Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Fünfter Gesang. Ohne Liebe bei ihr, ihn zwang die liebende Göttin; 155Aber des Tages saß er auf Felsen und sandigen Hügeln, Und zerquälte sein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern Und durchschaute mit Thränen die große Wüste des Meeres. Jezo nahte sich ihm und sprach die herliche Göttin: Armer, sei mir nicht immer so traurig, und härme dein Leben 160 Als sie es sprach, da erschrak der herliche Dulder Odüßeus. Wahrlich du denkst ein andres, als mich zu senden', o Göttin, Sprachs; und lächelnd vernahm es die hehre Göttin Kalüpso, 180 Wahrlich du bist doch ein Schalk, und unermüdet an Vorsicht: Fuͤnfter Geſang. Ohne Liebe bei ihr, ihn zwang die liebende Goͤttin; 155Aber des Tages ſaß er auf Felſen und ſandigen Huͤgeln, Und zerquaͤlte ſein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern Und durchſchaute mit Thraͤnen die große Wuͤſte des Meeres. Jezo nahte ſich ihm und ſprach die herliche Goͤttin: Armer, ſei mir nicht immer ſo traurig, und haͤrme dein Leben 160 Als ſie es ſprach, da erſchrak der herliche Dulder Oduͤßeus. Wahrlich du denkſt ein andres, als mich zu ſenden', o Goͤttin, Sprachs; und laͤchelnd vernahm es die hehre Goͤttin Kaluͤpſo, 180 Wahrlich du biſt doch ein Schalk, und unermuͤdet an Vorſicht: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0107" n="101"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fuͤnfter Geſang.</hi></fw><lb/> Ohne Liebe bei ihr, ihn zwang die liebende Goͤttin; <note place="right">155</note><lb/> Aber des Tages ſaß er auf Felſen und ſandigen Huͤgeln,<lb/> Und zerquaͤlte ſein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern<lb/> Und durchſchaute mit Thraͤnen die große Wuͤſte des Meeres.<lb/> Jezo nahte ſich ihm und ſprach die herliche Goͤttin:</p><lb/> <p>Armer, ſei mir nicht immer ſo traurig, und haͤrme dein Leben <note place="right">160</note><lb/> Hier nicht ab; ich bin ja bereit, dich von mir zu laßen.<lb/> Haue zum breiten Floß dir hohe Baͤume, verbinde<lb/> Dann die Balken mit Erz, und oben befeſtige Bretter;<lb/> Daß er uͤber die Wogen des dunkeln Meeres dich trage.<lb/> Siehe dann will ich dir Brot und Waßer reichen, und rothen <note place="right">165</note><lb/> Herzerfreuenden Wein, damit dich der Hunger nicht toͤdte;<lb/> Dich mit Kleidern umhuͤllen, und guͤnſtige Winde dir ſenden:<lb/> Daß du ohne Gefahr die Heimat wieder erreicheſt,<lb/> Wenn es die Goͤtter geſtaten, des weiten Himmels Bewohner,<lb/> Welche hoͤher als ich an Weisheit ſind und an Staͤrke. <note place="right">170</note></p><lb/> <p>Als ſie es ſprach, da erſchrak der herliche Dulder Oduͤßeus.<lb/> Und er redte ſie an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:</p><lb/> <p>Wahrlich du denkſt ein andres, als mich zu ſenden', o Goͤttin,<lb/> Die du mich heißeſt, im Floße des unermeßlichen Meeres<lb/> Furchtbare Flut zu durchfahren, die ſelbſt kein kuͤnſtlichgebautes <note place="right">175</note><lb/> Ruͤſtiges Schiff durchfaͤhrt, vom Winde Gottes erfreuet!<lb/> Nimmer beſteig' ich den Floß ohn deinen Willen, o Goͤttin,<lb/> Du willfahreſt mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,<lb/> Daß du bei dir nichts andres zu meinem Verderben beſchließeſt!</p><lb/> <p>Sprachs; und laͤchelnd vernahm es die hehre Goͤttin Kaluͤpſo, <note place="right">180</note><lb/> Streichelte ihn mit der Hand, und ſprach die freundlichen Worte:</p><lb/> <p>Wahrlich du biſt doch ein Schalk, und unermuͤdet an Vorſicht:<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [101/0107]
Fuͤnfter Geſang.
Ohne Liebe bei ihr, ihn zwang die liebende Goͤttin;
Aber des Tages ſaß er auf Felſen und ſandigen Huͤgeln,
Und zerquaͤlte ſein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern
Und durchſchaute mit Thraͤnen die große Wuͤſte des Meeres.
Jezo nahte ſich ihm und ſprach die herliche Goͤttin:
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Armer, ſei mir nicht immer ſo traurig, und haͤrme dein Leben
Hier nicht ab; ich bin ja bereit, dich von mir zu laßen.
Haue zum breiten Floß dir hohe Baͤume, verbinde
Dann die Balken mit Erz, und oben befeſtige Bretter;
Daß er uͤber die Wogen des dunkeln Meeres dich trage.
Siehe dann will ich dir Brot und Waßer reichen, und rothen
Herzerfreuenden Wein, damit dich der Hunger nicht toͤdte;
Dich mit Kleidern umhuͤllen, und guͤnſtige Winde dir ſenden:
Daß du ohne Gefahr die Heimat wieder erreicheſt,
Wenn es die Goͤtter geſtaten, des weiten Himmels Bewohner,
Welche hoͤher als ich an Weisheit ſind und an Staͤrke.
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Als ſie es ſprach, da erſchrak der herliche Dulder Oduͤßeus.
Und er redte ſie an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
Wahrlich du denkſt ein andres, als mich zu ſenden', o Goͤttin,
Die du mich heißeſt, im Floße des unermeßlichen Meeres
Furchtbare Flut zu durchfahren, die ſelbſt kein kuͤnſtlichgebautes
Ruͤſtiges Schiff durchfaͤhrt, vom Winde Gottes erfreuet!
Nimmer beſteig' ich den Floß ohn deinen Willen, o Goͤttin,
Du willfahreſt mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,
Daß du bei dir nichts andres zu meinem Verderben beſchließeſt!
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Sprachs; und laͤchelnd vernahm es die hehre Goͤttin Kaluͤpſo,
Streichelte ihn mit der Hand, und ſprach die freundlichen Worte:
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Wahrlich du biſt doch ein Schalk, und unermuͤdet an Vorſicht:
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