Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte, Rüsteten sie ihr Gespann, und bestiegen den zierlichen Wagen, Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs, und der tönenden Halle. 190 Treibend schwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße. Und sie erreichten bald die hochgebauete Pülos; Und Tälemachos sprach zu Nestors blühendem Sohne:
Kannst du mir, Nestors Sohn, wohl eine Bitte gewähren? Siehe wir rühmen uns ja von den Zeiten unserer Väter 195 Schon Gastfreunde zu sein, und sind auch einerlei Alters; Und noch inniger wird uns diese Reise verbinden. Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Göttlicher; laß mich hier bleiben! Denn mich möchte der Greis aufhalten in seinem Palaste, Um mir Gutes zu thun; und ich muß aufs eiligste reisen. 200
Also sprach er, und Nestors Sohn bedachte sich schweigend, Wie er mit guter Art ihm seine Bitte gewährte. Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beßte: An das Gestade des Meers zu dem Schiffe lenkt' er die Roße; Legte dann hinten ins Schiff Tälemachos schöne Geschenke, 205 Sein Gewand und das Gold, so ihm Menelaos verehret. Und nun trieb er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefährten, Eh ich zu Hause komm', und dem Greise dieses verkünde! Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters 210 Heftigen starren Sinn: er würde dich nimmer entlaßen, Sondern selbst herkommen, dich einzuladen; und schwerlich Ging' er dann leer zurück, so sehr würd' er zürnen und eifern!
Also sprach er, und lenkte die Roße mit wallenden Mähnen Heim zu der Pülier Stadt, und bald erreicht' er die Wohnung. 215
Oduͤßee.
Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, Ruͤſteten ſie ihr Geſpann, und beſtiegen den zierlichen Wagen, Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs, und der toͤnenden Halle. 190 Treibend ſchwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße. Und ſie erreichten bald die hochgebauete Puͤlos; Und Taͤlemachos ſprach zu Neſtors bluͤhendem Sohne:
Kannſt du mir, Neſtors Sohn, wohl eine Bitte gewaͤhren? Siehe wir ruͤhmen uns ja von den Zeiten unſerer Vaͤter 195 Schon Gaſtfreunde zu ſein, und ſind auch einerlei Alters; Und noch inniger wird uns dieſe Reiſe verbinden. Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Goͤttlicher; laß mich hier bleiben! Denn mich moͤchte der Greis aufhalten in ſeinem Palaſte, Um mir Gutes zu thun; und ich muß aufs eiligſte reiſen. 200
Alſo ſprach er, und Neſtors Sohn bedachte ſich ſchweigend, Wie er mit guter Art ihm ſeine Bitte gewaͤhrte. Dieſer Gedanke ſchien dem Zweifelnden endlich der beßte: An das Geſtade des Meers zu dem Schiffe lenkt' er die Roße; Legte dann hinten ins Schiff Taͤlemachos ſchoͤne Geſchenke, 205 Sein Gewand und das Gold, ſo ihm Menelaos verehret. Und nun trieb er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefaͤhrten, Eh ich zu Hauſe komm', und dem Greiſe dieſes verkuͤnde! Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters 210 Heftigen ſtarren Sinn: er wuͤrde dich nimmer entlaßen, Sondern ſelbſt herkommen, dich einzuladen; und ſchwerlich Ging' er dann leer zuruͤck, ſo ſehr wuͤrd' er zuͤrnen und eifern!
