Wann ich wiederkomme, damit ich zur Heimat es bringe; Und empfange dagegen von mir ein würdiges Kleinod.
Also redete Zeus blauäugichte Tochter, und eilend Flog wie ein Vogel sie durch den Kamien. Dem Jünglinge goß sie 320 Kraft und Mut in die Brust, und fachte des Vaters Gedächtniß Heller noch an, wie zuvor. Er empfand es im innersten Herzen, Und erstaunte darob; ihm ahndete, daß es ein Gott war.
Jezo ging er zurück zu den Freiern, der göttliche Jüngling. Vor den Freiern sang der berühmte Sänger; und schweigend 325 Saßen sie all', und horchten. Er sang die traurige Heimfahrt, Welche Pallas Athänä den Griechen von Troja beschieden.
Und im oberen Stock vernahm die himmlischen Töne Auch Ikarios Tochter, die kluge Pänelopeia. Eilend stieg sie hinab die hohen Stufen der Wohnung, 330 Nicht allein; sie wurde von zwo Jungfrauen begleitet. Als das göttliche Weib die Freier jezo erreichte, Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales; Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes, Und an jeglichem Arm stand eine der statlichen Jungfraun. 335 Thränend wandte sie sich zum göttlichen Sänger, und sagte:
Fämios, du weißt ja noch sonst viel reizende Lieder, Thaten der Menschen und Götter, die unter den Sängern berühmt sind; Singe denn davon eins vor diesen Männern, und schweigend Trinke jeder den Wein. Allein mit jenem Gesange 340 Quäle mich nicht, der stets mein armes Herz mir durchboret. Denn mich traf ja vor allen der unaussprechlichste Jammer! Ach den beßten Gemahl bewein' ich, und denke beständig
Oduͤßee.
Wann ich wiederkomme, damit ich zur Heimat es bringe; Und empfange dagegen von mir ein wuͤrdiges Kleinod.
Alſo redete Zeus blauaͤugichte Tochter, und eilend Flog wie ein Vogel ſie durch den Kamien. Dem Juͤnglinge goß ſie 320 Kraft und Mut in die Bruſt, und fachte des Vaters Gedaͤchtniß Heller noch an, wie zuvor. Er empfand es im innerſten Herzen, Und erſtaunte darob; ihm ahndete, daß es ein Gott war.
Jezo ging er zuruͤck zu den Freiern, der goͤttliche Juͤngling. Vor den Freiern ſang der beruͤhmte Saͤnger; und ſchweigend 325 Saßen ſie all', und horchten. Er ſang die traurige Heimfahrt, Welche Pallas Athaͤnaͤ den Griechen von Troja beſchieden.
Und im oberen Stock vernahm die himmliſchen Toͤne Auch Ikarios Tochter, die kluge Paͤnelopeia. Eilend ſtieg ſie hinab die hohen Stufen der Wohnung, 330 Nicht allein; ſie wurde von zwo Jungfrauen begleitet. Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte, Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales; Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes, Und an jeglichem Arm ſtand eine der ſtatlichen Jungfraun. 335 Thraͤnend wandte ſie ſich zum goͤttlichen Saͤnger, und ſagte:
Faͤmios, du weißt ja noch ſonſt viel reizende Lieder, Thaten der Menſchen und Goͤtter, die unter den Saͤngern beruͤhmt ſind; Singe denn davon eins vor dieſen Maͤnnern, und ſchweigend Trinke jeder den Wein. Allein mit jenem Geſange 340 Quaͤle mich nicht, der ſtets mein armes Herz mir durchboret. Denn mich traf ja vor allen der unausſprechlichſte Jammer! Ach den beßten Gemahl bewein' ich, und denke beſtaͤndig
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Oduͤßee.
Wann ich wiederkomme, damit ich zur Heimat es bringe;
Und empfange dagegen von mir ein wuͤrdiges Kleinod.
Alſo redete Zeus blauaͤugichte Tochter, und eilend
Flog wie ein Vogel ſie durch den Kamien. Dem Juͤnglinge goß ſie
Kraft und Mut in die Bruſt, und fachte des Vaters Gedaͤchtniß
Heller noch an, wie zuvor. Er empfand es im innerſten Herzen,
Und erſtaunte darob; ihm ahndete, daß es ein Gott war.
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Jezo ging er zuruͤck zu den Freiern, der goͤttliche Juͤngling.
Vor den Freiern ſang der beruͤhmte Saͤnger; und ſchweigend
Saßen ſie all', und horchten. Er ſang die traurige Heimfahrt,
Welche Pallas Athaͤnaͤ den Griechen von Troja beſchieden.
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Und im oberen Stock vernahm die himmliſchen Toͤne
Auch Ikarios Tochter, die kluge Paͤnelopeia.
Eilend ſtieg ſie hinab die hohen Stufen der Wohnung,
Nicht allein; ſie wurde von zwo Jungfrauen begleitet.
Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte,
Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales;
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes,
Und an jeglichem Arm ſtand eine der ſtatlichen Jungfraun.
Thraͤnend wandte ſie ſich zum goͤttlichen Saͤnger, und ſagte:
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Faͤmios, du weißt ja noch ſonſt viel reizende Lieder,
Thaten der Menſchen und Goͤtter, die unter den Saͤngern beruͤhmt ſind;
Singe denn davon eins vor dieſen Maͤnnern, und ſchweigend
Trinke jeder den Wein. Allein mit jenem Geſange
Quaͤle mich nicht, der ſtets mein armes Herz mir durchboret.
Denn mich traf ja vor allen der unausſprechlichſte Jammer!
Ach den beßten Gemahl bewein' ich, und denke beſtaͤndig
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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