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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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Ist es nicht, als wenn die Figuren in
diesen deinen Bildern wirkliche Menschen
wären, welche zusammen redeten? Ein jeg¬
licher ist so eigenthümlich gestempelt, daß
man ihn aus einem großen Haufen heraus¬
kennen würde; ein jeglicher so aus der
Mitte der Natur genommen, daß er ganz
und gar seinen Zweck erfüllt. Keiner ist mit
halber Seele da, wie man es öfters bey sehr
zierlichen Bildern neuerer Meister sagen möch¬
te; jeder ist im vollen Leben ergriffen, und
so auf die Tafel hingestellt. Wer klagen soll,
klagt; wer zürnen soll, zürnt; und wer be¬
ten soll, betet. Alle Figuren reden, und re¬
den laut und vernehmlich. Kein Arm bewegt
sich unnütz, oder bloß zum Augenspiel und
zur Füllung des Raums; alle Glieder, alles
spricht uns gleichsam mit Macht an, daß
wir den Sinn und die Seele des Ganzen
recht fest im Gemüthe fassen. Wir glauben

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Iſt es nicht, als wenn die Figuren in
dieſen deinen Bildern wirkliche Menſchen
wären, welche zuſammen redeten? Ein jeg¬
licher iſt ſo eigenthümlich geſtempelt, daß
man ihn aus einem großen Haufen heraus¬
kennen würde; ein jeglicher ſo aus der
Mitte der Natur genommen, daß er ganz
und gar ſeinen Zweck erfüllt. Keiner iſt mit
halber Seele da, wie man es öfters bey ſehr
zierlichen Bildern neuerer Meiſter ſagen möch¬
te; jeder iſt im vollen Leben ergriffen, und
ſo auf die Tafel hingeſtellt. Wer klagen ſoll,
klagt; wer zürnen ſoll, zürnt; und wer be¬
ten ſoll, betet. Alle Figuren reden, und re¬
den laut und vernehmlich. Kein Arm bewegt
ſich unnütz, oder bloß zum Augenſpiel und
zur Füllung des Raums; alle Glieder, alles
ſpricht uns gleichſam mit Macht an, daß
wir den Sinn und die Seele des Ganzen
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[113/0121] Iſt es nicht, als wenn die Figuren in dieſen deinen Bildern wirkliche Menſchen wären, welche zuſammen redeten? Ein jeg¬ licher iſt ſo eigenthümlich geſtempelt, daß man ihn aus einem großen Haufen heraus¬ kennen würde; ein jeglicher ſo aus der Mitte der Natur genommen, daß er ganz und gar ſeinen Zweck erfüllt. Keiner iſt mit halber Seele da, wie man es öfters bey ſehr zierlichen Bildern neuerer Meiſter ſagen möch¬ te; jeder iſt im vollen Leben ergriffen, und ſo auf die Tafel hingeſtellt. Wer klagen ſoll, klagt; wer zürnen ſoll, zürnt; und wer be¬ ten ſoll, betet. Alle Figuren reden, und re¬ den laut und vernehmlich. Kein Arm bewegt ſich unnütz, oder bloß zum Augenſpiel und zur Füllung des Raums; alle Glieder, alles ſpricht uns gleichſam mit Macht an, daß wir den Sinn und die Seele des Ganzen recht feſt im Gemüthe faſſen. Wir glauben H

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/121>, abgerufen am 24.11.2024.