Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Funfzehnter Gesang.
Gans in den Klauen trug; mit überlautem Geschreie
Folgten ihm Männer und Weiber; er kam in stürmendem Fluge
Rechtsher nahe den Roßen der Jünglinge. Als sie ihn sahen,
Freuten sie sich, und allen durchglühete Wonne die Herzen.
Nestors blühender Sohn Peisistratos redete jezo: 165

Denke nach, Menelaos, du göttlicher Führer der Völker,
Ob Gott uns dies Zeichen gesendet, oder dir selber.

Also sprach er; da sann der kriegrische Held Menelaos
Hin und her, mit Verstand das Wunderzeichen zu deuten.
Aber Helena kam ihm zuvor; so sprach die geschmückte: 170

Höret; ich will euch jezt weißagen, wie es die Götter
Mir in die Seele gelegt, und wie's wahrscheinlich geschehn wird.
Gleichwie der Adler die Gans, die im Hause sich nährte, geraubt hat,
Kommend aus dem Gebirge, von seinem Nest' und Geschlechte:
Also wird auch Odüßeus, nach vielen Leiden und Irren, 175
Endlich zur Heimat kehren und strafen; oder er kehrte
Schon, und rüstet sich nun zu aller Freier Verderben.

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen:
Also vollend' es Zeus, der donnernde Gatte der Härä!
O dann werd' ich auch dort, wie eine Göttin, dich anflehn! 180

Sprachs, und schwang auf die Roße die Geißel; mit hurtiger Eile
Stürmten sie über die Gaßen der Stadt in das freie Gefilde.
Also schüttelten sie bis zum Abend das Joch an den Nacken.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Und sie kamen gen Färai, zur Burg des edlen Diokläs, 185
Welchen Alfeios Sohn Orsilochos hatte gezeuget,
Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet.

T

Funfzehnter Geſang.
Gans in den Klauen trug; mit uͤberlautem Geſchreie
Folgten ihm Maͤnner und Weiber; er kam in ſtuͤrmendem Fluge
Rechtsher nahe den Roßen der Juͤnglinge. Als ſie ihn ſahen,
Freuten ſie ſich, und allen durchgluͤhete Wonne die Herzen.
Neſtors bluͤhender Sohn Peiſiſtratos redete jezo: 165

Denke nach, Menelaos, du goͤttlicher Fuͤhrer der Voͤlker,
Ob Gott uns dies Zeichen geſendet, oder dir ſelber.

Alſo ſprach er; da ſann der kriegriſche Held Menelaos
Hin und her, mit Verſtand das Wunderzeichen zu deuten.
Aber Helena kam ihm zuvor; ſo ſprach die geſchmuͤckte: 170

Hoͤret; ich will euch jezt weißagen, wie es die Goͤtter
Mir in die Seele gelegt, und wie's wahrſcheinlich geſchehn wird.
Gleichwie der Adler die Gans, die im Hauſe ſich naͤhrte, geraubt hat,
Kommend aus dem Gebirge, von ſeinem Neſt' und Geſchlechte:
Alſo wird auch Oduͤßeus, nach vielen Leiden und Irren, 175
Endlich zur Heimat kehren und ſtrafen; oder er kehrte
Schon, und ruͤſtet ſich nun zu aller Freier Verderben.

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Alſo vollend' es Zeus, der donnernde Gatte der Haͤraͤ!
O dann werd' ich auch dort, wie eine Goͤttin, dich anflehn! 180

Sprachs, und ſchwang auf die Roße die Geißel; mit hurtiger Eile
Stuͤrmten ſie uͤber die Gaßen der Stadt in das freie Gefilde.
Alſo ſchuͤttelten ſie bis zum Abend das Joch an den Nacken.
Und die Sonne ſank, und Dunkel umhuͤllte die Pfade.
Und ſie kamen gen Faͤrai, zur Burg des edlen Dioklaͤs, 185
Welchen Alfeios Sohn Orſilochos hatte gezeuget,
Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet.

