Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Scholl vom Getöse der Saal. Da lächelte Pänelopeia,
Wandte sich schnell zu Eumaios, und sprach die geflügelten Worte;

Gehe mir gleich in den Saal, Eumaios, und rufe den Fremdling!
Siehst du nicht, wie mein Sohn mir alle Worte beniest hat? V. 545. 545
Ja nun werde der Tod das unvermeidliche Schicksal
Aller Freier, und keiner entfliehe dem blutigen Tode!
Eins verkünd' ich dir noch, bewahre dieses im Herzen:
Wann ich merke, daß jener mir lautere Wahrheit erzählet,
Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden. 550

Sprachs; und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen,
Trat vor Odüßeus hin, und sprach die geflügelten Worte:

Fremder Vater, dich läßt die kluge Pänelopeia
Rufen, Tälemachos Mutter; denn ihre Seele gebeut ihr,
Wegen des Mannes zu fragen, um den sie so herzlich betrübt ist. 555
Wann sie merkt, daß du ihr lautere Wahrheit erzählest,
Will sie mit Rock und Mantel dich kleiden, die du am meisten
Nöthig hast. Denn Speise, den Hunger zu stillen, erlangst du
Leicht durch Betteln im Volk; es gebe dir jeder nach Willkühr.

Ihm antwortete drauf der herliche Dulder Odüßeus: 560
Gern erzählt' ich nun gleich, Eumaios, die lautere Wahrheit
Vor Ikarios Tochter, der klugen Pänelopeia.
Denn viel weiß ich von ihm: wir duldeten gleiches Verhängniß.
Aber ich fürchte nur der bösen Freier Versammlung,
Deren Troz uud Gewalt den eisernen Himmel erreichet. 565
Denn jezt eben, da jener mich warf, daß der Schmerz mich betäubte,
Mich, der kein Böses that, und bittend im Saale herumging;

V. 545. Das Niesen war vorbedeutend. Hier bekräftigte es Pänelopeiens
Worte, und zwar alle, weil es sie nicht unterbrach, sondern gleich darauf folgte.

Oduͤßee.
Scholl vom Getoͤſe der Saal. Da laͤchelte Paͤnelopeia,
Wandte ſich ſchnell zu Eumaios, und ſprach die gefluͤgelten Worte;

Gehe mir gleich in den Saal, Eumaios, und rufe den Fremdling!
Siehſt du nicht, wie mein Sohn mir alle Worte benieſt hat? V. 545. 545
Ja nun werde der Tod das unvermeidliche Schickſal
Aller Freier, und keiner entfliehe dem blutigen Tode!
Eins verkuͤnd' ich dir noch, bewahre dieſes im Herzen:
Wann ich merke, daß jener mir lautere Wahrheit erzaͤhlet,
Will ich mit ſchoͤnen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden. 550

Sprachs; und der Sauhirt eilte, ſobald er die Rede vernommen,
Trat vor Oduͤßeus hin, und ſprach die gefluͤgelten Worte:

Fremder Vater, dich laͤßt die kluge Paͤnelopeia
Rufen, Taͤlemachos Mutter; denn ihre Seele gebeut ihr,
Wegen des Mannes zu fragen, um den ſie ſo herzlich betruͤbt iſt. 555
Wann ſie merkt, daß du ihr lautere Wahrheit erzaͤhleſt,
Will ſie mit Rock und Mantel dich kleiden, die du am meiſten
Noͤthig haſt. Denn Speiſe, den Hunger zu ſtillen, erlangſt du
Leicht durch Betteln im Volk; es gebe dir jeder nach Willkuͤhr.

Ihm antwortete drauf der herliche Dulder Oduͤßeus: 560
Gern erzaͤhlt' ich nun gleich, Eumaios, die lautere Wahrheit
Vor Ikarios Tochter, der klugen Paͤnelopeia.
Denn viel weiß ich von ihm: wir duldeten gleiches Verhaͤngniß.
Aber ich fuͤrchte nur der boͤſen Freier Verſammlung,
Deren Troz uud Gewalt den eiſernen Himmel erreichet. 565
Denn jezt eben, da jener mich warf, daß der Schmerz mich betaͤubte,
Mich, der kein Boͤſes that, und bittend im Saale herumging;

