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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.

Ha! du elender Fremdling, es fehlt dir ganz an Verstande!
Bist du nicht froh, daß du in unserer stolzen Versammlung
Ruhig schmausest? daß dir dein Theil von allem gereicht wird? 290
Und daß du die Gespräch' und Reden der Männer behorchest,
Die kein anderer Fremdling und lumpichter Bettler behorchet?
Wahrlich! der süße Wein bethört dich, welcher auch andern
Schadet, wenn man ihn gierig verschlingt, nicht mäßig genießet:
Selbst der berühmte Kentaur Eurütion tobte vor Unsinn, 295
Von dem Weine berauscht, in des edlen Peirithoos Hause.
Denn er kam auf das Fest der Lapithen; aber vom Weine
Rasend, begann er im Hause Peirithoos schändliche Gräuel.
Zürnend sprangen die Helden empor, und über den Vorsaal
Schleppten sie ihn hinaus, und schnitten mit grausamem Erze 300
Nas' und Ohren ihm ab; und so in voller Betäubung
Wankte der Tunkenbold heim, und trug die Strafe des Unsinns.
Hierauf folgte der blutige Krieg der Kentauren und Männer;
Aber vor allen traf das Verderben den Säufer des Weines.
Also verkünd' ich auch dir dein Unglück, wenn du den Bogen 305
Spannest: Du sollst nicht mehr Almosen in unserem Volke
Sammlen; wir senden dich gleich im schwarzen Schiffe zum König
Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menschengeschlechtes,
Dem du gewiß nicht lebend entrinnst! Drum size geruhig,
Trink, und begehre nicht mit jüngeren Männern den Wettkampf! 310

Ihm antwortete drauf die kluge Pänelopeia:
O Antinoos, denke, wie unanständig, wie unrecht:
Fremde zu übergehn, die Tälemachos Wohnung besuchen!
Meinst du, wenn etwa der Fremdling den großen Bogen Odüßeus
Spannt, so wie er den Händen und seiner Stärke vertrauet, 315

Oduͤßee.

Ha! du elender Fremdling, es fehlt dir ganz an Verſtande!
Biſt du nicht froh, daß du in unſerer ſtolzen Verſammlung
Ruhig ſchmauſeſt? daß dir dein Theil von allem gereicht wird? 290
Und daß du die Geſpraͤch' und Reden der Maͤnner behorcheſt,
Die kein anderer Fremdling und lumpichter Bettler behorchet?
Wahrlich! der ſuͤße Wein bethoͤrt dich, welcher auch andern
Schadet, wenn man ihn gierig verſchlingt, nicht maͤßig genießet:
Selbſt der beruͤhmte Kentaur Euruͤtion tobte vor Unſinn, 295
Von dem Weine berauſcht, in des edlen Peirithoos Hauſe.
Denn er kam auf das Feſt der Lapithen; aber vom Weine
Raſend, begann er im Hauſe Peirithoos ſchaͤndliche Graͤuel.
Zuͤrnend ſprangen die Helden empor, und uͤber den Vorſaal
Schleppten ſie ihn hinaus, und ſchnitten mit grauſamem Erze 300
Naſ' und Ohren ihm ab; und ſo in voller Betaͤubung
Wankte der Tunkenbold heim, und trug die Strafe des Unſinns.
Hierauf folgte der blutige Krieg der Kentauren und Maͤnner;
Aber vor allen traf das Verderben den Saͤufer des Weines.
Alſo verkuͤnd' ich auch dir dein Ungluͤck, wenn du den Bogen 305
Spanneſt: Du ſollſt nicht mehr Almoſen in unſerem Volke
Sammlen; wir ſenden dich gleich im ſchwarzen Schiffe zum Koͤnig
Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menſchengeſchlechtes,
Dem du gewiß nicht lebend entrinnſt! Drum ſize geruhig,
Trink, und begehre nicht mit juͤngeren Maͤnnern den Wettkampf! 310

Ihm antwortete drauf die kluge Paͤnelopeia:
O Antinoos, denke, wie unanſtaͤndig, wie unrecht:
Fremde zu uͤbergehn, die Taͤlemachos Wohnung beſuchen!
Meinſt du, wenn etwa der Fremdling den großen Bogen Oduͤßeus
Spannt, ſo wie er den Haͤnden und ſeiner Staͤrke vertrauet, 315

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[410/0416] Oduͤßee. Ha! du elender Fremdling, es fehlt dir ganz an Verſtande! Biſt du nicht froh, daß du in unſerer ſtolzen Verſammlung Ruhig ſchmauſeſt? daß dir dein Theil von allem gereicht wird? Und daß du die Geſpraͤch' und Reden der Maͤnner behorcheſt, Die kein anderer Fremdling und lumpichter Bettler behorchet? Wahrlich! der ſuͤße Wein bethoͤrt dich, welcher auch andern Schadet, wenn man ihn gierig verſchlingt, nicht maͤßig genießet: Selbſt der beruͤhmte Kentaur Euruͤtion tobte vor Unſinn, Von dem Weine berauſcht, in des edlen Peirithoos Hauſe. Denn er kam auf das Feſt der Lapithen; aber vom Weine Raſend, begann er im Hauſe Peirithoos ſchaͤndliche Graͤuel. Zuͤrnend ſprangen die Helden empor, und uͤber den Vorſaal Schleppten ſie ihn hinaus, und ſchnitten mit grauſamem Erze Naſ' und Ohren ihm ab; und ſo in voller Betaͤubung Wankte der Tunkenbold heim, und trug die Strafe des Unſinns. Hierauf folgte der blutige Krieg der Kentauren und Maͤnner; Aber vor allen traf das Verderben den Saͤufer des Weines. Alſo verkuͤnd' ich auch dir dein Ungluͤck, wenn du den Bogen Spanneſt: Du ſollſt nicht mehr Almoſen in unſerem Volke Sammlen; wir ſenden dich gleich im ſchwarzen Schiffe zum Koͤnig Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menſchengeſchlechtes, Dem du gewiß nicht lebend entrinnſt! Drum ſize geruhig, Trink, und begehre nicht mit juͤngeren Maͤnnern den Wettkampf! 290 295 300 305 310 Ihm antwortete drauf die kluge Paͤnelopeia: O Antinoos, denke, wie unanſtaͤndig, wie unrecht: Fremde zu uͤbergehn, die Taͤlemachos Wohnung beſuchen! Meinſt du, wenn etwa der Fremdling den großen Bogen Oduͤßeus Spannt, ſo wie er den Haͤnden und ſeiner Staͤrke vertrauet, 315

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/416>, abgerufen am 22.05.2024.