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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Funfzehnter Gesang.
Wenn er noch lebt; allein er starb des traurigsten Todes.
Darum nahm ich jezo dies Schiff und diese Gefährten,
Kundschaft mir zu erforschen vom langabwesenden Vater.

Und der göttliche Mann Theoklümenos gab ihm zur Antwort: 270
Ich bin auch aus der Heimat entflohn! denn ich tödtete jemand,
Einen Bürger der Stadt; und viele Brüder und Vettern
Hat er, gewaltig im Volke der roßenährenden Argos!
Diesen bin ich entronnen, den Tod und das schwarze Verhängniß
Fliehend! Von nun an ist mein Schicksal, die Welt zu durchirren! 275
Aber nim mich ins Schiff, den Flüchtling, welcher dich anfleht:
Daß sie mich nicht umbringen; denn sicher verfolgen mich jene!

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen:
Freund, ich werde dich nicht von unserem Schiffe verstoßen!
Folg' uns; wir wollen dich dort bewirten, so gut wir es haben. 280

Also sprach er, und nahm Theoklümenos eherne Lanze,
Legte sie auf das Verdeck des gleichgeruderten Schiffes,
Stieg dann über den Bord des meerdurchwallenden Schiffes,
Sezte sich hinten am Steuer, und neben dem Jünglinge sezte
Theoklümenos sich. Die andern lösten die Seile. 285
Aber Tälemachos trieb und ermahnte die lieben Gefährten,
Schnell die Geräthe zu ordnen. Sie folgeten seinem Befehle:
Stellten den fichtenen Mast in die mittlere Höhe des Bodens,
Richteten hoch ihn empor, und banden ihn fest mit den Seilen;
Spannten die weißen Segel mit starkgeflochtenen Riemen. 290
Einen günstigen Wind sandt' ihnen Pallas Athänä;
Stürmend saust' er vom Aether daher in die Segel des Schiffes,
Und mit geflügelter Eile durchlief es die salzige Woge,
Segelte Krunö vorüber und Chalkis liebliche Mündung.

Funfzehnter Geſang.
Wenn er noch lebt; allein er ſtarb des traurigſten Todes.
Darum nahm ich jezo dies Schiff und dieſe Gefaͤhrten,
Kundſchaft mir zu erforſchen vom langabweſenden Vater.

Und der goͤttliche Mann Theokluͤmenos gab ihm zur Antwort: 270
Ich bin auch aus der Heimat entflohn! denn ich toͤdtete jemand,
Einen Buͤrger der Stadt; und viele Bruͤder und Vettern
Hat er, gewaltig im Volke der roßenaͤhrenden Argos!
Dieſen bin ich entronnen, den Tod und das ſchwarze Verhaͤngniß
Fliehend! Von nun an iſt mein Schickſal, die Welt zu durchirren! 275
Aber nim mich ins Schiff, den Fluͤchtling, welcher dich anfleht:
Daß ſie mich nicht umbringen; denn ſicher verfolgen mich jene!

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Freund, ich werde dich nicht von unſerem Schiffe verſtoßen!
Folg' uns; wir wollen dich dort bewirten, ſo gut wir es haben. 280

Alſo ſprach er, und nahm Theokluͤmenos eherne Lanze,
Legte ſie auf das Verdeck des gleichgeruderten Schiffes,
Stieg dann uͤber den Bord des meerdurchwallenden Schiffes,
Sezte ſich hinten am Steuer, und neben dem Juͤnglinge ſezte
Theokluͤmenos ſich. Die andern loͤſten die Seile. 285
Aber Taͤlemachos trieb und ermahnte die lieben Gefaͤhrten,
Schnell die Geraͤthe zu ordnen. Sie folgeten ſeinem Befehle:
Stellten den fichtenen Maſt in die mittlere Hoͤhe des Bodens,
Richteten hoch ihn empor, und banden ihn feſt mit den Seilen;
Spannten die weißen Segel mit ſtarkgeflochtenen Riemen. 290
Einen guͤnſtigen Wind ſandt' ihnen Pallas Athaͤnaͤ;
Stuͤrmend ſauſt' er vom Aether daher in die Segel des Schiffes,
Und mit gefluͤgelter Eile durchlief es die ſalzige Woge,
Segelte Krunoͤ voruͤber und Chalkis liebliche Muͤndung.

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[293/0299] Funfzehnter Geſang. Wenn er noch lebt; allein er ſtarb des traurigſten Todes. Darum nahm ich jezo dies Schiff und dieſe Gefaͤhrten, Kundſchaft mir zu erforſchen vom langabweſenden Vater. Und der goͤttliche Mann Theokluͤmenos gab ihm zur Antwort: Ich bin auch aus der Heimat entflohn! denn ich toͤdtete jemand, Einen Buͤrger der Stadt; und viele Bruͤder und Vettern Hat er, gewaltig im Volke der roßenaͤhrenden Argos! Dieſen bin ich entronnen, den Tod und das ſchwarze Verhaͤngniß Fliehend! Von nun an iſt mein Schickſal, die Welt zu durchirren! Aber nim mich ins Schiff, den Fluͤchtling, welcher dich anfleht: Daß ſie mich nicht umbringen; denn ſicher verfolgen mich jene! 270 275 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Freund, ich werde dich nicht von unſerem Schiffe verſtoßen! Folg' uns; wir wollen dich dort bewirten, ſo gut wir es haben. 280 Alſo ſprach er, und nahm Theokluͤmenos eherne Lanze, Legte ſie auf das Verdeck des gleichgeruderten Schiffes, Stieg dann uͤber den Bord des meerdurchwallenden Schiffes, Sezte ſich hinten am Steuer, und neben dem Juͤnglinge ſezte Theokluͤmenos ſich. Die andern loͤſten die Seile. Aber Taͤlemachos trieb und ermahnte die lieben Gefaͤhrten, Schnell die Geraͤthe zu ordnen. Sie folgeten ſeinem Befehle: Stellten den fichtenen Maſt in die mittlere Hoͤhe des Bodens, Richteten hoch ihn empor, und banden ihn feſt mit den Seilen; Spannten die weißen Segel mit ſtarkgeflochtenen Riemen. Einen guͤnſtigen Wind ſandt' ihnen Pallas Athaͤnaͤ; Stuͤrmend ſauſt' er vom Aether daher in die Segel des Schiffes, Und mit gefluͤgelter Eile durchlief es die ſalzige Woge, Segelte Krunoͤ voruͤber und Chalkis liebliche Muͤndung. 285 290

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/299>, abgerufen am 22.11.2024.