Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
In Meßänä trafen die beiden Helden einander, 15
Im Palaste des tapfern Orsilochos. Dort war Odüßeus,
Um die Bezahlung der Schuld vom ganzen Volke zu fodern.
Denn aus Ithaka hatten die Schiffe meßänischer Männer
Jüngst dreihundert Schafe mit ihren Hirten geraubet.
Darum kam als Gesandter Odüßeus den weiten Weg her, 20
Jung wie er war, von Laertäs ersehn und den übrigen Greisen.
Aber Ifitos kam, die verlorenen Roße zu suchen,
Zwölf noch säugende Stuten, mit Füllen lastbarer Mäuler.
Doch sie beschleunigten nur des Suchenden Todesverhängniß!
Denn als Ifitos endlich bei Zeus hochtrozendem Sohne 25
Kam, dem starken Härakläs, dem Manne von großen Thaten;
Tödtete dieser den Gast in seinem Hause, der Wütrich [!]
Unbesorgt um der Götter Gericht, und den heiligen Gasttisch,
Den er ihm vorgesezt! Ihn selbst erschlug er im Hause,
Und behielt für sich die Roße mit malmenden Hufen! 30
Diese suchend traf er den jungen Odüßeus, und schenkt' ihm
Seinen Bogen, den einst der große Eurütos führte,
Aber sterbend dem Sohn im hohen Palaste zurückließ.
Und Odüßeus schenkt' ihm sein Schwert und die mächtige Lanze,
Zu der vertraulichsten Freundschaft Beginn. Doch saßen sie niemals 35
Einer am Tische des andern; denn bald sank unter Härakläs
Ifitos, Eurütos Sohn, den unsterblichen Göttern vergleichbar.
Ifitos Bogen führte der edelgesinnte Odüßeus
Niemals, wann er zum Krieg' in schwarzen Schiffen hinwegfuhr;
Sondern ließ im Palaste des unvergeßlichen Freundes 40
Angedenken zurück: in Ithaka führt' er ihn immer.

Als das göttliche Weib die gewölbete Kammer erreichte,

Oduͤßee.
In Meßaͤnaͤ trafen die beiden Helden einander, 15
Im Palaſte des tapfern Orſilochos. Dort war Oduͤßeus,
Um die Bezahlung der Schuld vom ganzen Volke zu fodern.
Denn aus Ithaka hatten die Schiffe meßaͤniſcher Maͤnner
Juͤngſt dreihundert Schafe mit ihren Hirten geraubet.
Darum kam als Geſandter Oduͤßeus den weiten Weg her, 20
Jung wie er war, von Laertaͤs erſehn und den uͤbrigen Greiſen.
Aber Ifitos kam, die verlorenen Roße zu ſuchen,
Zwoͤlf noch ſaͤugende Stuten, mit Fuͤllen laſtbarer Maͤuler.
Doch ſie beſchleunigten nur des Suchenden Todesverhaͤngniß!
Denn als Ifitos endlich bei Zeus hochtrozendem Sohne 25
Kam, dem ſtarken Haͤraklaͤs, dem Manne von großen Thaten;
Toͤdtete dieſer den Gaſt in ſeinem Hauſe, der Wuͤtrich [!]
Unbeſorgt um der Goͤtter Gericht, und den heiligen Gaſttiſch,
Den er ihm vorgeſezt! Ihn ſelbſt erſchlug er im Hauſe,
Und behielt fuͤr ſich die Roße mit malmenden Hufen! 30
Dieſe ſuchend traf er den jungen Oduͤßeus, und ſchenkt' ihm
Seinen Bogen, den einſt der große Euruͤtos fuͤhrte,
Aber ſterbend dem Sohn im hohen Palaſte zuruͤckließ.
Und Oduͤßeus ſchenkt' ihm ſein Schwert und die maͤchtige Lanze,
Zu der vertraulichſten Freundſchaft Beginn. Doch ſaßen ſie niemals 35
Einer am Tiſche des andern; denn bald ſank unter Haͤraklaͤs
Ifitos, Euruͤtos Sohn, den unſterblichen Goͤttern vergleichbar.
Ifitos Bogen fuͤhrte der edelgeſinnte Oduͤßeus
Niemals, wann er zum Krieg' in ſchwarzen Schiffen hinwegfuhr;
Sondern ließ im Palaſte des unvergeßlichen Freundes 40
Angedenken zuruͤck: in Ithaka fuͤhrt' er ihn immer.

