Mich nach Hause zu senden! Mein Herz verlanget zur Heimat, Und der übrigen Freunde, die rings mit Weinen und Klagen 485 Meine Seele bestürmen, sobald du den Rücken nur wendest.
Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort: Edler Laertiad', erfindungsreicher Odüßeus. Länger zwing' ich euch nicht, in meinem Hause zu bleiben. Aber ihr müßt zuvor noch eine Reise vollenden, 490 Hin zu Aidäs Reich und der strengen Persefoneia, V. 491. Um des thäbaiischen Greises Teiresias Seele zu fragen, Jenes blinden Profeten, mit ungeschwächtem Verstande. Ihm gab Persefoneia im Tode selber Erkenntniß; Und er allein ist weise: die andern sind flatternde Schatten. 495
Also sagte die Göttin; mir brach das Herz vor Betrübniß. Weinend saß ich auf Kirkäs Bett', und wünschte nicht länger, Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu schauen. Als ich endlich mein Herz durch Weinen und Wälzen erleichtert; Da antwortet' ich ihr, und sprach die geflügelten Worte: 500
Kirkä, wer soll mich denn auf dieser Reise geleiten? Noch kein Sterblicher fuhr im schwarzen Schiffe zu Ais. V. 502.
Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort: Edler Laertiad', erfindungsreicher Odüßeus, Kümmre dich nicht so sehr um einen Führer des Schiffes! 505 Sondern richte den Mast, und spanne die schimmernden Segel; Dann siz ruhig, indeß der Hauch des Nordes dich hintreibt! V. 507.
V. 491. Aidäs, Pluto; Persefoneia, Proserpina.
V. 502. Ais, Pluto.
V. 507. Des Nordostwindes. Homer hat keine Namen für Zwischenwinde.
Zehnter Geſang.
Mich nach Hauſe zu ſenden! Mein Herz verlanget zur Heimat, Und der uͤbrigen Freunde, die rings mit Weinen und Klagen 485 Meine Seele beſtuͤrmen, ſobald du den Ruͤcken nur wendeſt.
Alſo ſprach ich; mir gab die hehre Goͤttin zur Antwort: Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus. Laͤnger zwing' ich euch nicht, in meinem Hauſe zu bleiben. Aber ihr muͤßt zuvor noch eine Reiſe vollenden, 490 Hin zu Aïdaͤs Reich und der ſtrengen Perſefoneia, V. 491. Um des thaͤbaiiſchen Greiſes Teireſias Seele zu fragen, Jenes blinden Profeten, mit ungeſchwaͤchtem Verſtande. Ihm gab Perſefoneia im Tode ſelber Erkenntniß; Und er allein iſt weiſe: die andern ſind flatternde Schatten. 495
Alſo ſagte die Goͤttin; mir brach das Herz vor Betruͤbniß. Weinend ſaß ich auf Kirkaͤs Bett', und wuͤnſchte nicht laͤnger, Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu ſchauen. Als ich endlich mein Herz durch Weinen und Waͤlzen erleichtert; Da antwortet' ich ihr, und ſprach die gefluͤgelten Worte: 500
Kirkaͤ, wer ſoll mich denn auf dieſer Reiſe geleiten? Noch kein Sterblicher fuhr im ſchwarzen Schiffe zu Aïs. V. 502.
Alſo ſprach ich; mir gab die hehre Goͤttin zur Antwort: Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus, Kuͤmmre dich nicht ſo ſehr um einen Fuͤhrer des Schiffes! 505 Sondern richte den Maſt, und ſpanne die ſchimmernden Segel; Dann ſiz ruhig, indeß der Hauch des Nordes dich hintreibt! V. 507.
V. 491. Aïdaͤs, Pluto; Perſefoneia, Proſerpina.
V. 502. Aïs, Pluto.
V. 507. Des Nordoſtwindes. Homer hat keine Namen fuͤr Zwiſchenwinde.
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Zehnter Geſang.
Mich nach Hauſe zu ſenden! Mein Herz verlanget zur Heimat,
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Meine Seele beſtuͤrmen, ſobald du den Ruͤcken nur wendeſt.
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Alſo ſprach ich; mir gab die hehre Goͤttin zur Antwort:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus.
Laͤnger zwing' ich euch nicht, in meinem Hauſe zu bleiben.
Aber ihr muͤßt zuvor noch eine Reiſe vollenden,
Hin zu Aïdaͤs Reich und der ſtrengen Perſefoneia, V. 491.
Um des thaͤbaiiſchen Greiſes Teireſias Seele zu fragen,
Jenes blinden Profeten, mit ungeſchwaͤchtem Verſtande.
Ihm gab Perſefoneia im Tode ſelber Erkenntniß;
Und er allein iſt weiſe: die andern ſind flatternde Schatten.
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Alſo ſagte die Goͤttin; mir brach das Herz vor Betruͤbniß.
Weinend ſaß ich auf Kirkaͤs Bett', und wuͤnſchte nicht laͤnger,
Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu ſchauen.
Als ich endlich mein Herz durch Weinen und Waͤlzen erleichtert;
Da antwortet' ich ihr, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
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Kirkaͤ, wer ſoll mich denn auf dieſer Reiſe geleiten?
Noch kein Sterblicher fuhr im ſchwarzen Schiffe zu Aïs. V. 502.
Alſo ſprach ich; mir gab die hehre Goͤttin zur Antwort:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus,
Kuͤmmre dich nicht ſo ſehr um einen Fuͤhrer des Schiffes!
Sondern richte den Maſt, und ſpanne die ſchimmernden Segel;
Dann ſiz ruhig, indeß der Hauch des Nordes dich hintreibt! V. 507.
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V. 491. Aïdaͤs, Pluto; Perſefoneia, Proſerpina.
V. 502. Aïs, Pluto.
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/207>, abgerufen am 22.07.2024.
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