Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Odüßee. Schon die Fische des Meers verzehreten, oder zu Lande 290Vögel und Thiere zerrißen! Ihn hat die liebende Mutter Nicht einkleidend beweint, noch der Vater, die wir ihn zeugten; Noch sein edles Weib, die keusche Pänelopeia, Schluchzend am Sterbebette des lieben Gemahles gejammert, Und ihm die Augen geschloßen: die lezte Ehre der Todten! 295 Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wiße: Wer, wels Volkes bist du? und wo ist deine Geburtstadt? Und wo liegt das Schiff, das dich und die tapfern Genoßen Brachte? Kamst du vielleicht in einem gedungenen Schiffe, Und die Schiffer sezten dich aus, und fuhren dann weiter? 300 Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus: Sprachs; und den Vater umhüllte die schwarze Wolke des Kummers. V. 303. Alübas, eine Stadt in Unteritalien. Sikania hieß damals die süd-
östliche Küste Siziliens. Oduͤßee. Schon die Fiſche des Meers verzehreten, oder zu Lande 290Voͤgel und Thiere zerrißen! Ihn hat die liebende Mutter Nicht einkleidend beweint, noch der Vater, die wir ihn zeugten; Noch ſein edles Weib, die keuſche Paͤnelopeia, Schluchzend am Sterbebette des lieben Gemahles gejammert, Und ihm die Augen geſchloßen: die lezte Ehre der Todten! 295 Auch verkuͤndige mir aufrichtig, damit ich es wiße: Wer, wels Volkes biſt du? und wo iſt deine Geburtſtadt? Und wo liegt das Schiff, das dich und die tapfern Genoßen Brachte? Kamſt du vielleicht in einem gedungenen Schiffe, Und die Schiffer ſezten dich aus, und fuhren dann weiter? 300 Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: Sprachs; und den Vater umhuͤllte die ſchwarze Wolke des Kummers. V. 303. Aluͤbas, eine Stadt in Unteritalien. Sikania hieß damals die ſuͤd-
oͤſtliche Kuͤſte Siziliens. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0466" n="460"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Oduͤßee.</hi></fw><lb/> Schon die Fiſche des Meers verzehreten, oder zu Lande <note place="right">290</note><lb/> Voͤgel und Thiere zerrißen! Ihn hat die liebende Mutter<lb/> Nicht einkleidend beweint, noch der Vater, die wir ihn zeugten;<lb/> Noch ſein edles Weib, die keuſche Paͤnelopeia,<lb/> Schluchzend am Sterbebette des lieben Gemahles gejammert,<lb/> Und ihm die Augen geſchloßen: die lezte Ehre der Todten! <note place="right">295</note><lb/> Auch verkuͤndige mir aufrichtig, damit ich es wiße:<lb/> Wer, wels Volkes biſt du? und wo iſt deine Geburtſtadt?<lb/> Und wo liegt das Schiff, das dich und die tapfern Genoßen<lb/> Brachte? Kamſt du vielleicht in einem gedungenen Schiffe,<lb/> Und die Schiffer ſezten dich aus, und fuhren dann weiter? <note place="right">300</note></p><lb/> <p>Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:<lb/> Gerne will ich dir dieſes und nach der Wahrheit erzaͤhlen.<lb/> Ich bin aus Aluͤbas her, und wohn' im beruͤhmten Palaſte <note place="foot" n="V. 303.">Aluͤbas, eine Stadt in Unteritalien. Sikania hieß damals die ſuͤd-<lb/> oͤſtliche Kuͤſte Siziliens.</note><lb/> Meines Vaters Afeidas des maͤchtigen Sohns Poluͤpaͤmons.<lb/> Und mein Namen iſt Epaͤritos. Aber ein Daͤmon <note place="right">305</note><lb/> Trieb mich durch Stuͤrme hieher, als ich gen Sikania ſteurte.<lb/> Und mein Schiff liegt außer der Stadt am freien Geſtade.<lb/> Jezo ſinds fuͤnf Jahre, ſeitdem der edle Oduͤßeus<lb/> Wieder von dannen fuhr, und Aluͤbas Ufer zuruͤckließ.<lb/> Armer Freund! Und ihm flogen doch heilweißagende Voͤgel, <note place="right">310</note><lb/> Als er zu Schiffe ging: drum ſah ich freudig ihn ſcheiden,<lb/> Und er freute ſich auch; denn wir hofften, einer den andern<lb/> Kuͤnftig noch oft zu bewirten, und ſchoͤne Geſchenke zu wechſeln.</p><lb/> <p>Sprachs; und den Vater umhuͤllte die ſchwarze Wolke des Kummers.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [460/0466]
Oduͤßee.
Schon die Fiſche des Meers verzehreten, oder zu Lande
Voͤgel und Thiere zerrißen! Ihn hat die liebende Mutter
Nicht einkleidend beweint, noch der Vater, die wir ihn zeugten;
Noch ſein edles Weib, die keuſche Paͤnelopeia,
Schluchzend am Sterbebette des lieben Gemahles gejammert,
Und ihm die Augen geſchloßen: die lezte Ehre der Todten!
Auch verkuͤndige mir aufrichtig, damit ich es wiße:
Wer, wels Volkes biſt du? und wo iſt deine Geburtſtadt?
Und wo liegt das Schiff, das dich und die tapfern Genoßen
Brachte? Kamſt du vielleicht in einem gedungenen Schiffe,
Und die Schiffer ſezten dich aus, und fuhren dann weiter?
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Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Gerne will ich dir dieſes und nach der Wahrheit erzaͤhlen.
Ich bin aus Aluͤbas her, und wohn' im beruͤhmten Palaſte V. 303.
Meines Vaters Afeidas des maͤchtigen Sohns Poluͤpaͤmons.
Und mein Namen iſt Epaͤritos. Aber ein Daͤmon
Trieb mich durch Stuͤrme hieher, als ich gen Sikania ſteurte.
Und mein Schiff liegt außer der Stadt am freien Geſtade.
Jezo ſinds fuͤnf Jahre, ſeitdem der edle Oduͤßeus
Wieder von dannen fuhr, und Aluͤbas Ufer zuruͤckließ.
Armer Freund! Und ihm flogen doch heilweißagende Voͤgel,
Als er zu Schiffe ging: drum ſah ich freudig ihn ſcheiden,
Und er freute ſich auch; denn wir hofften, einer den andern
Kuͤnftig noch oft zu bewirten, und ſchoͤne Geſchenke zu wechſeln.
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Sprachs; und den Vater umhuͤllte die ſchwarze Wolke des Kummers.
V. 303. Aluͤbas, eine Stadt in Unteritalien. Sikania hieß damals die ſuͤd-
oͤſtliche Kuͤſte Siziliens.
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