Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Denn es geziemet mir nicht, zu bewirten, noch weiter zu senden
Einen Mann, den die Rache der seligen Götter verfolget.
Hebe dich weg, denn du kömmst mit dem Zorne der Götter beladen! 75

Also sprach er, und trieb mich Seufzenden aus dem Palaste.
Und wir steuerten jezo mit trauriger Seele von dannen.
Aber den Männern entschwand das Herz am ermüdenden Ruder,
Unserer Thorheit halben, weil weiter kein Ende zu sehn war.

Als wir nun sechs Tag' und Nächte die Wogen durchrudert, V. 80. 80
Landeten wir bei der Veste der Laistrügonen, bei Lamos
Stadt Tälepülos an. Hier wechseln Hirten mit Hirten;
Welcher heraustreibt, hört das Rufen deß, der hereintreibt.
Und ein Mann ohne Schlaf erfreute sich doppeltes Lohnes,
Eines als Rinderhirte, des andern als Hirte der Schafe; 85
Denn nicht weit sind die Triften der Nacht und des Tages entfernet.
Jezo erreichten wir den treflichen Hafen, den ringsum
Himmelanstrebende Felsen von beiden Seiten umschließen,
Und wo vorn in der Mündung sich zwo vorragende Spizen
Gegen einander drehn; ein enggeschloßener Eingang! 90
Meine Gefährten lenkten die gleichgezimmerten Schiffe
Alle hinein in die Bucht, und banden sie dicht bei einander
Fest; denn niemals erhob sich eine Welle darinnen,
Weder groß noch klein; rings herschet spiegelnde Stille.
Ich allein blieb draußen mit meinem schwärzlichen Schiffe, 95
An dem Ende der Bucht, und band es mit Seilen am Felsen,
Kletterte dann auf den zackichten weitumschauenden Gipfel.
Aber es zeigte sich nirgends die Spur von Stieren und Pflügern;

V. 80. Die Laistrügonen wohnten an der fabelhaften Westseite Siziliens.

Oduͤßee.
Denn es geziemet mir nicht, zu bewirten, noch weiter zu ſenden
Einen Mann, den die Rache der ſeligen Goͤtter verfolget.
Hebe dich weg, denn du koͤmmſt mit dem Zorne der Goͤtter beladen! 75

Alſo ſprach er, und trieb mich Seufzenden aus dem Palaſte.
Und wir ſteuerten jezo mit trauriger Seele von dannen.
Aber den Maͤnnern entſchwand das Herz am ermuͤdenden Ruder,
Unſerer Thorheit halben, weil weiter kein Ende zu ſehn war.

Als wir nun ſechs Tag' und Naͤchte die Wogen durchrudert, V. 80. 80
Landeten wir bei der Veſte der Laiſtruͤgonen, bei Lamos
Stadt Taͤlepuͤlos an. Hier wechſeln Hirten mit Hirten;
Welcher heraustreibt, hoͤrt das Rufen deß, der hereintreibt.
Und ein Mann ohne Schlaf erfreute ſich doppeltes Lohnes,
Eines als Rinderhirte, des andern als Hirte der Schafe; 85
Denn nicht weit ſind die Triften der Nacht und des Tages entfernet.
Jezo erreichten wir den treflichen Hafen, den ringsum
Himmelanſtrebende Felſen von beiden Seiten umſchließen,
Und wo vorn in der Muͤndung ſich zwo vorragende Spizen
Gegen einander drehn; ein enggeſchloßener Eingang! 90
Meine Gefaͤhrten lenkten die gleichgezimmerten Schiffe
Alle hinein in die Bucht, und banden ſie dicht bei einander
Feſt; denn niemals erhob ſich eine Welle darinnen,
Weder groß noch klein; rings herſchet ſpiegelnde Stille.
Ich allein blieb draußen mit meinem ſchwaͤrzlichen Schiffe, 95
An dem Ende der Bucht, und band es mit Seilen am Felſen,
Kletterte dann auf den zackichten weitumſchauenden Gipfel.
Aber es zeigte ſich nirgends die Spur von Stieren und Pfluͤgern;

