich nicht
durch Ausrufungen und Zusammenschlagen
der Hände, sondern allein durch innere Be¬
wegungen. Es ist mir ein heiliger Feyertag,
an welchem ich mit Ernst und mit vorberei¬

L 2

Wir glauben immer tiefer in ſie einzudrin¬
gen, und dennoch regen ſie unſere Sinne
immer von neuem auf, und wir ſehen keine
Gränze ab, da unſre Seele ſie erſchöpft
hätte. Es flammt in ihnen ein ewig bren¬
nendes Lebensöhl, welches nie vor unſern
Augen verliſcht.

Mit Ungeduld fliege ich über den erſten
Anblick hinweg; denn die Überraſchung des
Neuen, welche manche nach immer abwech¬
ſelnden Vergnügungen haſchende Geiſter wohl
zum Hauptverdienſte der Kunſt erklären wol¬
len, hat mir von jeher ein nothwendiges
Übel des erſten Anſchauens geſchienen. Der
ächte Genuß erfordert eine ſtille und ruhige
Faſſung des Gemüths, und äußert ſich nicht
durch Ausrufungen und Zuſammenſchlagen
der Hände, ſondern allein durch innere Be¬
wegungen. Es iſt mir ein heiliger Feyertag,
an welchem ich mit Ernſt und mit vorberei¬

L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0171" n="163"/>
Wir glauben immer tiefer in &#x017F;ie einzudrin¬<lb/>
gen, und dennoch regen &#x017F;ie un&#x017F;ere Sinne<lb/>
immer von neuem auf, und wir &#x017F;ehen keine<lb/>
Gränze ab, da un&#x017F;re Seele &#x017F;ie er&#x017F;chöpft<lb/>
hätte. Es flammt in ihnen ein ewig bren¬<lb/>
nendes Lebensöhl, welches nie vor un&#x017F;ern<lb/>
Augen verli&#x017F;cht.</p><lb/>
        <p>Mit Ungeduld fliege ich über den er&#x017F;ten<lb/>
Anblick hinweg; denn die Überra&#x017F;chung des<lb/>
Neuen, welche manche nach immer abwech¬<lb/>
&#x017F;elnden Vergnügungen ha&#x017F;chende Gei&#x017F;ter wohl<lb/>
zum Hauptverdien&#x017F;te der Kun&#x017F;t erklären wol¬<lb/>
len, hat mir von jeher ein nothwendiges<lb/>
Übel des er&#x017F;ten An&#x017F;chauens ge&#x017F;chienen. Der<lb/>
ächte Genuß erfordert eine &#x017F;tille und ruhige<lb/>
Fa&#x017F;&#x017F;ung des Gemüths, und äußert &#x017F;ich nicht<lb/>
durch Ausrufungen und Zu&#x017F;ammen&#x017F;chlagen<lb/>
der Hände, &#x017F;ondern allein durch innere Be¬<lb/>
wegungen. Es i&#x017F;t mir ein heiliger Feyertag,<lb/>
an welchem ich mit Ern&#x017F;t und mit vorberei¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0171] Wir glauben immer tiefer in ſie einzudrin¬ gen, und dennoch regen ſie unſere Sinne immer von neuem auf, und wir ſehen keine Gränze ab, da unſre Seele ſie erſchöpft hätte. Es flammt in ihnen ein ewig bren¬ nendes Lebensöhl, welches nie vor unſern Augen verliſcht. Mit Ungeduld fliege ich über den erſten Anblick hinweg; denn die Überraſchung des Neuen, welche manche nach immer abwech¬ ſelnden Vergnügungen haſchende Geiſter wohl zum Hauptverdienſte der Kunſt erklären wol¬ len, hat mir von jeher ein nothwendiges Übel des erſten Anſchauens geſchienen. Der ächte Genuß erfordert eine ſtille und ruhige Faſſung des Gemüths, und äußert ſich nicht durch Ausrufungen und Zuſammenſchlagen der Hände, ſondern allein durch innere Be¬ wegungen. Es iſt mir ein heiliger Feyertag, an welchem ich mit Ernſt und mit vorberei¬ L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/171
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/171>, abgerufen am 27.11.2024.