V. 545. Das Nieſen war vorbedeutend. Hier bekraͤftigte es Paͤnelopeiens
Worte, und zwar alle, weil es ſie nicht unterbrach, ſondern gleich darauf folgte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0348" n="342"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Scholl vom Geto&#x0364;&#x017F;e der Saal. Da la&#x0364;chelte Pa&#x0364;nelopeia,<lb/>
Wandte &#x017F;ich &#x017F;chnell zu Eumaios, und &#x017F;prach die geflu&#x0364;gelten Worte;</p><lb/>
        <p>Gehe mir gleich in den Saal, Eumaios, und rufe den Fremdling!<lb/>
Sieh&#x017F;t du nicht, wie mein Sohn mir alle Worte benie&#x017F;t hat? <note place="foot" n="V. 545.">Das Nie&#x017F;en war vorbedeutend. Hier bekra&#x0364;ftigte es Pa&#x0364;nelopeiens<lb/>
Worte, und zwar alle, weil es &#x017F;ie nicht unterbrach, &#x017F;ondern gleich darauf folgte.</note> <note place="right">545</note><lb/>
Ja nun werde der Tod das unvermeidliche Schick&#x017F;al<lb/>
Aller Freier, und keiner entfliehe dem blutigen Tode!<lb/>
Eins verku&#x0364;nd' ich dir noch, bewahre die&#x017F;es im Herzen:<lb/>
Wann ich merke, daß jener mir lautere Wahrheit erza&#x0364;hlet,<lb/>
Will ich mit &#x017F;cho&#x0364;nen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden. <note place="right">550</note></p><lb/>
        <p>Sprachs; und der Sauhirt eilte, &#x017F;obald er die Rede vernommen,<lb/>
Trat vor Odu&#x0364;ßeus hin, und &#x017F;prach die geflu&#x0364;gelten Worte:</p><lb/>
        <p>Fremder Vater, dich la&#x0364;ßt die kluge Pa&#x0364;nelopeia<lb/>
Rufen, Ta&#x0364;lemachos Mutter; denn ihre Seele gebeut ihr,<lb/>
Wegen des Mannes zu fragen, um den &#x017F;ie &#x017F;o herzlich betru&#x0364;bt i&#x017F;t. <note place="right">555</note><lb/>
Wann &#x017F;ie merkt, daß du ihr lautere Wahrheit erza&#x0364;hle&#x017F;t,<lb/>
Will &#x017F;ie mit Rock und Mantel dich kleiden, die du am mei&#x017F;ten<lb/>
No&#x0364;thig ha&#x017F;t. Denn Spei&#x017F;e, den Hunger zu &#x017F;tillen, erlang&#x017F;t du<lb/>
Leicht durch Betteln im Volk; es gebe dir jeder nach Willku&#x0364;hr.</p><lb/>
        <p>Ihm antwortete drauf der herliche Dulder Odu&#x0364;ßeus: <note place="right">560</note><lb/>
Gern erza&#x0364;hlt' ich nun gleich, Eumaios, die lautere Wahrheit<lb/>
Vor Ikarios Tochter, der klugen Pa&#x0364;nelopeia.<lb/>
Denn viel weiß ich von ihm: wir duldeten gleiches Verha&#x0364;ngniß.<lb/>
Aber ich fu&#x0364;rchte nur der bo&#x0364;&#x017F;en Freier Ver&#x017F;ammlung,<lb/>
Deren Troz uud Gewalt den ei&#x017F;ernen Himmel erreichet. <note place="right">565</note><lb/>
Denn jezt eben, da jener mich warf, daß der Schmerz mich beta&#x0364;ubte,<lb/>
Mich, der kein Bo&#x0364;&#x017F;es that, und bittend im Saale herumging;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0348] Oduͤßee. Scholl vom Getoͤſe der Saal. Da laͤchelte Paͤnelopeia, Wandte ſich ſchnell zu Eumaios, und ſprach die gefluͤgelten Worte; Gehe mir gleich in den Saal, Eumaios, und rufe den Fremdling! Siehſt du nicht, wie mein Sohn mir alle Worte benieſt hat? V. 545. Ja nun werde der Tod das unvermeidliche Schickſal Aller Freier, und keiner entfliehe dem blutigen Tode! Eins verkuͤnd' ich dir noch, bewahre dieſes im Herzen: Wann ich merke, daß jener mir lautere Wahrheit erzaͤhlet, Will ich mit ſchoͤnen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden. 545 550 Sprachs; und der Sauhirt eilte, ſobald er die Rede vernommen, Trat vor Oduͤßeus hin, und ſprach die gefluͤgelten Worte: Fremder Vater, dich laͤßt die kluge Paͤnelopeia Rufen, Taͤlemachos Mutter; denn ihre Seele gebeut ihr, Wegen des Mannes zu fragen, um den ſie ſo herzlich betruͤbt iſt. Wann ſie merkt, daß du ihr lautere Wahrheit erzaͤhleſt, Will ſie mit Rock und Mantel dich kleiden, die du am meiſten Noͤthig haſt. Denn Speiſe, den Hunger zu ſtillen, erlangſt du Leicht durch Betteln im Volk; es gebe dir jeder nach Willkuͤhr. 555 Ihm antwortete drauf der herliche Dulder Oduͤßeus: Gern erzaͤhlt' ich nun gleich, Eumaios, die lautere Wahrheit Vor Ikarios Tochter, der klugen Paͤnelopeia. Denn viel weiß ich von ihm: wir duldeten gleiches Verhaͤngniß. Aber ich fuͤrchte nur der boͤſen Freier Verſammlung, Deren Troz uud Gewalt den eiſernen Himmel erreichet. Denn jezt eben, da jener mich warf, daß der Schmerz mich betaͤubte, Mich, der kein Boͤſes that, und bittend im Saale herumging; 560 565 V. 545. Das Nieſen war vorbedeutend. Hier bekraͤftigte es Paͤnelopeiens Worte, und zwar alle, weil es ſie nicht unterbrach, ſondern gleich darauf folgte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/348
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/348>, abgerufen am 22.05.2024.