Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Vierter Gesang. Liebe Tochter, tödte mich gleich mit dem grausamen Erze,Oder laß mich im Haus'; ich kann es nicht länger verschweigen! Alles hab' ich gewußt! Ich gab ihm, was er verlangte, 745 Speise und süßen Wein. Doch mußt' ich ihm heilig geloben, Dir nichts eher zu sagen, bevor zwölf Tage vergangen, Oder du ihn vermißtest, und hörtest von seiner Entfernung: Daß du nicht durch Thränen dein schönes Antliz entstelltest. Aber bade dich jezo, und leg' ein reines Gewand an, 750 Geh hinauf in den Söller mit deinen Mägden, und flehe Pallas Athänen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes. Diese wird ihn gewiß, auch selbst aus dem Tode, erretten! Aber den Greis, den betrübten, betrübe nicht mehr! Unmöglich Ist den seligen Göttern der Same des Arkeisiaden V. 755. 755 Ganz verhaßt; ihm bleibt noch jemand, welcher behersche Diesen hohen Palast und rings die fetten Gefilde! Also sprach sie, und stillte der Königin weinenden Jammer. Unbezwungene Tochter des wetterleuchtenden Gottes, Also flehte sie jammernd; ihr Flehn erhörte die Göttin. V. 755. Laertäs Vater war Arkeisios, ein Sohn von Zeus.
Vierter Geſang. Liebe Tochter, toͤdte mich gleich mit dem grauſamen Erze,Oder laß mich im Hauſ'; ich kann es nicht laͤnger verſchweigen! Alles hab' ich gewußt! Ich gab ihm, was er verlangte, 745 Speiſe und ſuͤßen Wein. Doch mußt' ich ihm heilig geloben, Dir nichts eher zu ſagen, bevor zwoͤlf Tage vergangen, Oder du ihn vermißteſt, und hoͤrteſt von ſeiner Entfernung: Daß du nicht durch Thraͤnen dein ſchoͤnes Antliz entſtellteſt. Aber bade dich jezo, und leg' ein reines Gewand an, 750 Geh hinauf in den Soͤller mit deinen Maͤgden, und flehe Pallas Athaͤnen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes. Dieſe wird ihn gewiß, auch ſelbſt aus dem Tode, erretten! Aber den Greis, den betruͤbten, betruͤbe nicht mehr! Unmoͤglich Iſt den ſeligen Goͤttern der Same des Arkeiſiaden V. 755. 755 Ganz verhaßt; ihm bleibt noch jemand, welcher beherſche Dieſen hohen Palaſt und rings die fetten Gefilde! Alſo ſprach ſie, und ſtillte der Koͤnigin weinenden Jammer. Unbezwungene Tochter des wetterleuchtenden Gottes, Alſo flehte ſie jammernd; ihr Flehn erhoͤrte die Goͤttin. V. 755. Laertaͤs Vater war Arkeiſios, ein Sohn von Zeus.
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Vierter Geſang.
Liebe Tochter, toͤdte mich gleich mit dem grauſamen Erze,
Oder laß mich im Hauſ'; ich kann es nicht laͤnger verſchweigen!
Alles hab' ich gewußt! Ich gab ihm, was er verlangte,
Speiſe und ſuͤßen Wein. Doch mußt' ich ihm heilig geloben,
Dir nichts eher zu ſagen, bevor zwoͤlf Tage vergangen,
Oder du ihn vermißteſt, und hoͤrteſt von ſeiner Entfernung:
Daß du nicht durch Thraͤnen dein ſchoͤnes Antliz entſtellteſt.
Aber bade dich jezo, und leg' ein reines Gewand an,
Geh hinauf in den Soͤller mit deinen Maͤgden, und flehe
Pallas Athaͤnen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes.
Dieſe wird ihn gewiß, auch ſelbſt aus dem Tode, erretten!
Aber den Greis, den betruͤbten, betruͤbe nicht mehr! Unmoͤglich
Iſt den ſeligen Goͤttern der Same des Arkeiſiaden V. 755.
Ganz verhaßt; ihm bleibt noch jemand, welcher beherſche
Dieſen hohen Palaſt und rings die fetten Gefilde!
745
750
755
Alſo ſprach ſie, und ſtillte der Koͤnigin weinenden Jammer.
Und ſie badete ſich, und legt' ein reines Gewand an,
Ging hinauf in den Soͤller, von ihren Maͤgden begleitet,
Trug die heilige Gerſt' im Korb', und flehte Athaͤnen:
760
Unbezwungene Tochter des wetterleuchtenden Gottes,
Hoͤre mein Flehn: wo dir im Palaſte der weiſe Oduͤßeus
Je von Rindern und Schafen die fetten Lenden verbrannt hat,
Daß du, deßen gedenkend, den lieben Sohn mir erretteſt,
Und zerſtreueſt die Freier voll uͤbermuͤtiger Bosheit!
765
Alſo flehte ſie jammernd; ihr Flehn erhoͤrte die Goͤttin.
Aber nun laͤrmten die Freier umher in dem ſchattichten Saale.
V. 755. Laertaͤs Vater war Arkeiſios, ein Sohn von Zeus.
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