Alſo ſprach er, und lenkte die Roße mit wallenden Maͤhnen Heim zu der Puͤlier Stadt, und bald erreicht' er die Wohnung. 215
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0296"n="290"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Oduͤßee.</hi></fw><lb/><p>Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte,<lb/>
Ruͤſteten ſie ihr Geſpann, und beſtiegen den zierlichen Wagen,<lb/>
Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs, und der toͤnenden Halle. <noteplace="right">190</note><lb/>
Treibend ſchwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße.<lb/>
Und ſie erreichten bald die hochgebauete Puͤlos;<lb/>
Und Taͤlemachos ſprach zu Neſtors bluͤhendem Sohne:</p><lb/><p>Kannſt du mir, Neſtors Sohn, wohl eine Bitte gewaͤhren?<lb/>
Siehe wir ruͤhmen uns ja von den Zeiten unſerer Vaͤter <noteplace="right">195</note><lb/>
Schon Gaſtfreunde zu ſein, und ſind auch einerlei Alters;<lb/>
Und noch inniger wird uns dieſe Reiſe verbinden.<lb/>
Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Goͤttlicher; laß mich hier bleiben!<lb/>
Denn mich moͤchte der Greis aufhalten in ſeinem Palaſte,<lb/>
Um mir Gutes zu thun; und ich muß aufs eiligſte reiſen. <noteplace="right">200</note></p><lb/><p>Alſo ſprach er, und Neſtors Sohn bedachte ſich ſchweigend,<lb/>
Wie er mit guter Art ihm ſeine Bitte gewaͤhrte.<lb/>
Dieſer Gedanke ſchien dem Zweifelnden endlich der beßte:<lb/>
An das Geſtade des Meers zu dem Schiffe lenkt' er die Roße;<lb/>
Legte dann hinten ins Schiff Taͤlemachos ſchoͤne Geſchenke, <noteplace="right">205</note><lb/>
Sein Gewand und das Gold, ſo ihm Menelaos verehret.<lb/>
Und nun trieb er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:</p><lb/><p>Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefaͤhrten,<lb/>
Eh ich zu Hauſe komm', und dem Greiſe dieſes verkuͤnde!<lb/>
Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters <noteplace="right">210</note><lb/>
Heftigen ſtarren Sinn: er wuͤrde dich nimmer entlaßen,<lb/>
Sondern ſelbſt herkommen, dich einzuladen; und ſchwerlich<lb/>
Ging' er dann leer zuruͤck, ſo ſehr wuͤrd' er zuͤrnen und eifern!</p><lb/><p>Alſo ſprach er, und lenkte die Roße mit wallenden Maͤhnen<lb/>
Heim zu der Puͤlier Stadt, und bald erreicht' er die Wohnung. <noteplace="right">215</note><lb/></p></div></body></text></TEI>
[290/0296]
Oduͤßee.
Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte,
Ruͤſteten ſie ihr Geſpann, und beſtiegen den zierlichen Wagen,
Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs, und der toͤnenden Halle.
Treibend ſchwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße.
Und ſie erreichten bald die hochgebauete Puͤlos;
Und Taͤlemachos ſprach zu Neſtors bluͤhendem Sohne:
190
Kannſt du mir, Neſtors Sohn, wohl eine Bitte gewaͤhren?
Siehe wir ruͤhmen uns ja von den Zeiten unſerer Vaͤter
Schon Gaſtfreunde zu ſein, und ſind auch einerlei Alters;
Und noch inniger wird uns dieſe Reiſe verbinden.
Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Goͤttlicher; laß mich hier bleiben!
Denn mich moͤchte der Greis aufhalten in ſeinem Palaſte,
Um mir Gutes zu thun; und ich muß aufs eiligſte reiſen.
195
200
Alſo ſprach er, und Neſtors Sohn bedachte ſich ſchweigend,
Wie er mit guter Art ihm ſeine Bitte gewaͤhrte.
Dieſer Gedanke ſchien dem Zweifelnden endlich der beßte:
An das Geſtade des Meers zu dem Schiffe lenkt' er die Roße;
Legte dann hinten ins Schiff Taͤlemachos ſchoͤne Geſchenke,
Sein Gewand und das Gold, ſo ihm Menelaos verehret.
Und nun trieb er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
205
Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefaͤhrten,
Eh ich zu Hauſe komm', und dem Greiſe dieſes verkuͤnde!
Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters
Heftigen ſtarren Sinn: er wuͤrde dich nimmer entlaßen,
Sondern ſelbſt herkommen, dich einzuladen; und ſchwerlich
Ging' er dann leer zuruͤck, ſo ſehr wuͤrd' er zuͤrnen und eifern!
210
Alſo ſprach er, und lenkte die Roße mit wallenden Maͤhnen
Heim zu der Puͤlier Stadt, und bald erreicht' er die Wohnung.
215
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/296>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.