Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Siebenter Gesang Ließ dann leise vor mir ein laues Lüftgen einherwehn.Siebzehn Tage befuhr ich die ungeheuren Gewäßer. Am achzehnten erblickt' ich die hohen schattigen Berge Eures Landes von fern, und freute mich herzlich des Anblicks. Ich Unglücklicher! Ach noch viele schreckliche Trübsal 270 Stand mir bevor, vom Zorne des Erderschüttrers Poseidon! Plözlich hemmt' er die Fahrt mit reißenden Stürmen, nnd hochauf Schwoll das unendliche Meer; und die rollende Woge verbot mir, Daß ich länger im Floße mit bangem Seufzen dahinfuhr: Ihn zerschmetterte schnell die Gewalt der kommenden Windsbraut. 275 Aber schwimmend durchkämpft' ich die ungeheuren Gewäßer, Bis mich der Sturm und die Wog' an euer Gestade hinanwarf. Alda hätte mich fast ergriffen die strudelnde Brandung, Und an die drohenden Klippen, den Ort des Entsezens, geschmettert. Aber ich eilte zurück, und schwamm herum, bis ich endlich 280 Kam an den Strom. Hier fand ich bequem zum Landen das Ufer, Niedrig und felsenleer, und vor dem Winde gesichert. Und ich sank ohnmächtig ans Land. Die ambrosische Nacht kam. Und ich ging vom Gestade des göttlichen Stromes, und legte Mich in ein dichtes Gebüsch, und häufte verdorrete Blätter 285 Um mich her; da sandte mir Gott unendlichen Schlummer. Unter den Blättern dort, mit tiefbekümmerter Seele, Schlief ich die ganze Nacht, bis zum andern Morgen und Mittag. Als die Sonne sich neigte, verließ mich der liebliche Schlummer. Und am Ufer des Meers erblickt' ich die spielenden Jungfraun 290 Deiner Tochter, mit ihnen sie selbst, den Unsterblichen ähnlich. Dieser fleht' ich, und fand ein Mädchen voll edler Gesinnung. Wahrlich sie handelte so, wie kaum ihr jugendlich Alter Siebenter Geſang Ließ dann leiſe vor mir ein laues Luͤftgen einherwehn.Siebzehn Tage befuhr ich die ungeheuren Gewaͤßer. Am achzehnten erblickt' ich die hohen ſchattigen Berge Eures Landes von fern, und freute mich herzlich des Anblicks. Ich Ungluͤcklicher! Ach noch viele ſchreckliche Truͤbſal 270 Stand mir bevor, vom Zorne des Erderſchuͤttrers Poſeidon! Ploͤzlich hemmt' er die Fahrt mit reißenden Stuͤrmen, nnd hochauf Schwoll das unendliche Meer; und die rollende Woge verbot mir, Daß ich laͤnger im Floße mit bangem Seufzen dahinfuhr: Ihn zerſchmetterte ſchnell die Gewalt der kommenden Windsbraut. 275 Aber ſchwimmend durchkaͤmpft' ich die ungeheuren Gewaͤßer, Bis mich der Sturm und die Wog' an euer Geſtade hinanwarf. Alda haͤtte mich faſt ergriffen die ſtrudelnde Brandung, Und an die drohenden Klippen, den Ort des Entſezens, geſchmettert. Aber ich eilte zuruͤck, und ſchwamm herum, bis ich endlich 280 Kam an den Strom. Hier fand ich bequem zum Landen das Ufer, Niedrig und felſenleer, und vor dem Winde geſichert. Und ich ſank ohnmaͤchtig ans Land. Die ambroſiſche Nacht kam. Und ich ging vom Geſtade des goͤttlichen Stromes, und legte Mich in ein dichtes Gebuͤſch, und haͤufte verdorrete Blaͤtter 285 Um mich her; da ſandte mir Gott unendlichen Schlummer. Unter den Blaͤttern dort, mit tiefbekuͤmmerter Seele, Schlief ich die ganze Nacht, bis zum andern Morgen und Mittag. Als die Sonne ſich neigte, verließ mich der liebliche Schlummer. Und am Ufer des Meers erblickt' ich die ſpielenden Jungfraun 290 Deiner Tochter, mit ihnen ſie ſelbſt, den Unſterblichen aͤhnlich. Dieſer fleht' ich, und fand ein Maͤdchen voll edler Geſinnung. Wahrlich ſie handelte ſo, wie kaum ihr jugendlich Alter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0143" n="137"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Siebenter Geſang</hi></fw><lb/> Ließ dann leiſe vor mir ein laues Luͤftgen einherwehn.<lb/> Siebzehn Tage befuhr ich die ungeheuren Gewaͤßer.