V. 80. Die Laiſtruͤgonen wohnten an der fabelhaften Weſtſeite Siziliens.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0192" n="186"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Denn es geziemet mir nicht, zu bewirten, noch weiter zu &#x017F;enden<lb/>
Einen Mann, den die Rache der &#x017F;eligen Go&#x0364;tter verfolget.<lb/>
Hebe dich weg, denn du ko&#x0364;mm&#x017F;t mit dem Zorne der Go&#x0364;tter beladen! <note place="right">75</note></p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und trieb mich Seufzenden aus dem Pala&#x017F;te.<lb/>
Und wir &#x017F;teuerten jezo mit trauriger Seele von dannen.<lb/>
Aber den Ma&#x0364;nnern ent&#x017F;chwand das Herz am ermu&#x0364;denden Ruder,<lb/>
Un&#x017F;erer Thorheit halben, weil weiter kein Ende zu &#x017F;ehn war.</p><lb/>
        <p>Als wir nun &#x017F;echs Tag' und Na&#x0364;chte die Wogen durchrudert, <note place="foot" n="V. 80.">Die Lai&#x017F;tru&#x0364;gonen wohnten an der fabelhaften We&#x017F;t&#x017F;eite Siziliens.</note> <note place="right">80</note><lb/>
Landeten wir bei der Ve&#x017F;te der Lai&#x017F;tru&#x0364;gonen, bei Lamos<lb/>
Stadt Ta&#x0364;lepu&#x0364;los an. Hier wech&#x017F;eln Hirten mit Hirten;<lb/>
Welcher heraustreibt, ho&#x0364;rt das Rufen deß, der hereintreibt.<lb/>
Und ein Mann ohne Schlaf erfreute &#x017F;ich doppeltes Lohnes,<lb/>
Eines als Rinderhirte, des andern als Hirte der Schafe; <note place="right">85</note><lb/>
Denn nicht weit &#x017F;ind die Triften der Nacht und des Tages entfernet.<lb/>
Jezo erreichten wir den treflichen Hafen, den ringsum<lb/>
Himmelan&#x017F;trebende Fel&#x017F;en von beiden Seiten um&#x017F;chließen,<lb/>
Und wo vorn in der Mu&#x0364;ndung &#x017F;ich zwo vorragende Spizen<lb/>
Gegen einander drehn; ein engge&#x017F;chloßener Eingang! <note place="right">90</note><lb/>
Meine Gefa&#x0364;hrten lenkten die gleichgezimmerten Schiffe<lb/>
Alle hinein in die Bucht, und banden &#x017F;ie dicht bei einander<lb/>
Fe&#x017F;t; denn niemals erhob &#x017F;ich eine Welle darinnen,<lb/>
Weder groß noch klein; rings her&#x017F;chet &#x017F;piegelnde Stille.<lb/>
Ich allein blieb draußen mit meinem &#x017F;chwa&#x0364;rzlichen Schiffe, <note place="right">95</note><lb/>
An dem Ende der Bucht, und band es mit Seilen am Fel&#x017F;en,<lb/>
Kletterte dann auf den zackichten weitum&#x017F;chauenden Gipfel.<lb/>
Aber es zeigte &#x017F;ich nirgends die Spur von Stieren und Pflu&#x0364;gern;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0192] Oduͤßee. Denn es geziemet mir nicht, zu bewirten, noch weiter zu ſenden Einen Mann, den die Rache der ſeligen Goͤtter verfolget. Hebe dich weg, denn du koͤmmſt mit dem Zorne der Goͤtter beladen! 75 Alſo ſprach er, und trieb mich Seufzenden aus dem Palaſte. Und wir ſteuerten jezo mit trauriger Seele von dannen. Aber den Maͤnnern entſchwand das Herz am ermuͤdenden Ruder, Unſerer Thorheit halben, weil weiter kein Ende zu ſehn war. Als wir nun ſechs Tag' und Naͤchte die Wogen durchrudert, V. 80. Landeten wir bei der Veſte der Laiſtruͤgonen, bei Lamos Stadt Taͤlepuͤlos an. Hier wechſeln Hirten mit Hirten; Welcher heraustreibt, hoͤrt das Rufen deß, der hereintreibt. Und ein Mann ohne Schlaf erfreute ſich doppeltes Lohnes, Eines als Rinderhirte, des andern als Hirte der Schafe; Denn nicht weit ſind die Triften der Nacht und des Tages entfernet. Jezo erreichten wir den treflichen Hafen, den ringsum Himmelanſtrebende Felſen von beiden Seiten umſchließen, Und wo vorn in der Muͤndung ſich zwo vorragende Spizen Gegen einander drehn; ein enggeſchloßener Eingang! Meine Gefaͤhrten lenkten die gleichgezimmerten Schiffe Alle hinein in die Bucht, und banden ſie dicht bei einander Feſt; denn niemals erhob ſich eine Welle darinnen, Weder groß noch klein; rings herſchet ſpiegelnde Stille. Ich allein blieb draußen mit meinem ſchwaͤrzlichen Schiffe, An dem Ende der Bucht, und band es mit Seilen am Felſen, Kletterte dann auf den zackichten weitumſchauenden Gipfel. Aber es zeigte ſich nirgends die Spur von Stieren und Pfluͤgern; 80 85 90 95 V. 80. Die Laiſtruͤgonen wohnten an der fabelhaften Weſtſeite Siziliens.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/192
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/192>, abgerufen am 07.05.2024.