T
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0295" n="289"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Funfzehnter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Gans in den Klauen trug; mit u&#x0364;berlautem Ge&#x017F;chreie<lb/>
Folgten ihm Ma&#x0364;nner und Weiber; er kam in &#x017F;tu&#x0364;rmendem Fluge<lb/>
Rechtsher nahe den Roßen der Ju&#x0364;nglinge. Als &#x017F;ie ihn &#x017F;ahen,<lb/>
Freuten &#x017F;ie &#x017F;ich, und allen durchglu&#x0364;hete Wonne die Herzen.<lb/>
Ne&#x017F;tors blu&#x0364;hender Sohn Pei&#x017F;i&#x017F;tratos redete jezo: <note place="right">165</note></p><lb/>
        <p>Denke nach, Menelaos, du go&#x0364;ttlicher Fu&#x0364;hrer der Vo&#x0364;lker,<lb/>
Ob Gott uns dies Zeichen ge&#x017F;endet, oder dir &#x017F;elber.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er; da &#x017F;ann der kriegri&#x017F;che Held Menelaos<lb/>
Hin und her, mit Ver&#x017F;tand das Wunderzeichen zu deuten.<lb/>
Aber Helena kam ihm zuvor; &#x017F;o &#x017F;prach die ge&#x017F;chmu&#x0364;ckte: <note place="right">170</note></p><lb/>
        <p>Ho&#x0364;ret; ich will euch jezt weißagen, wie es die Go&#x0364;tter<lb/>
Mir in die Seele gelegt, und wie's wahr&#x017F;cheinlich ge&#x017F;chehn wird.<lb/>
Gleichwie der Adler die Gans, die im Hau&#x017F;e &#x017F;ich na&#x0364;hrte, geraubt hat,<lb/>
Kommend aus dem Gebirge, von &#x017F;einem Ne&#x017F;t' und Ge&#x017F;chlechte:<lb/>
Al&#x017F;o wird auch Odu&#x0364;ßeus, nach vielen Leiden und Irren, <note place="right">175</note><lb/>
Endlich zur Heimat kehren und &#x017F;trafen; oder er kehrte<lb/>
Schon, und ru&#x0364;&#x017F;tet &#x017F;ich nun zu aller Freier Verderben.</p><lb/>
        <p>Und der ver&#x017F;ta&#x0364;ndige Ju&#x0364;ngling Ta&#x0364;lemachos &#x017F;agte dagegen:<lb/>
Al&#x017F;o vollend' es Zeus, der donnernde Gatte der Ha&#x0364;ra&#x0364;!<lb/>
O dann werd' ich auch dort, wie eine Go&#x0364;ttin, dich anflehn! <note place="right">180</note></p><lb/>
        <p>Sprachs, und &#x017F;chwang auf die Roße die Geißel; mit hurtiger Eile<lb/>
Stu&#x0364;rmten &#x017F;ie u&#x0364;ber die Gaßen der Stadt in das freie Gefilde.<lb/>
Al&#x017F;o &#x017F;chu&#x0364;ttelten &#x017F;ie bis zum Abend das Joch an den Nacken.<lb/>
Und die Sonne &#x017F;ank, und Dunkel umhu&#x0364;llte die Pfade.<lb/>
Und &#x017F;ie kamen gen Fa&#x0364;rai, zur Burg des edlen Diokla&#x0364;s, <note place="right">185</note><lb/>
Welchen Alfeios Sohn Or&#x017F;ilochos hatte gezeuget,<lb/>
Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">T</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0295] Funfzehnter Geſang. Gans in den Klauen trug; mit uͤberlautem Geſchreie Folgten ihm Maͤnner und Weiber; er kam in ſtuͤrmendem Fluge Rechtsher nahe den Roßen der Juͤnglinge. Als ſie ihn ſahen, Freuten ſie ſich, und allen durchgluͤhete Wonne die Herzen. Neſtors bluͤhender Sohn Peiſiſtratos redete jezo: 165 Denke nach, Menelaos, du goͤttlicher Fuͤhrer der Voͤlker, Ob Gott uns dies Zeichen geſendet, oder dir ſelber. Alſo ſprach er; da ſann der kriegriſche Held Menelaos Hin und her, mit Verſtand das Wunderzeichen zu deuten. Aber Helena kam ihm zuvor; ſo ſprach die geſchmuͤckte: 170 Hoͤret; ich will euch jezt weißagen, wie es die Goͤtter Mir in die Seele gelegt, und wie's wahrſcheinlich geſchehn wird. Gleichwie der Adler die Gans, die im Hauſe ſich naͤhrte, geraubt hat, Kommend aus dem Gebirge, von ſeinem Neſt' und Geſchlechte: Alſo wird auch Oduͤßeus, nach vielen Leiden und Irren, Endlich zur Heimat kehren und ſtrafen; oder er kehrte Schon, und ruͤſtet ſich nun zu aller Freier Verderben. 175 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Alſo vollend' es Zeus, der donnernde Gatte der Haͤraͤ! O dann werd' ich auch dort, wie eine Goͤttin, dich anflehn! 180 Sprachs, und ſchwang auf die Roße die Geißel; mit hurtiger Eile Stuͤrmten ſie uͤber die Gaßen der Stadt in das freie Gefilde. Alſo ſchuͤttelten ſie bis zum Abend das Joch an den Nacken. Und die Sonne ſank, und Dunkel umhuͤllte die Pfade. Und ſie kamen gen Faͤrai, zur Burg des edlen Dioklaͤs, Welchen Alfeios Sohn Orſilochos hatte gezeuget, Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet. 185 T

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/295
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/295>, abgerufen am 18.05.2024.