Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Zweiundzwanzigster Gesang. Der, vom ermordeten Stiere gesättiget, stolz einhergeht;Seine zottichte Brust, und beide Backen des Würgers Triefen von schwarzem Blut, und fürchterlich glühn ihm die Augen: 405 Also war auch Odüßeus an Händen und Füßen besudelt. Als sie die Todten nun sah und rings die Ströme des Blutes, Da frohlockte sie jauchzend; denn schrecklich und groß war der Anblick. Aber Odüßeus hielt sie, und zähmt' ihr lautes Entzücken; Und er redte sie an, und sprach die geflügelten Worte: 410 Freue dich, Mutter, im Herzen; doch halte dich, daß du nicht frohlockst! Ihm antwortete drauf die Pflegerin Eurükleia: V. 412. Wir Christen singen das Te Deum.
Zweiundzwanzigſter Geſang. Der, vom ermordeten Stiere geſaͤttiget, ſtolz einhergeht;Seine zottichte Bruſt, und beide Backen des Wuͤrgers Triefen von ſchwarzem Blut, und fuͤrchterlich gluͤhn ihm die Augen: 405 Alſo war auch Oduͤßeus an Haͤnden und Fuͤßen beſudelt. Als ſie die Todten nun ſah und rings die Stroͤme des Blutes, Da frohlockte ſie jauchzend; denn ſchrecklich und groß war der Anblick. Aber Oduͤßeus hielt ſie, und zaͤhmt' ihr lautes Entzuͤcken; Und er redte ſie an, und ſprach die gefluͤgelten Worte: 410 Freue dich, Mutter, im Herzen; doch halte dich, daß du nicht frohlockſt! Ihm antwortete drauf die Pflegerin Euruͤkleia: V. 412. Wir Chriſten ſingen das Te Deum.
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Zweiundzwanzigſter Geſang.
Der, vom ermordeten Stiere geſaͤttiget, ſtolz einhergeht;
Seine zottichte Bruſt, und beide Backen des Wuͤrgers
Triefen von ſchwarzem Blut, und fuͤrchterlich gluͤhn ihm die Augen:
Alſo war auch Oduͤßeus an Haͤnden und Fuͤßen beſudelt.
Als ſie die Todten nun ſah und rings die Stroͤme des Blutes,
Da frohlockte ſie jauchzend; denn ſchrecklich und groß war der Anblick.
Aber Oduͤßeus hielt ſie, und zaͤhmt' ihr lautes Entzuͤcken;
Und er redte ſie an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
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Freue dich, Mutter, im Herzen; doch halte dich, daß du nicht frohlockſt!
Ueber erſchlagene Menſchen zu jauchzen, iſt grauſam und Suͤnde! V. 412.
Dieſe vertilgte der Goͤtter Gericht und ihr boͤſes Beginnen:
Denn ſie ehrten ja keinen von allen Erdebewohnern,
Vornehm oder geringe, wer auch um Erbarmen ſie anſprach.
Darum traf die Frevler das ſchreckliche Todesverhaͤngniß.
Aber nenne mir jezo die Weiber in dem Palaſte,
Alle, die mich verachten, und die unſtraͤflich geblieben.
415
Ihm antwortete drauf die Pflegerin Euruͤkleia:
Gerne will ich dir, Sohn, die lautere Wahrheit verkuͤnden.
Funfzig ſind der Weiber in deinem hohen Palaſte,
Welche wir alle die Kunſt des Webeſtuhls und der Nadel
Lehrten, und Wolle zu kaͤmmen, und treu und fleißig zu dienen.
Aber zwoͤlfe veruͤben die unverſchaͤmteſten Graͤuel,
Und verachten mich ganz, ja ſelber Paͤnelopeia.
Zwar ſeit kurzem erwuchs Taͤlemachos; aber die Mutter
Wollte nimmer geſtaten, daß er den Maͤgden befoͤhle.
Jezo geh' ich hinauf, und bringe deiner Gemahlin
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V. 412. Wir Chriſten ſingen das Te Deum.
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