Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Auch du, Lieber, denn groß und statlich bist du von Ansehn,
Halte dich wohl, daß einst die spätesten Enkel dich preisen!200

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen:
Nestor, Näleus Sohn, du großer Ruhm der Achaier,
Schreckliche Rache hat jener geübt, und weit in Achaia
Wird erschallen sein Ruhm, ein Gesang der spätesten Enkel.
O beschieden auch mir so viele Stärke die Götter, 205
Daß ich den Uebermut der rasenden Freier bestrafte,
Welche mir immer zum Troz die schändlichsten Gräuel ersinnen!
Aber versagt ward mir ein solches Glück von den Göttern,
Meinem Vater und mir! Nun gilt nichts weiter, als dulden!

Ihm antwortete drauf der Roßebändiger Nestor: 210
Lieber, weil du mich doch an jenes erinnerst; man sagt ja,
Daß um deine Mutter ein großer Haufe von Freiern,
Dir zum Troz, im Palaste so viel Unarten beginne.
Sprich, erträgst du das Joch freiwillig, oder verabscheun
Dich die Völker des Landes, gewarnt durch göttlichen Ausspruch? 215
Aber wer weiß, ob jener nicht einst, ein Rächer des Aufruhrs,
Kommt, er selber allein, oder auch mit allen Achaiern.
Liebte sie dich so herzlich, die heilige Pallas Athänä,
Wie sie einst für Odüßeus den hochberühmten besorgt war,
In dem troischen Lande, wo Noth uns Achaier umdrängte; 220
(Niemals sah ich so klar die Zeichen göttlicher Obhut,
Als sich Pallas Athänä für ihren Geliebten erklärte!)
Liebte sie dich so herzlich, und waltete deiner so sorgsam:
Mancher von jenen vergäße der hochzeitlichen Gedanken!

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen: 225
Edler Greis, dies Wort wird schwerlich jemals vollendet;

Oduͤßee.
Auch du, Lieber, denn groß und ſtatlich biſt du von Anſehn,
Halte dich wohl, daß einſt die ſpaͤteſten Enkel dich preiſen!200

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Neſtor, Naͤleus Sohn, du großer Ruhm der Achaier,
Schreckliche Rache hat jener geuͤbt, und weit in Achaia
Wird erſchallen ſein Ruhm, ein Geſang der ſpaͤteſten Enkel.
O beſchieden auch mir ſo viele Staͤrke die Goͤtter, 205
Daß ich den Uebermut der raſenden Freier beſtrafte,
Welche mir immer zum Troz die ſchaͤndlichſten Graͤuel erſinnen!
Aber verſagt ward mir ein ſolches Gluͤck von den Goͤttern,
Meinem Vater und mir! Nun gilt nichts weiter, als dulden!

Ihm antwortete drauf der Roßebaͤndiger Neſtor: 210
Lieber, weil du mich doch an jenes erinnerſt; man ſagt ja,
Daß um deine Mutter ein großer Haufe von Freiern,
Dir zum Troz, im Palaſte ſo viel Unarten beginne.
Sprich, ertraͤgſt du das Joch freiwillig, oder verabſcheun
Dich die Voͤlker des Landes, gewarnt durch goͤttlichen Ausſpruch? 215
Aber wer weiß, ob jener nicht einſt, ein Raͤcher des Aufruhrs,
Kommt, er ſelber allein, oder auch mit allen Achaiern.
Liebte ſie dich ſo herzlich, die heilige Pallas Athaͤnaͤ,
Wie ſie einſt fuͤr Oduͤßeus den hochberuͤhmten beſorgt war,
In dem troiſchen Lande, wo Noth uns Achaier umdraͤngte; 220
(Niemals ſah ich ſo klar die Zeichen goͤttlicher Obhut,
Als ſich Pallas Athaͤnaͤ fuͤr ihren Geliebten erklaͤrte!)
Liebte ſie dich ſo herzlich, und waltete deiner ſo ſorgſam:
Mancher von jenen vergaͤße der hochzeitlichen Gedanken!