Als das goͤttliche Weib die gewoͤlbete Kammer erreichte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0406" n="400"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
In Meßa&#x0364;na&#x0364; trafen die beiden Helden einander, <note place="right">15</note><lb/>
Im Pala&#x017F;te des tapfern Or&#x017F;ilochos. Dort war Odu&#x0364;ßeus,<lb/>
Um die Bezahlung der Schuld vom ganzen Volke zu fodern.<lb/>
Denn aus Ithaka hatten die Schiffe meßa&#x0364;ni&#x017F;cher Ma&#x0364;nner<lb/>
Ju&#x0364;ng&#x017F;t dreihundert Schafe mit ihren Hirten geraubet.<lb/>
Darum kam als Ge&#x017F;andter Odu&#x0364;ßeus den weiten Weg her, <note place="right">20</note><lb/>
Jung wie er war, von Laerta&#x0364;s er&#x017F;ehn und den u&#x0364;brigen Grei&#x017F;en.<lb/>
Aber Ifitos kam, die verlorenen Roße zu &#x017F;uchen,<lb/>
Zwo&#x0364;lf noch &#x017F;a&#x0364;ugende Stuten, mit Fu&#x0364;llen la&#x017F;tbarer Ma&#x0364;uler.<lb/>
Doch &#x017F;ie be&#x017F;chleunigten nur des Suchenden Todesverha&#x0364;ngniß!<lb/>
Denn als Ifitos endlich bei Zeus hochtrozendem Sohne <note place="right">25</note><lb/>
Kam, dem &#x017F;tarken Ha&#x0364;rakla&#x0364;s, dem Manne von großen Thaten;<lb/>
To&#x0364;dtete die&#x017F;er den Ga&#x017F;t in &#x017F;einem Hau&#x017F;e, der Wu&#x0364;trich <supplied>!</supplied><lb/>
Unbe&#x017F;orgt um der Go&#x0364;tter Gericht, und den heiligen Ga&#x017F;tti&#x017F;ch,<lb/>
Den er ihm vorge&#x017F;ezt! Ihn &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;chlug er im Hau&#x017F;e,<lb/>
Und behielt fu&#x0364;r &#x017F;ich die Roße mit malmenden Hufen! <note place="right">30</note><lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;uchend traf er den jungen Odu&#x0364;ßeus, und &#x017F;chenkt' ihm<lb/>
Seinen Bogen, den ein&#x017F;t der große Euru&#x0364;tos fu&#x0364;hrte,<lb/>
Aber &#x017F;terbend dem Sohn im hohen Pala&#x017F;te zuru&#x0364;ckließ.<lb/>
Und Odu&#x0364;ßeus &#x017F;chenkt' ihm &#x017F;ein Schwert und die ma&#x0364;chtige Lanze,<lb/>
Zu der vertraulich&#x017F;ten Freund&#x017F;chaft Beginn. Doch &#x017F;aßen &#x017F;ie niemals <note place="right">35</note><lb/>
Einer am Ti&#x017F;che des andern; denn bald &#x017F;ank unter Ha&#x0364;rakla&#x0364;s<lb/>
Ifitos, Euru&#x0364;tos Sohn, den un&#x017F;terblichen Go&#x0364;ttern vergleichbar.<lb/>
Ifitos Bogen fu&#x0364;hrte der edelge&#x017F;innte Odu&#x0364;ßeus<lb/>
Niemals, wann er zum Krieg' in &#x017F;chwarzen Schiffen hinwegfuhr;<lb/>
Sondern ließ im Pala&#x017F;te des unvergeßlichen Freundes <note place="right">40</note><lb/>
Angedenken zuru&#x0364;ck: in Ithaka fu&#x0364;hrt' er ihn immer.</p><lb/>
        <p>Als das go&#x0364;ttliche Weib die gewo&#x0364;lbete Kammer erreichte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[400/0406] Oduͤßee. In Meßaͤnaͤ trafen die beiden Helden einander, Im Palaſte des tapfern Orſilochos. Dort war Oduͤßeus, Um die Bezahlung der Schuld vom ganzen Volke zu fodern. Denn aus Ithaka hatten die Schiffe meßaͤniſcher Maͤnner Juͤngſt dreihundert Schafe mit ihren Hirten geraubet. Darum kam als Geſandter Oduͤßeus den weiten Weg her, Jung wie er war, von Laertaͤs erſehn und den uͤbrigen Greiſen. Aber Ifitos kam, die verlorenen Roße zu ſuchen, Zwoͤlf noch ſaͤugende Stuten, mit Fuͤllen laſtbarer Maͤuler. Doch ſie beſchleunigten nur des Suchenden Todesverhaͤngniß! Denn als Ifitos endlich bei Zeus hochtrozendem Sohne Kam, dem ſtarken Haͤraklaͤs, dem Manne von großen Thaten; Toͤdtete dieſer den Gaſt in ſeinem Hauſe, der Wuͤtrich ! Unbeſorgt um der Goͤtter Gericht, und den heiligen Gaſttiſch, Den er ihm vorgeſezt! Ihn ſelbſt erſchlug er im Hauſe, Und behielt fuͤr ſich die Roße mit malmenden Hufen! Dieſe ſuchend traf er den jungen Oduͤßeus, und ſchenkt' ihm Seinen Bogen, den einſt der große Euruͤtos fuͤhrte, Aber ſterbend dem Sohn im hohen Palaſte zuruͤckließ. Und Oduͤßeus ſchenkt' ihm ſein Schwert und die maͤchtige Lanze, Zu der vertraulichſten Freundſchaft Beginn. Doch ſaßen ſie niemals Einer am Tiſche des andern; denn bald ſank unter Haͤraklaͤs Ifitos, Euruͤtos Sohn, den unſterblichen Goͤttern vergleichbar. Ifitos Bogen fuͤhrte der edelgeſinnte Oduͤßeus Niemals, wann er zum Krieg' in ſchwarzen Schiffen hinwegfuhr; Sondern ließ im Palaſte des unvergeßlichen Freundes Angedenken zuruͤck: in Ithaka fuͤhrt' er ihn immer. 15 20 25 30 35 40 Als das goͤttliche Weib die gewoͤlbete Kammer erreichte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/406
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/406>, abgerufen am 18.05.2024.