<lb/> Am achzehnten erblickt' ich die hohen ſchattigen Berge<lb/> Eures Landes von fern, und freute mich herzlich des Anblicks.<lb/> Ich Ungluͤcklicher! Ach noch viele ſchreckliche Truͤbſal <note place="right">270</note><lb/> Stand mir bevor, vom Zorne des Erderſchuͤttrers Poſeidon!<lb/> Ploͤzlich hemmt' er die Fahrt mit reißenden Stuͤrmen, nnd hochauf<lb/> Schwoll das unendliche Meer; und die rollende Woge verbot mir,<lb/> Daß ich laͤnger im Floße mit bangem Seufzen dahinfuhr:<lb/> Ihn zerſchmetterte ſchnell die Gewalt der kommenden Windsbraut. <note place="right">275</note><lb/> Aber ſchwimmend durchkaͤmpft' ich die ungeheuren Gewaͤßer,<lb/> Bis mich der Sturm und die Wog' an euer Geſtade hinanwarf.<lb/> Alda haͤtte mich faſt ergriffen die ſtrudelnde Brandung,<lb/> Und an die drohenden Klippen, den Ort des Entſezens, geſchmettert.<lb/> Aber ich eilte zuruͤck, und ſchwamm herum, bis ich endlich <note place="right">280</note><lb/> Kam an den Strom. Hier fand ich bequem zum Landen das Ufer,<lb/> Niedrig und felſenleer, und vor dem Winde geſichert.<lb/> Und ich ſank ohnmaͤchtig ans Land. Die ambroſiſche Nacht kam.<lb/> Und ich ging vom Geſtade des goͤttlichen Stromes, und legte<lb/> Mich in ein dichtes Gebuͤſch, und haͤufte verdorrete Blaͤtter <note place="right">285</note><lb/> Um mich her; da ſandte mir Gott unendlichen Schlummer.<lb/> Unter den Blaͤttern dort, mit tiefbekuͤmmerter Seele,<lb/> Schlief ich die ganze Nacht, bis zum andern Morgen und Mittag.<lb/> Als die Sonne ſich neigte, verließ mich der liebliche Schlummer.<lb/> Und am Ufer des Meers erblickt' ich die ſpielenden Jungfraun <note place="right">290</note><lb/> Deiner Tochter, mit ihnen ſie ſelbſt, den Unſterblichen aͤhnlich.<lb/> Dieſer fleht' ich, und fand ein Maͤdchen voll edler Geſinnung.<lb/> Wahrlich ſie handelte ſo, wie kaum ihr jugendlich Alter<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [137/0143]
Siebenter Geſang
Ließ dann leiſe vor mir ein laues Luͤftgen einherwehn.
Siebzehn Tage befuhr ich die ungeheuren Gewaͤßer.
Am achzehnten erblickt' ich die hohen ſchattigen Berge
Eures Landes von fern, und freute mich herzlich des Anblicks.
Ich Ungluͤcklicher! Ach noch viele ſchreckliche Truͤbſal
Stand mir bevor, vom Zorne des Erderſchuͤttrers Poſeidon!
Ploͤzlich hemmt' er die Fahrt mit reißenden Stuͤrmen, nnd hochauf
Schwoll das unendliche Meer; und die rollende Woge verbot mir,
Daß ich laͤnger im Floße mit bangem Seufzen dahinfuhr:
Ihn zerſchmetterte ſchnell die Gewalt der kommenden Windsbraut.
Aber ſchwimmend durchkaͤmpft' ich die ungeheuren Gewaͤßer,
Bis mich der Sturm und die Wog' an euer Geſtade hinanwarf.
Alda haͤtte mich faſt ergriffen die ſtrudelnde Brandung,
Und an die drohenden Klippen, den Ort des Entſezens, geſchmettert.
Aber ich eilte zuruͤck, und ſchwamm herum, bis ich endlich
Kam an den Strom. Hier fand ich bequem zum Landen das Ufer,
Niedrig und felſenleer, und vor dem Winde geſichert.
Und ich ſank ohnmaͤchtig ans Land. Die ambroſiſche Nacht kam.
Und ich ging vom Geſtade des goͤttlichen Stromes, und legte
Mich in ein dichtes Gebuͤſch, und haͤufte verdorrete Blaͤtter
Um mich her; da ſandte mir Gott unendlichen Schlummer.
Unter den Blaͤttern dort, mit tiefbekuͤmmerter Seele,
Schlief ich die ganze Nacht, bis zum andern Morgen und Mittag.
Als die Sonne ſich neigte, verließ mich der liebliche Schlummer.
Und am Ufer des Meers erblickt' ich die ſpielenden Jungfraun
Deiner Tochter, mit ihnen ſie ſelbſt, den Unſterblichen aͤhnlich.
Dieſer fleht' ich, und fand ein Maͤdchen voll edler Geſinnung.
Wahrlich ſie handelte ſo, wie kaum ihr jugendlich Alter
270
275
280
285
290
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |