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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Sechzehnter Gesang.
Aber dieses ruhet im Schooße der seligen Götter.
Väterchen, eile du schnell zu der klugen Pänelopeia; 130
Sag' ihr, daß ich gesund aus Pülos wieder zurückkam.
Ich will indeß hier bleiben, bis du heimkehrest. Doch bring' ihr
Ja die Botschaft allein, und keiner der andern Achaier
Höre dich; denn es trachten mir viele das Leben zu rauben!

Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine: 135
Gut, ich verstehe dich schon; das sind auch meine Gedanken.
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Soll ich auf diesem Weg' auch dem armen Laertäs die Botschaft
Bringen? welcher bisher, aus Gram um seinen Odüßeus,
Selber das Land bestellte; doch stets mit den Knechten des Hauses 140
Aß und trank, so oft die Begierde des Herzens ihn antrieb.
Aber seit du von hinnen zur göttlichen Pülos geschifft warst,
Sagt man, hab' er nicht mehr gegeßen oder getrunken,
Noch auf die Wirtschaft gesehn: in unaufhörlicher Schwermut
Sizt er, und härmt sich ab, daß die Haut an den Knochen verdorret. 145

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen:
Traurig! doch müßen wir jezo in seinem Kummer ihn laßen.
Denn wenn alles sogleich, wie es Sterbliche wünschen, geschähe;
Wahrlich so wünschten wir vor allem des Vaters Zurückkunft!
Aber kehre zurück, sobald du's verkündet, und schweife 150
Nicht auf dem Lande herum zu jenem. Doch sage der Mutter,
Daß sie eilend zu ihm die treue Schafnerin heimlich
Sende; sie kann es ja auch dem alten Greise verkünden.

Also sprach er, und trieb ihn. Der Sauhirt langte die Solen,
Band sie unter die Füß', und eilete. Aber Athänä 155
Ward des Hirten gewahr, der aus dem Gehege zur Stadt ging,

Sechzehnter Geſang.
Aber dieſes ruhet im Schooße der ſeligen Goͤtter.
Vaͤterchen, eile du ſchnell zu der klugen Paͤnelopeia; 130
Sag' ihr, daß ich geſund aus Puͤlos wieder zuruͤckkam.
Ich will indeß hier bleiben, bis du heimkehreſt. Doch bring' ihr
Ja die Botſchaft allein, und keiner der andern Achaier
Hoͤre dich; denn es trachten mir viele das Leben zu rauben!

Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine: 135
Gut, ich verſtehe dich ſchon; das ſind auch meine Gedanken.
Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit:
Soll ich auf dieſem Weg' auch dem armen Laertaͤs die Botſchaft
Bringen? welcher bisher, aus Gram um ſeinen Oduͤßeus,
Selber das Land beſtellte; doch ſtets mit den Knechten des Hauſes 140
Aß und trank, ſo oft die Begierde des Herzens ihn antrieb.
Aber ſeit du von hinnen zur goͤttlichen Puͤlos geſchifft warſt,
Sagt man, hab' er nicht mehr gegeßen oder getrunken,
Noch auf die Wirtſchaft geſehn: in unaufhoͤrlicher Schwermut
Sizt er, und haͤrmt ſich ab, daß die Haut an den Knochen verdorret. 145

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Traurig! doch muͤßen wir jezo in ſeinem Kummer ihn laßen.
Denn wenn alles ſogleich, wie es Sterbliche wuͤnſchen, geſchaͤhe;
Wahrlich ſo wuͤnſchten wir vor allem des Vaters Zuruͤckkunft!
Aber kehre zuruͤck, ſobald du's verkuͤndet, und ſchweife 150
Nicht auf dem Lande herum zu jenem. Doch ſage der Mutter,
Daß ſie eilend zu ihm die treue Schafnerin heimlich
Sende; ſie kann es ja auch dem alten Greiſe verkuͤnden.

Alſo ſprach er, und trieb ihn. Der Sauhirt langte die Solen,
Band ſie unter die Fuͤß', und eilete. Aber Athaͤnaͤ 155
Ward des Hirten gewahr, der aus dem Gehege zur Stadt ging,

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[309/0315] Sechzehnter Geſang. Aber dieſes ruhet im Schooße der ſeligen Goͤtter. Vaͤterchen, eile du ſchnell zu der klugen Paͤnelopeia; Sag' ihr, daß ich geſund aus Puͤlos wieder zuruͤckkam. Ich will indeß hier bleiben, bis du heimkehreſt. Doch bring' ihr Ja die Botſchaft allein, und keiner der andern Achaier Hoͤre dich; denn es trachten mir viele das Leben zu rauben! 130 Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine: Gut, ich verſtehe dich ſchon; das ſind auch meine Gedanken. Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit: Soll ich auf dieſem Weg' auch dem armen Laertaͤs die Botſchaft Bringen? welcher bisher, aus Gram um ſeinen Oduͤßeus, Selber das Land beſtellte; doch ſtets mit den Knechten des Hauſes Aß und trank, ſo oft die Begierde des Herzens ihn antrieb. Aber ſeit du von hinnen zur goͤttlichen Puͤlos geſchifft warſt, Sagt man, hab' er nicht mehr gegeßen oder getrunken, Noch auf die Wirtſchaft geſehn: in unaufhoͤrlicher Schwermut Sizt er, und haͤrmt ſich ab, daß die Haut an den Knochen verdorret. 135 140 145 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Traurig! doch muͤßen wir jezo in ſeinem Kummer ihn laßen. Denn wenn alles ſogleich, wie es Sterbliche wuͤnſchen, geſchaͤhe; Wahrlich ſo wuͤnſchten wir vor allem des Vaters Zuruͤckkunft! Aber kehre zuruͤck, ſobald du's verkuͤndet, und ſchweife Nicht auf dem Lande herum zu jenem. Doch ſage der Mutter, Daß ſie eilend zu ihm die treue Schafnerin heimlich Sende; ſie kann es ja auch dem alten Greiſe verkuͤnden. 150 Alſo ſprach er, und trieb ihn. Der Sauhirt langte die Solen, Band ſie unter die Fuͤß', und eilete. Aber Athaͤnaͤ Ward des Hirten gewahr, der aus dem Gehege zur Stadt ging, 155

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/315>, abgerufen am 24.11.2024.