Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierter Gesang.
Aber sobald ihr seht, daß er zum Schlummer sich hinlegt;
Dann erhebet euch mutig, und übet Gewalt und Stärke, 415
Haltet den streubenden fest, wie sehr er auch ringt zu entfliehen!
Denn der Zauberer wird sich in alle Dinge verwandeln,
Was auf der Erde lebt, in Waßer und loderndes Feuer.
Aber greift unerschrocken ihn an, und haltet noch fester!
Wenn er nun endlich selbst euch anzureden beginnet, 420
In der Gestalt, worin ihr ihn saht zum Schlummer sich legen;
Dann laß ab von deiner Gewalt, und löse den Meergreis,
Edler Held, und frag' ihn, wer unter den Göttern dir zürne,
Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere.

Also sprach sie, und sprang in die hochaufwallende Woge. 425
Aber ich ging zu den Schiffen, wo sie im Sande des Ufers
Standen; und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
Als ich jezo mein Schiff und des Meeres Ufer erreichte,
Da bereiteten wir das Mahl. Die ambrosische Nacht kam;
Und wir lagerten uns am rauschenden Ufer des Meeres. 430
Als die heilige Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Ging ich längst dem Gestade des weithinflutenden Meeres
Fort, und betete viel zu den Himmlischen. Von den Genoßen
Folgten mir drei, bewährt vor allen an Kühnheit und Stärke.

Aber indeßen fuhr Eidothea tief in des Meeres 435
Weiten Busen, und trug vier Robbenfelle von dannen,
Welche sie frisch abzog; und entwarf die Teuschung des Vaters.
Jedem höhlete sie ein Lager im Sande des Meeres,
Saß und erwartete uns. Sobald wir die Göttin erreichten,
Legte sie uns nach der Reih, und hüllte jedem ein Fell um. 440
Wahrlich die Lauer bekam uns fürchterlich! Bis zum Ersticken

Vierter Geſang.
Aber ſobald ihr ſeht, daß er zum Schlummer ſich hinlegt;
Dann erhebet euch mutig, und uͤbet Gewalt und Staͤrke, 415
Haltet den ſtreubenden feſt, wie ſehr er auch ringt zu entfliehen!
Denn der Zauberer wird ſich in alle Dinge verwandeln,
Was auf der Erde lebt, in Waßer und loderndes Feuer.
Aber greift unerſchrocken ihn an, und haltet noch feſter!
Wenn er nun endlich ſelbſt euch anzureden beginnet, 420
In der Geſtalt, worin ihr ihn ſaht zum Schlummer ſich legen;
Dann laß ab von deiner Gewalt, und loͤſe den Meergreis,
Edler Held, und frag' ihn, wer unter den Goͤttern dir zuͤrne,
Und wie du heimgelangſt auf dem fiſchdurchwimmelten Meere.

Alſo ſprach ſie, und ſprang in die hochaufwallende Woge. 425
Aber ich ging zu den Schiffen, wo ſie im Sande des Ufers
Standen; und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
Als ich jezo mein Schiff und des Meeres Ufer erreichte,
Da bereiteten wir das Mahl. Die ambroſiſche Nacht kam;
Und wir lagerten uns am rauſchenden Ufer des Meeres. 430
Als die heilige Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte,
Ging ich laͤngſt dem Geſtade des weithinflutenden Meeres
Fort, und betete viel zu den Himmliſchen. Von den Genoßen
Folgten mir drei, bewaͤhrt vor allen an Kuͤhnheit und Staͤrke.

