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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Achter Gesang.
Zu den Sintiern jezt, den rauhen Barbaren in Lemnos.

Also sprach er, und ihr war sehr willkommen die Ruhe. 295
Und sie bestiegen das Lager, und schlummerten. Plözlich umschlangen
Sie die künstlichen Bande des klugen Erfinders Häfaistos;
Und sie vermochten kein Glied zu bewegen oder zu heben.
Aber sie merkten es erst, da ihnen die Flucht schon gehemmt war.
Jezo nahte sich ihnen der hinkende Feuerbeherscher. 300
Dieser kehrte zurück, bevor er Lemnos erreichte,
Denn der lauschende Gott der Sonne sagt' ihm die That an.
Eilend ging er zu Hause, mit tiefbekümmerter Seele,
Stand in dem Vorsaal still; und der rasende Eifer ergriff ihn.
Fürchterlich ruft' er aus, und alle Götter vernahmens: 305

Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter!
Kommt und schaut den abscheulichen unausstehlichen Frevel:
Wie mich lahmen Mann die Tochter Zeus Afroditä
Jezo auf immer beschimpft, und Aräs den Bösewicht herzet;
Darum, weil jener schön ist und grade von Beinen, ich aber 310
Solche Krüppelgestalt! Doch keiner ist schuld an der Lähmung.
Als die Eltern allein! O hätten sie nimmer gezeuget!
Aber seht doch, wie beid' in meinem eigenen Bette
Ruhn, und der Wollust pflegen! Das Herz zerspringt mir beim Anblick!
Künftig möchten sie zwar, auch nicht ein Weilchen, so liegen! 315
Wie verbuhlt sie auch sind, sie werden nicht wieder verlangen,
So zu ruhn! Allein ich halte sie fest in der Schlinge,
Bis der Vater zuvor mir alle Geschenke zurückgiebt,
Die ich als Bräutigam gab für sein schamloses Gezüchte!
Seine Tochter ist schön, allein unbändiges Herzens! 320

Also sprach er. Da eilten zum ehernen Hause die Götter:

Achter Geſang.
Zu den Sintiern jezt, den rauhen Barbaren in Lemnos.

Alſo ſprach er, und ihr war ſehr willkommen die Ruhe. 295
Und ſie beſtiegen das Lager, und ſchlummerten. Ploͤzlich umſchlangen
Sie die kuͤnſtlichen Bande des klugen Erfinders Haͤfaiſtos;
Und ſie vermochten kein Glied zu bewegen oder zu heben.
Aber ſie merkten es erſt, da ihnen die Flucht ſchon gehemmt war.
Jezo nahte ſich ihnen der hinkende Feuerbeherſcher. 300
Dieſer kehrte zuruͤck, bevor er Lemnos erreichte,
Denn der lauſchende Gott der Sonne ſagt' ihm die That an.
Eilend ging er zu Hauſe, mit tiefbekuͤmmerter Seele,
Stand in dem Vorſaal ſtill; und der raſende Eifer ergriff ihn.
Fuͤrchterlich ruft' er aus, und alle Goͤtter vernahmens: 305

Vater Zeus, und ihr andern, unſterbliche ſelige Goͤtter!
Kommt und ſchaut den abſcheulichen unausſtehlichen Frevel:
Wie mich lahmen Mann die Tochter Zeus Afroditaͤ
Jezo auf immer beſchimpft, und Araͤs den Boͤſewicht herzet;
Darum, weil jener ſchoͤn iſt und grade von Beinen, ich aber 310
Solche Kruͤppelgeſtalt! Doch keiner iſt ſchuld an der Laͤhmung.
Als die Eltern allein! O haͤtten ſie nimmer gezeuget!
Aber ſeht doch, wie beid' in meinem eigenen Bette
Ruhn, und der Wolluſt pflegen! Das Herz zerſpringt mir beim Anblick!
Kuͤnftig moͤchten ſie zwar, auch nicht ein Weilchen, ſo liegen! 315
Wie verbuhlt ſie auch ſind, ſie werden nicht wieder verlangen,
So zu ruhn! Allein ich halte ſie feſt in der Schlinge,
Bis der Vater zuvor mir alle Geſchenke zuruͤckgiebt,
Die ich als Braͤutigam gab fuͤr ſein ſchamloſes Gezuͤchte!
Seine Tochter iſt ſchoͤn, allein unbaͤndiges Herzens! 320

Alſo ſprach er. Da eilten zum ehernen Hauſe die Goͤtter:

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[151/0157] Achter Geſang. Zu den Sintiern jezt, den rauhen Barbaren in Lemnos. Alſo ſprach er, und ihr war ſehr willkommen die Ruhe. Und ſie beſtiegen das Lager, und ſchlummerten. Ploͤzlich umſchlangen Sie die kuͤnſtlichen Bande des klugen Erfinders Haͤfaiſtos; Und ſie vermochten kein Glied zu bewegen oder zu heben. Aber ſie merkten es erſt, da ihnen die Flucht ſchon gehemmt war. Jezo nahte ſich ihnen der hinkende Feuerbeherſcher. Dieſer kehrte zuruͤck, bevor er Lemnos erreichte, Denn der lauſchende Gott der Sonne ſagt' ihm die That an. Eilend ging er zu Hauſe, mit tiefbekuͤmmerter Seele, Stand in dem Vorſaal ſtill; und der raſende Eifer ergriff ihn. Fuͤrchterlich ruft' er aus, und alle Goͤtter vernahmens: 295 300 305 Vater Zeus, und ihr andern, unſterbliche ſelige Goͤtter! Kommt und ſchaut den abſcheulichen unausſtehlichen Frevel: Wie mich lahmen Mann die Tochter Zeus Afroditaͤ Jezo auf immer beſchimpft, und Araͤs den Boͤſewicht herzet; Darum, weil jener ſchoͤn iſt und grade von Beinen, ich aber Solche Kruͤppelgeſtalt! Doch keiner iſt ſchuld an der Laͤhmung. Als die Eltern allein! O haͤtten ſie nimmer gezeuget! Aber ſeht doch, wie beid' in meinem eigenen Bette Ruhn, und der Wolluſt pflegen! Das Herz zerſpringt mir beim Anblick! Kuͤnftig moͤchten ſie zwar, auch nicht ein Weilchen, ſo liegen! Wie verbuhlt ſie auch ſind, ſie werden nicht wieder verlangen, So zu ruhn! Allein ich halte ſie feſt in der Schlinge, Bis der Vater zuvor mir alle Geſchenke zuruͤckgiebt, Die ich als Braͤutigam gab fuͤr ſein ſchamloſes Gezuͤchte! Seine Tochter iſt ſchoͤn, allein unbaͤndiges Herzens! 310 315 320 Alſo ſprach er. Da eilten zum ehernen Hauſe die Goͤtter:

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/157>, abgerufen am 07.05.2024.