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: 225
Edler Greis, dies Wort wird ſchwerlich jemals vollendet;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="52"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Auch du, Lieber, denn groß und &#x017F;tatlich bi&#x017F;t du von An&#x017F;ehn,<lb/>
Halte dich wohl, daß ein&#x017F;t die &#x017F;pa&#x0364;te&#x017F;ten Enkel dich prei&#x017F;en!<note place="right">200</note></p><lb/>
        <p>Und der ver&#x017F;ta&#x0364;ndige Ju&#x0364;ngling Ta&#x0364;lemachos &#x017F;agte dagegen:<lb/>
Ne&#x017F;tor, Na&#x0364;leus Sohn, du großer Ruhm der Achaier,<lb/>
Schreckliche Rache hat jener geu&#x0364;bt, und weit in Achaia<lb/>
Wird er&#x017F;challen &#x017F;ein Ruhm, ein Ge&#x017F;ang der &#x017F;pa&#x0364;te&#x017F;ten Enkel.<lb/>
O be&#x017F;chieden auch mir &#x017F;o viele Sta&#x0364;rke die Go&#x0364;tter, <note place="right">205</note><lb/>
Daß ich den Uebermut der ra&#x017F;enden Freier be&#x017F;trafte,<lb/>
Welche mir immer zum Troz die &#x017F;cha&#x0364;ndlich&#x017F;ten Gra&#x0364;uel er&#x017F;innen!<lb/>
Aber ver&#x017F;agt ward mir ein &#x017F;olches Glu&#x0364;ck von den Go&#x0364;ttern,<lb/>
Meinem Vater und mir! Nun gilt nichts weiter, als dulden!</p><lb/>
        <p>Ihm antwortete drauf der Roßeba&#x0364;ndiger Ne&#x017F;tor: <note place="right">210</note><lb/>
Lieber, weil du mich doch an jenes erinner&#x017F;t; man &#x017F;agt ja,<lb/>
Daß um deine Mutter ein großer Haufe von Freiern,<lb/>
Dir zum Troz, im Pala&#x017F;te &#x017F;o viel Unarten beginne.<lb/>
Sprich, ertra&#x0364;g&#x017F;t du das Joch freiwillig, oder verab&#x017F;cheun<lb/>
Dich die Vo&#x0364;lker des Landes, gewarnt durch go&#x0364;ttlichen Aus&#x017F;pruch? <note place="right">215</note><lb/>
Aber wer weiß, ob jener nicht ein&#x017F;t, ein Ra&#x0364;cher des Aufruhrs,<lb/>
Kommt, er &#x017F;elber allein, oder auch mit allen Achaiern.<lb/>
Liebte &#x017F;ie dich &#x017F;o herzlich, die heilige Pallas Atha&#x0364;na&#x0364;,<lb/>
Wie &#x017F;ie ein&#x017F;t fu&#x0364;r Odu&#x0364;ßeus den hochberu&#x0364;hmten be&#x017F;orgt war,<lb/>
In dem troi&#x017F;chen Lande, wo Noth uns Achaier umdra&#x0364;ngte; <note place="right">220</note><lb/>
(Niemals &#x017F;ah ich &#x017F;o klar die Zeichen go&#x0364;ttlicher Obhut,<lb/>
Als &#x017F;ich Pallas Atha&#x0364;na&#x0364; fu&#x0364;r ihren Geliebten erkla&#x0364;rte!)<lb/>
Liebte &#x017F;ie dich &#x017F;o herzlich, und waltete deiner &#x017F;o &#x017F;org&#x017F;am:<lb/>
Mancher von jenen verga&#x0364;ße der hochzeitlichen Gedanken!</p><lb/>
        <p>Und der ver&#x017F;ta&#x0364;ndige Ju&#x0364;ngling Ta&#x0364;lemachos &#x017F;agte dagegen: <note place="right">225</note><lb/>
Edler Greis, dies Wort wird &#x017F;chwerlich jemals vollendet;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0058] Oduͤßee. Auch du, Lieber, denn groß und ſtatlich biſt du von Anſehn, Halte dich wohl, daß einſt die ſpaͤteſten Enkel dich preiſen! 200 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Neſtor, Naͤleus Sohn, du großer Ruhm der Achaier, Schreckliche Rache hat jener geuͤbt, und weit in Achaia Wird erſchallen ſein Ruhm, ein Geſang der ſpaͤteſten Enkel. O beſchieden auch mir ſo viele Staͤrke die Goͤtter, Daß ich den Uebermut der raſenden Freier beſtrafte, Welche mir immer zum Troz die ſchaͤndlichſten Graͤuel erſinnen! Aber verſagt ward mir ein ſolches Gluͤck von den Goͤttern, Meinem Vater und mir! Nun gilt nichts weiter, als dulden! 205 Ihm antwortete drauf der Roßebaͤndiger Neſtor: Lieber, weil du mich doch an jenes erinnerſt; man ſagt ja, Daß um deine Mutter ein großer Haufe von Freiern, Dir zum Troz, im Palaſte ſo viel Unarten beginne. Sprich, ertraͤgſt du das Joch freiwillig, oder verabſcheun Dich die Voͤlker des Landes, gewarnt durch goͤttlichen Ausſpruch? Aber wer weiß, ob jener nicht einſt, ein Raͤcher des Aufruhrs, Kommt, er ſelber allein, oder auch mit allen Achaiern. Liebte ſie dich ſo herzlich, die heilige Pallas Athaͤnaͤ, Wie ſie einſt fuͤr Oduͤßeus den hochberuͤhmten beſorgt war, In dem troiſchen Lande, wo Noth uns Achaier umdraͤngte; (Niemals ſah ich ſo klar die Zeichen goͤttlicher Obhut, Als ſich Pallas Athaͤnaͤ fuͤr ihren Geliebten erklaͤrte!) Liebte ſie dich ſo herzlich, und waltete deiner ſo ſorgſam: Mancher von jenen vergaͤße der hochzeitlichen Gedanken! 210 215 220 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Edler Greis, dies Wort wird ſchwerlich jemals vollendet; 225

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/58
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/58>, abgerufen am 07.05.2024.