Aber indeßen fuhr Eidothea tief in des Meeres 435
Weiten Buſen, und trug vier Robbenfelle von dannen,
Welche ſie friſch abzog; und entwarf die Teuſchung des Vaters.
Jedem hoͤhlete ſie ein Lager im Sande des Meeres,
Saß und erwartete uns. Sobald wir die Goͤttin erreichten,
Legte ſie uns nach der Reih, und huͤllte jedem ein Fell um. 440
Wahrlich die Lauer bekam uns fuͤrchterlich! Bis zum Erſticken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0085" n="79"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vierter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Aber &#x017F;obald ihr &#x017F;eht, daß er zum Schlummer &#x017F;ich hinlegt;<lb/>
Dann erhebet euch mutig, und u&#x0364;bet Gewalt und Sta&#x0364;rke, <note place="right">415</note><lb/>
Haltet den &#x017F;treubenden fe&#x017F;t, wie &#x017F;ehr er auch ringt zu entfliehen!<lb/>
Denn der Zauberer wird &#x017F;ich in alle Dinge verwandeln,<lb/>
Was auf der Erde lebt, in Waßer und loderndes Feuer.<lb/>
Aber greift uner&#x017F;chrocken ihn an, und haltet noch fe&#x017F;ter!<lb/>
Wenn er nun endlich &#x017F;elb&#x017F;t euch anzureden beginnet, <note place="right">420</note><lb/>
In der Ge&#x017F;talt, worin ihr ihn &#x017F;aht zum Schlummer &#x017F;ich legen;<lb/>
Dann laß ab von deiner Gewalt, und lo&#x0364;&#x017F;e den Meergreis,<lb/>
Edler Held, und frag' ihn, wer unter den Go&#x0364;ttern dir zu&#x0364;rne,<lb/>
Und wie du heimgelang&#x017F;t auf dem fi&#x017F;chdurchwimmelten Meere.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach &#x017F;ie, und &#x017F;prang in die hochaufwallende Woge. <note place="right">425</note><lb/>
Aber ich ging zu den Schiffen, wo &#x017F;ie im Sande des Ufers<lb/>
Standen; und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.<lb/>
Als ich jezo mein Schiff und des Meeres Ufer erreichte,<lb/>
Da bereiteten wir das Mahl. Die ambro&#x017F;i&#x017F;che Nacht kam;<lb/>
Und wir lagerten uns am rau&#x017F;chenden Ufer des Meeres. <note place="right">430</note><lb/>
Als die heilige Fru&#x0364;he mit Ro&#x017F;enfingern erwachte,<lb/>
Ging ich la&#x0364;ng&#x017F;t dem Ge&#x017F;tade des weithinflutenden Meeres<lb/>
Fort, und betete viel zu den Himmli&#x017F;chen. Von den Genoßen<lb/>
Folgten mir drei, bewa&#x0364;hrt vor allen an Ku&#x0364;hnheit und Sta&#x0364;rke.</p><lb/>
        <p>Aber indeßen fuhr Eidothea tief in des Meeres <note place="right">435</note><lb/>
Weiten Bu&#x017F;en, und trug vier Robbenfelle von dannen,<lb/>
Welche &#x017F;ie fri&#x017F;ch abzog; und entwarf die Teu&#x017F;chung des Vaters.<lb/>
Jedem ho&#x0364;hlete &#x017F;ie ein Lager im Sande des Meeres,<lb/>
Saß und erwartete uns. Sobald wir die Go&#x0364;ttin erreichten,<lb/>
Legte &#x017F;ie uns nach der Reih, und hu&#x0364;llte jedem ein Fell um. <note place="right">440</note><lb/>
Wahrlich die Lauer bekam uns fu&#x0364;rchterlich! Bis zum Er&#x017F;ticken<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0085] Vierter Geſang. Aber ſobald ihr ſeht, daß er zum Schlummer ſich hinlegt; Dann erhebet euch mutig, und uͤbet Gewalt und Staͤrke, Haltet den ſtreubenden feſt, wie ſehr er auch ringt zu entfliehen! Denn der Zauberer wird ſich in alle Dinge verwandeln, Was auf der Erde lebt, in Waßer und loderndes Feuer. Aber greift unerſchrocken ihn an, und haltet noch feſter! Wenn er nun endlich ſelbſt euch anzureden beginnet, In der Geſtalt, worin ihr ihn ſaht zum Schlummer ſich legen; Dann laß ab von deiner Gewalt, und loͤſe den Meergreis, Edler Held, und frag' ihn, wer unter den Goͤttern dir zuͤrne, Und wie du heimgelangſt auf dem fiſchdurchwimmelten Meere. 415 420 Alſo ſprach ſie, und ſprang in die hochaufwallende Woge. Aber ich ging zu den Schiffen, wo ſie im Sande des Ufers Standen; und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele. Als ich jezo mein Schiff und des Meeres Ufer erreichte, Da bereiteten wir das Mahl. Die ambroſiſche Nacht kam; Und wir lagerten uns am rauſchenden Ufer des Meeres. Als die heilige Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, Ging ich laͤngſt dem Geſtade des weithinflutenden Meeres Fort, und betete viel zu den Himmliſchen. Von den Genoßen Folgten mir drei, bewaͤhrt vor allen an Kuͤhnheit und Staͤrke. 425 430 Aber indeßen fuhr Eidothea tief in des Meeres Weiten Buſen, und trug vier Robbenfelle von dannen, Welche ſie friſch abzog; und entwarf die Teuſchung des Vaters. Jedem hoͤhlete ſie ein Lager im Sande des Meeres, Saß und erwartete uns. Sobald wir die Goͤttin erreichten, Legte ſie uns nach der Reih, und huͤllte jedem ein Fell um. Wahrlich die Lauer bekam uns fuͤrchterlich! Bis zum Erſticken 435 440

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/85
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/85>, abgerufen am 27.11.2024.